Hello All,
Mutter- und Vatertag liegen hinter uns. Somit sind die obligatorischen Artigkeiten zwischen den Generationen für das laufende Jahr ausgetauscht. Die Rituale im Kampf der Generationen kehren zurück. Wem unter den Älteren danach ist, darf sich wieder über Schule schwänzende Friday For Future-Schüler beschweren. Oder die aktuelle IGLU-Studie zitieren zur absinkenden Lesefähigkeit der Viertklässler. Oder sich über kopfkopfhörerbetäubte Heranwachsende ärgern, die mit E-Roller über die Gehwege flitzen. „Ich habe überhaupt keine Hoffnung mehr in die Zukunft unseres Landes, wenn einmal unsere Jugend die Männer von morgen stellt. Unsere Jugend ist unerträglich, unverantwortlich und entsetzlich anzusehen“.
Das Zitat stammt jedoch nicht von einem grantelnden Fahrgast der Nürnberger Straßenbahn, sondern von Aristoteles, 384-322 v. Chr. Womit ich sagen will, dass das Herummäkeln der Alten an den Jungen schon länger Tradition hat. So klagen keilschriftliche Einträge auf sumerischen Tontafeln (3000. V.Ch)* ebenso wie Pergamente aus dem Mittelalter** sinngemäß „Die Jugend von heute“ hat’s nicht mehr drauf. Mit diesen Nachfahren gibt’s kein Morgen mehr: „Der grenzenlose Mutwille der Jugend ist ein Zeichen, dass der Weltuntergang nah bevorsteht“ (nach Melanchton, um 1530).
Mich tröstet, dass Teile der aktuellen Jugend sich die gleichen Sorgen wie die Senioren um die Zukunft der Welt machen. Mit dem Unterschied, dass viele der Millennials oder Generation Z uns, die Baby-Boomer Generation, für den drohenden Weltuntergang verantwortlich halten: Wir Alten hätten das mit dem CO2, Feinstaub und Plünderung der natürlichen Ressourcen vermasselt. „You broke it, you fix it“, du hast es kaputt gemacht; mach es auch wieder heil, Okay?
Daher schallt in den USA der Klage „Ach, die Jugend von heute“ ein trotziges „OK Boomer“ (Ja, ja, Alter, hast mal wieder recht), entgegen. Ironisch, trotzig, resigniert. Mürrische Boomer meckern analog verbal. Die jungen Kritisierten rächen sich hingegen vorzugsweise auf ihren digitalen Kanälen optisch an den Besser-Wisser-Alten. Populär wurde der aktuelle Schlachtruf der Jüngeren nach einem „Okay Boomer“, Meme auf TikTok, 2019, einem spöttischen Video, das seitdem tausendfach variiert mit neuen Clips und Texten sich über motzende Alte lustig macht.
Ich denke, man muss jenen jungen Amerikanern zugutehalten, dass sie mit „OK Boomer“ differenzierter zurückschlagen als wir in meiner Alterskohorte die Altvorderen anmachten. Die geschmähte Jugend von heute zielt auf die erste Nachkriegsgeneration, die heutigen frischen Rentner. In den sechziger und siebziger Jahren jedoch verdächtigten wir mit dem Kampfruf „traue keinem über Dreißig“ gleich zwei Generationen vor uns, die Chance auf eine bessere, gerechtere Welt verspielt zu haben.
Fünfzig Jahre später mosern die einst rebellischen Zeitgenossen der Hippies, Flower-Power, Pazifisten und Anhänger antiautoritärer Erziehung an ihrer Enkelgeneration herum. Diesmal laden kahl rasierte Schädelseiten anstatt langer Männerhaare zum verbalen Erstschlag ein. Grundsätzlich scheint sich aber wenig geändert zu haben im gegenseitigen Misstrauen, die Zukunft richtig anzugehen.
Mich erinnern diese Übungen an den Reim „Die größten Kritiker der Elche waren früher selber welche.“ Wahlweise F.W. Bernstein oder R. Gernhardt („Titanic“ und „Pardon“) zugeschrieben; trefflich allemal. Ich schöpfe Optimismus aus den historischen Zitaten (s.u.) zum Unmut über die Jungen: Bisher haben sich die Heranwachsenden in den folgenden Lebensjahrzehnten dann doch immer wieder bewährt. Um dann eines Tages selbst über kränkenden Ageismus zu klagen und sich zum Mutter- und Vatertag beglückwünschen zu lassen. Ein Hoch auf zuverlässige Rituale! Denn auch die fördern den sozialen Zusammenhalt. Okay, Boomer?
Euer Global Oldie
*“Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte“ (Keller, 1989, ca. 3000 v. Chr., Tontafel der Sumerer).
**„Die Welt macht schlimme Zeiten durch. Die jungen Leute von heute denken an nichts anderes als an sich selbst. Sie haben keine Ehrfurcht vor ihren Eltern oder dem Alter. Sie sind ungeduldig und unbeherrscht. Sie reden so, als wüssten sie alles, und was wir für weise halten, empfinden sie als Torheit. Und was die Mädchen betrifft, sie sind unbescheiden und unweiblich in ihrer Ausdrucksweise, ihrem Benehmen und ihrer Kleidung“ (Mönch Peter, 1274)