Anzeige

Die Illusion der Bewegung im Alter

vignette2012 Hello All, Reisen heutzutage bedeutet ja meistens, bewegt zu werden – es sei denn, man strampelt auf dem Rad oder marschiert mit Jakobsmuschel um den Hals gen Santiago de Compostela. Wenn man es sich im Auto, Zug, Flugzeug oder Dampfer gemütlich macht, dann ruht man eigentlich; man wird „verreist“. Landschaft, Gerüche und Leute kommen an einem vorbei, ohne dass man selbst sich groß anstrengen musste. OK, Kofferschleppen, Hetzen durch lange Gänge, Schlange stehen, Platzsuche im Zug und Kampf mit räuberischen Taxifahrern am Zielort bieten natürlich auch sportliche Momente, ganz unbestritten. Aber nach solchen Szenen folgen dann Stunden der völligen Körperruhe, in denen die Welt an einem vorbeigleitet. Als Jugendlicher und Student wollte ich einfach immer nur weg von dort wo ich gerade war; ich wollte schauen, was jenseits vom Horizont liegt, das Unbekannte war mein Ziel. Die Reise musste billigst sein, deshalb oft unbequem aber meist unterhaltsam. 26 Stunden dauerte die Bahnfahrt von Lindau bis Barcelona; 72 Stunden von Marrakesch nach Berlin, incl. der Fähre von Tanger nach Algeciras. Unverhoffte Bekanntschaften unterwegs waren mindestens so spannend wie die optische und haptische Eroberung neuer Städte. Als Berufstätiger war ich auf Dienstreisen unterwegs mit konkreten Vorgaben vor Augen, engen Terminen und meist in ähnlich aussehenden Sitzungsräumen, Hotelzimmer und Flugzeugsitze. Ähnliche Geschäfte vollzogen sich ebenfalls berechenbar ähnlich, egal auf welchem Kontinent. Die Reisen waren Brücken zum Ziel; mal angenehme, mal eher lästige und bisweilen einfach nur fies, ein Muss, Hauptsache schnell und effizient zu überwinden. Jetzt als Ruheständler muss es nicht mehr so effizient sein. Ich komme mit sattem Zeitvorschuss zum Bahnhof oder Flughafen, beobachte mit Muse das Treiben dort. Unterwegs bequem hätte ich es gerne allerdings, so bezahlbar. Muss gar nicht so schnell sein. So liebäugle ich mit der transsibirischen Eisenbahn, die 7 Tage für die gleiche Strecke benötigt, die der Jet in 11 Stunden überwindet. Oder mit einer gemächlichen Flussfahrt mit interessantem Ufer auf der anderen Seite der Reeeling. Die Reise selbst wird zum Ziel; die Illusion der Bewegung. Wohl eines der untrüglichen Zeichen des Alterns…
Ihr Global Oldie

2 Antworten

  1. hallo global oldie, die verrückten auslands-single-reisen welche ich bis ca. 58 jahren machte, würde ich jetzt nicht mehr machen, man wird bequem, sucht nicht mehr das abenteuer. und mich stundenlang über sehenswürdigkeiten vollquatschen lassen, war und ist noch nie mein ding gewesen. jetzt möchte ich einen standort in europa und mir nur das anschauen, was mich interessiert und dies ohne hektik .

    1. hi Uli, in sachen single-reisen kann ich nicht mitreden. allerdings weiss ich so manche episode von der anderen warte aus. meine mutter war von 1957 bis 1989 als reiseleiterin in spanien und marokko eine derjenigen, die die pulks an reisenden zu behüten und gelehrt zu bequatschen hatte. als jugendlicher hatte ich in den schulferien sie manchmal auf den busrundreisen begleitet. darauf hin habe ich als erwachsener noch nie eine geführte pauschalreise mitgemacht. diese reiseart schliesse ich aber für die zukunft nicht gänzlich aus, falls es uns mal in regionen ziehen sollte, in denen keiner von uns die lokale schrift oder sprache versteht. man verliert an solchen orten dann als de facto taubstummer analphabet schnell das verstaendnis fuer das geschejen um einen herum, den spass am reisen und die restwürde, wenn man weder ein taxi in die gewünschte richtung, noch ein geniessbares essen oder hotelzimmer finden kann. abgesehen von orientierungsfragen und vorbereitung auf medizinische notfälle – ein latentes risiko, das uns nunmehr stets begleitet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

weitere Beiträge

Die Rezepte unserer Omas

Skip to content