Wer an diesem Nachmittag zuerst kommt, muss erstmal aufräumen helfen. Eine andere Gruppe hatte den Raum chaotisch hinterlassen. Doch mit Chaos und Anpacken kennen sich die Mitglieder des Casa-Vereins in der Nürnberger Südstadt aus, waren sie es doch, die das Lichtspielhaus Casablanca in der Brosamerstraße vor 15 Jahren gerettet hatten. Ganz vorne dabei war damals der Ehrenvorsitzende Helfried Gröbe. Er hat sogar ein Faltblatt mit seinem Foto dabei, darauf trägt er eine Jeans, die mit Farbe bekleckert ist. »So viel wie damals hatte ich mein Lebtag noch nicht gestrichen«, sagt er.
Er war es auch, der Inge Rauh 2011 für den Gesprächskreis Kino angeworben hatte. Die ehemalige Feuilleton-Redakteurin der Nürnberger Nachrichten war zwei Jahre zuvor in Rente gegangen und sagte zu. Viele Kinofans kennen ihren Namen als Filmkritikerin noch sehr gut, für nicht wenige war ihr Daumen hoch oder Daumen runter der Wegweiser durch den Dschungel der Neustarts.
Für diesen Film geht es nicht gut aus
Seit 13 Jahren also führt die 81-jährige Kritikerin diesen Gesprächskreis, die Mitglieder treffen sich einmal im Monat. Zum harten Kern gehören ein Dutzend Frauen und Männer, natürlich alles Kinofreunde. »Wo sind denn bloß die Teller hin?« fragt Rauh und verteilt den Apfelkuchen notgedrungen auf Servietten. Endlich kann es losgehen, das Gespräch über den Film »Die Fotografin«, der von der Kriegsreporterin Lee Miller (1907 – 1977) handelt. Alle haben ihn vorher gesehen. Dazu liest Inge Rauh ihr Exposé vor.
Für den Film geht es nicht gut aus. »Wie kann man fast 80 Jahre später annehmen, dass es reicht, aus diesem Leben ein Kinostück nach herkömmlichem Muster zu machen? Dass es reicht, einen Star wie Kate Winslet an der Seite zu haben, die mit ihrer mächtigen Präsenz alle Einwände wegwischen könnte?«
In ihrem wahren Leben war Lee Miller eine überaus facettenreiche Figur, Model und Fotografin. Rauh urteilt: »Geboten wird im Film eine Schmalspur aus ihrem Leben, nicht mehr.«
Niveau muss sein
Das findet auch Gröbe, Gründungsmitglied des Casa-Vereins und einstiger Kinderklinikchef. »Es ist eher ein Film über Kate Winslet.« Sie spielt nicht nur die Hauptrolle, sondern hat über Miller acht Jahre lang geforscht, den Film mitproduziert und bezahlt. Nach und nach geben auch die anderen aus dem Gesprächskreis ihre Meinungen zum Streifen ab. Dazu melden sie sich mit Handzeichen. Rauh ist es wichtig, dass »nicht alle durcheinanderplappern. Niveau muss sein«. Eine Frau aus dem harten Kern der Runde sagt: »Ich bin ein Kriegskind. Ich habe nie verstanden, wie so viele Menschen nichts gewusst haben wollen von der Vernichtungsmaschinerie der Nazis. Mit meinen Eltern konnte ich darüber nicht reden.« Ein anderer Teilnehmer bestätigt das. Er habe seinen Vater auf den Kopf zu gefragt: »Was hast du 1938 gemacht?« Keine Antwort.
»Die meisten haben die Massenvernichtung unter den Teppich gekehrt«, sagt Inge Rauh. Ihr eigener Vater indes, wackerer Sozialdemokrat, habe alles erzählt und sei überdies eine besondere Art Zeitzeuge gewesen. Als Mitarbeiter der AEG habe er im Auftrag der Kommandatur eine Großküche im KZ Dachau eingerichtet und im Montagetrupp gesehen, wie Lkw Menschen hergebracht hatten. »Dieses Regime bricht einen Krieg vom Zaun, hatte mein Vater daheim schon früh prophezeit und mir später davon berichtet.«
Zuständig für Musik und Gericht
Berichten ist das Stichwort. Als junge Frau ging Inge Rauh zur »Fränkischen Tagespost«, der damaligen SPD-Zeitung. Schmunzelnd erzählt sie, dass ein Kollege im kleinen Team damals für klassische Musik und zugleich für Gericht zuständig gewesen war. Eine später undenkbare Kombination im Journalismus. »Mein Hauptziel war, eine gute Zeitung zu machen. Die Kinokritik ist mir zugefallen, beworben habe ich mich nie.«
Auch als Mentorin des Gesprächskreises hatte sie sich nicht beworben, doch die Aufgabe, das Kino-Genre zu vermitteln, gefällt ihr. Vor allem in der Kombination mit dem Buchhändler Steffen Beutel am Kopernikusplatz, ebenfalls Kinofreund und Mitglied im Casa-Verein. »Die Leute erkundigen sich über Bücher und reden dabei über den Film, den sie gesehen haben oder sehen wollen. Besser geht’s nicht.«
Besser kann es auch nicht für die Kultur in der Nürnberger Südstadt laufen: Im Casa hat sie einen Ankerpunkt. Wie sehr das Kino geschätzt wird, zeigen nicht nur die Helfer im Verein, die alle möglichen Ehrenämter übernehmen, sondern auch die ansehnlich gestiegenen Kartenverkäufe. Inzwischen hat der Verein 1500 aktive und passive Mitglieder. Der lebendigste Beweis für die Resonanz des Kinos aber war für Kinoleiter Matthias Damm, dem einzigen Hauptamtlichen im Casa-Team, das Jubiläumsfest im September: 15 Jahre Casablanca, die Erneuerung »einer wunderbaren Freundschaft« mit den Kinofans, die das berühmte Zitat aus dem Film Casablanca nie vergessen: »Ich schau dir in die Augen, Kleines«.
Text: Angela Giese
Foto: Mile Cindric