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Vom Leben als Aushilfe auf der Alm

Der Aufenthalt erfordert große Zähigkeit, nicht nur einmal ist die freiwillige Helferin Sibylle Leimeister kurz davor, aufzugeben.

Ein lang gehegter Lebenstraum wird endlich Wirklichkeit, doch die Realität ist nicht nur romantisch. Sibylle Leimeister aus Nürnberg hat drei Monate auf einer Alm in Südtirol verbracht. Ihre Erlebnisse hat sie – mit Humor und ohne Verklärung – in einem Buch verarbeitet.

Den Wunsch hat die heute 64-Jährige lange mit sich herumgetragen, über die Jahre wurde er immer größer. Einmal in ihrem im Leben wollte sie länger als nur eine Hüttennacht in den Bergen verbringen – ganz ursprünglich, ohne Strom und andere zivilisatorische Selbstverständlichkeiten. Als die Kinder aus dem Gröbsten heraus sind und ein Stellenwechsel bevorsteht, will sie das Vorhaben endlich verwirklichen und ruft – mit großem Herzklopfen – bei einer Agentur an, die Aufenthalte auf Almen vermittelt.

Dort kann man es gar nicht fassen, dass Sibylle Leimeister, anders als die meisten großstadtmüden Interessenten, nicht nur eine oder zwei Wochen bleiben, sondern sich gleich einen ganzen Sommer lang nützlich machen will. Nach nur einer halben Stunde ist die Sache perfekt: Eine Südtiroler Bäuerin, die auf 2000 Metern eine Alm bewirtschaftet, braucht dringend eine Helferin, weil sie sich selbst um ihren kranken Mann kümmern muss. In den Bergen angekommen, ist Leimeister nach einer kurzen Einweisung schnell auf sich alleine gestellt und muss erkennen: Ihre Auszeit vom Großstadtleben hatte sie sich anders vorgestellt. Sie ist vor allem nicht darauf eingestellt, dass die Alm an einem rege frequentierten Fernwanderweg liegt und einen Ausschank hat, der sich als äußerst beliebte Einkehr entpuppt.

Hochbetrieb statt Einsamkeit

Bei gutem Wetter ist hier Hochbetrieb. »Das ist praktisch ein Wirtshaus, in dem nicht nur Wanderer Station machen, sondern auch Südtiroler aus dem Tal. Ein Nebenerwerb der Bauersfamilie, in den ich ganz unerwartet, aber voll eingespannt war – mit  Speck aufschneiden, Kaiserschmarrn zubereiten oder Pasta kochen«, erzählt Sibylle Leimeister.

Das macht den Aufenthalt sehr beschwerlich. Schließlich soll sie neben der Bewirtung auch Milch zentrifugieren, die altertümliche Maschine – insgesamt 40 Teile – täglich auseinandernehmen, reinigen und wieder zusammenbauen, Butter und Käse machen, Brot backen und die Hütejungen Tobias und Florian versorgen. Die beiden sind für über 60 Kühe und zwei Ziegen verantwortlich, die hier auf der Sommeralm weiden. Mit den Kindern wird die Aushilfssennerin zu einer Notgemeinschaft zusammengeschweißt, die über den Sommer zu einer nicht immer unkomplizierten, aber innigen Gemeinschaft wird. »Wir waren ja aufeinander angewiesen. Ich hatte keine Ahnung, wie man so viele Kühe auf eine Weide treibt und abends wieder in den Stall.«

Keine Kuh tanzt mehr aus der Reihe

Anfangs ist das auch für die beiden Hütejungen Tobias und Florian mühevoll, weil die Kühe orientierungslos und stur über die Wiesen stampfen. Nach ein paar Wochen aber haben sich die Rindviecher zu einer Herde zusammengefunden, in der keine Kuh mehr aus der Reihe tanzt. Leimeister versorgt die Buben so gut es unter den kargen Bedingungen geht. Sie kocht ihnen »Muas«, einen Brei aus Milch, Wasser, Maismehl; und nach besonders schweren Tagen spendiert sie auch einmal Schokolade oder Nürnberger Rostbratwürste aus der Dose, die sie als Notproviant in die Einöde mitgebracht hat.

