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In Rom, wie die Römer?

Hello All,

es ehrt, auf Reisen sich taktvoll in fremde Milieus einfügen zu wollen. „When in Rome, do it like the Romans“, lautet ein diesbezüglich klassischer Ratschlag. Leichter zitiert als getan. Denn an welchem Römer soll ich mich orientieren? An den eilig Drängelnden oder den Gemächlichen, an den Distinguierten oder den Stilagnostikern? Woran erkenne ich, wer in Rom sich als Modell-Römer qualifiziert?

Ich begrenze meine Auswahl auf männliche Senioren meines Alters, die erkennbar Italienisch sprechen oder lesen. Das reduziert die Suche nach Verhaltensvorbildern auf ca. 10 Prozent der Wohnbevölkerung oder gar auf 5 Prozent der Transienten; unter Abzug der bedauerlicherweise inzwischen unbeweglichen Altersgenossen daheim.

Reiseführer bieten sich ebenfalls an. Dumont oder Baedeker raten, dass man im Alter abends betont schicklich mit einem Jackett unterwegs sei. Doch stellte ich fest, dass vor Ort die Senioren im Lokalkolorit mit hoch geschlagenen Hemdsärmel oder in Polohemden unterwegs waren. Fast unabhängig vom sozialen Prestige der Lokalität. Selbst beim Schuhwerk ist auf vermeintlich echte Römer kein Verlass mehr. In Sandalen, mit und ohne Socken, outen sich abends zwar Touristen; Sneakers oder Turnschuhe hingegen tragen inzwischen auch alternde Signore, deren Erkennungszeichen bisher tadellos polierte Lederschuhe gewesen waren. Schlimme Zeiten für Schuhputzer.

„Do it like the Romans“. Bedeutet jenseits Roms: In China mit Stäbchen, in Marokko mit den rechten Fingern essen; in den USA 20+ Prozent Trinkgeld geben, in Singapur niemanden mit Trinkgeld beleidigen; in Süd-Korea tapfer Karaoke mitsingen und in Indonesien würdevoll schweigen. Schwieriger wird der richtige Benimm beim Verbeugen in Japan, in islamischen Gesellschaften beim Händeschütteln oder beim besonders kniffeligen Thema Gastgeschenke.

Zudem gelten im Umgang der Jüngeren mit den Alten besondere Spielregeln. Angefangen von der Anrede untereinander bis zur Sitzordnung oder dem symbolischen Gerangel um die kollektive Tischrechnung. „Culture Shock“-Bücher wenden sich primär an Geschäftsleute. Ich bin jedoch wesentlich älter und vor allem privat unterwegs. Da gelten andere Protokolle, aber welche?  Beobachte ich lieber lokale Altersgenossen in ihrer aktuellen Umgebung; dachte ich.

Doch wie lerne ich altersgerechte Haltung, wenn ich keine anderen Alten aus der Szene sehe? Wir waren in Ho Chi Minh City zum Abendessen eingeladen. Tagsüber versuchte ich mir ein Bild von der Kleiderordnung, Gestik und Habitus der älteren Vietnamesen in unserem Hotel und auf den Straßen zu machen. Vergebens: Ich sah niemanden jenseits von Sechzig-plus. Erst recht nicht Siebzig-plus. Es herrschte drückende Schwüle; die Kleiderordnung in der Öffentlichkeit schien salopp, dem üppigen Schweißzoll gegenüber tolerant. Fast alles schien tragbar: kurz oben, kurz unten; T-Shirt oder Leinenhemd; Flip-Flop, Turnschuhe. Der Umgang fröhlich, laut, informell; Kinder, Jugendliche und deren Elterngeneration.

Nur keine Senioren als Rollenmodell in Sichtweite. Handschlag, Verbeugung, Schweigen, wie viel Lächeln? Ich ging auf Nummer sicher; so formell wie es bei knappem Reisegepäck möglich war. Würde ausstrahlend, zurückhaltend. Mit diskreter Tasche für Gastgeschenke. Im Ergebnis kam ich völlig verschwitzt zum Termin; erkennbar „over-dressed“ und zu steif.  Meine Respektsbezeichnung hätte dem Gastgeber möglicherweise sein Gesicht nehmen können.

Nach der dritten Dose Huda-Beer tastete ich mich an die Frage heran: „Was habe ich als Senior in Vietnam auf Reisen zu beachten?“ Unser vierzig Jahre jüngerer Gastgeber: „Mit Verlaub, das kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Eigentlich bleiben alte Vietnamesen zuhause, wenn sie es sich leisten können. Das ist besser für ihre Gesundheit und Sicherheit. Sie hatten ein anstrengendes Leben. Verreisen belastet; das würden wir unseren Eltern nicht zumuten. Es ist unsere Pflicht, zu den Eltern zu fahren, ihnen zu bringen, was sie benötigen. Oder sie zu begleiten, wenn sie fortmüssen.“

„Do it like the Romans“ in dieser vietnamesischen Lesart: Alter, bleib daheim.

Sorry, dann eben nicht „like the Romans“. No way.

Noch lebe ich den Global Oldie.

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