Die Buben revanchieren sich auf ihre Art. Für den Sonntag nach dem Herz-Jesu-Fest haben sie sich eine Überraschung ausgedacht. Als es Nacht wird, führen sie Sibylle Leimeister, die nicht vom Boden aufsehen darf, zu einer etwas entfernt liegenden Bank. Hier angekommen, sieht sie, wie ringsum auf den Höhen und Hängen über den Dörfern unzählige Feuer brennen. Sie tauchen das Tal in ein unwirkliches Licht. Je dunkler es wird, desto schöner leuchten die Flammen. Und als es kühler wird, rücken die drei auf der Bank eng zusammen, um das Schauspiel noch länger zu betrachten.

»Geht alles« sagt die Bäuerin

»Die Eltern des kleineren Jungen war unendlich dankbar, dass er in dieser alpinen Abgeschiedenheit von mir ein bisschen Nestwärme bekommen hat«, sagt Leimeister. Die Hütejungen arbeiten auf der Alm für einen Hungerlohn von drei Euro am Tag. Gleichzeitig liegen sie ihren kinderreichen Familien im Sommer während der dreimonatigen Ferien nicht als Esser auf der Tasche. Leimeister: »Das sind Verhältnisse, die man sich hier gar nicht vorstellen kann.«

»Geht alles« ist denn auch der Leitsatz der Bäuerin, der sie durch ein Leben voll Entbehrung und Kargheit in den Bergen trägt, die sie gerne zur Idylle verklärt. »Hier darfst net hoakel sein!« ist der zweiter Standardspruch der Bauersfrau, den sie häufig bei ihren Stippvisten auf der Alm zum Besten gibt, während sie ihre Vertreterin aus Nürnberg misstrauisch beäugt. Die hat sich tatsächlich ganz schnell an die neuen Umstände angepasst: »Meinen Perfektionismus habe ich hier auf 2000 Metern Höhe, ohne Kühlschrank und Heizung ganz schnell abgelegt«, bekennt Sybille Leimeister. Es gehört zum Alltag hier, dass Mäuse am Käse knabbern und Fliegen die Wurst umkreisen, die in der Vorratskammer hängt. Abends ist die Hilfssennerin von der vielen Arbeit so müde, dass sie regelrecht ins Bett fällt, nicht selten ungewaschen. Duschen kann man sowieso nur einmal pro Woche.

Durchhaltewillen lohnt sich

Der Aufenthalt erfordert große Zähigkeit, nicht nur einmal ist die freiwillige Helferin kurz davor, aufzugeben und vorzeitig zu ihrem Mann heimzukehren, in ihr schönes Zuhause in Nürnberg. Dass die Arbeit schwer werden und die Bedingungen bescheiden sein würden, darauf war sie durchaus vorbereitet, nicht aber auf die Härte und den Argwohn, den ihr die Bäuerin entgegenbringt. Die Frau hatte ihr ganzes Leben auf der Alm verbracht. Jetzt musste sie ihr Reich einer Fremden anvertrauen, noch dazu einer Städterin. Doch die Auseinandersetzungen mit der oft grantigen, geizigen Bäuerin haben Leimeister geprägt – im positiven Sinn. »Ich bin heute viel ruhiger und gelassener. Ich weiß, alles geht auch einfacher. Man darf nur nicht aufgeben!« Leimeisters Durchhaltewillen lohnt sich. Wenn auf der Alm abends alle Gäste gehen und die Hütejungen schlafen, herrscht eine unglaubliche Stille. In diesen besonderen Momenten ist sie versöhnt mit dem Tag und freut sich auf den nächsten.

Beeindruckt ist sie während ihrer Auszeit vom Wetter im Gebirge – mit gewaltigen Gewittern und Hagelstürmen, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hat, und bis in den Sommer hinein mit Schnee, aber auch mit schönstem Sonnenschein. Die Badesachen, die sie eingepackt hat, weil sie vor ihrer Anreise auf der Karte einen kleinen See in der Nähe der Hütte entdeckt hat, kommen nicht zum Einsatz. Das Wasser ist eisig – selbst im Hochsommer. Dafür kann sie in klaren Nächten unzählige Sterne bewundern. Hier auf dem Berg, fernab der Großstadtlichter, erkennt man sogar die Milchstraße. »Da fühlt man sich dem Himmel sehr nah«, sagt Leimeister.

Sehnsucht nach der Stille und dem schlichten Leben

Als »krass« bezeichnet sie ihre Rückkehr in die »Zivilisation«. Ihr Mann muss sie anfangs daran erinnern, dass sie auch das Licht einschalten kann, wenn sie durch die dunkle Wohnung geht. Und obwohl sie in Nürnberg sehr ruhig an der Pegnitz lebt, kommt ihr alles furchtbar laut vor, vor allem der Verkehr. Sie vermisst das herrliche Bergpanorama und vor allem das Einfache. Vor der Pandemie hat sie gelegentlich in Seniorenheimen über ihre Auszeit berichtet und aus ihrem Buch vergelesen. Die älteren Zuhörer können dieses Bedürfnis nach Einfachheit sehr gut nachvollziehen. Viele von ihnen haben ein solches Leben noch kennengelernt.

Und kann sich die Autorin vorstellen, noch einmal Zeit als Sennerin zu verbringen? »Gerne und sofort würde ich wieder losziehen. Diesmal würde ich mir die Lage der Alm und meinen Aufgabenbereich allerdings etwas genauer anschauen. Vielleicht klappt es ja im Ruhestand mit meinem Mann zusammen«, sagt die 64-Jährige. Nicht umsonst ist der Titel ihres Buches doppeldeutig: »Zeitlang« heißt Heimweh, ein Gefühl das sie auf der Alm oft empfunden hat, weil sie weit weg von Zuhause war. »Zeitlang« heißt aber auch Sehnsucht, in Sibylle Leimeisters Fall nach der Stille im Gebirge, der überwältigenden Natur und dem schlichten Leben.

Text: Alexandra Voigt
Fotos: Michael Matejka und privat

Information

Über ihre Erlebnisse hat ­Sibylle ­Leimeister das Buch »Zeitlang« ­geschrieben, erschienen im Athesia Verlag, Preis: 14,90 Euro. Ein Teil des ­Erlöses aus dem Buchverkauf kommt der Bergbauernhilfe zu Gute.

4 Antworten

  1. 69 Jahre bzw bald 70 würde gerne Mal auf einer Alm reinschnuppern!! wäre das möglich!?? leichte arbeiten!! bin in Pension und lebe allein im Allgäu LG Margot würde mich auf eine Rückmeldung freuen!!!

  2. Hallo ,bin zwar schon 75j .aber noch fit genug,um meine Unterstützung auf einer alm anzubieten , so quasi im Hintergrund,Küche ,bin Gastronomie erfahren ,hab viele Jahre auf einer alm am Tegernsee gearbeitet,komme aus Osnabrück ,ich liebe die Berge , würde mich auf eine Antwort freuen ,liebe Grüße Monika

  3. Hallo,
    bin seid Oktober 23 in Pension,
    habe immer Vollzeit und nebenher im Gastgewerbe im Service gearbeitet!
    Mein Wunsch ist es auf einer Alm zuarbeiten , bin es gewohnt anzupacken und auch mit
    Tieren kein Problem ,
    Iarbeite immer auf einen Bauernhof mit.

    Würde mich auf eine Rückmeldung sehr freuen! I

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