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Martina Roßner mit ihrem Eierlikörkuchen à la Oma. Foto: Michael Matejka

Wie schmeckt die Kindheit? Das haben wir in unserer vergangenen Magazin-Ausgabe gefragt und etliche Zuschriften mit Rezepten und Geschichten erhalten.

Wir wollen in unserer neuen Rubrik natürlich auch weiter von den Menschen und ihren Rezepten erzählen. Ziel ist es, diese zu sammeln und sie auf magazin66.de online zu veröffentlichen. Damit diese wertvollen Zeitdokumente nicht verloren gehen, sondern von der nächsten Generation wiedergefunden, ja, wiederentdeckt werden können. Wenn Sie mitmachen wollen, schicken Sie Ihre kulinarische Erinnerungen und die dazugehörigen Rezepte uns bitte per E-Mail an info@magazin66.de.

Aber nun zu den Rezepten und den Erinnerungen: Stopfer mit Hutzlbirnen-Kompott, dieses Gericht gehört zum Beispiel für Gertraud Bühl (83) heute noch zu ihren liebsten Kindheitserinnerungen. Ihre Großeltern lebten am Stadtrand von Ansbach, und die kleine Gertraud verbrachte während der Kriegsjahre dort viel Zeit unterm Birnbaum. Dessen »Holzbirnen« verarbeitete ihre Oma zu Dörrobst, das wiederum zum Stopfer, wie die Franken zum Kartoffelbrei sagen, serviert wurde. Ob der Birnbaum noch steht? Gertraud Bühl winkt ab: »Ja schon, aber sonst erinnert nichts mehr an damals. Da ist ja heute nur noch Morast.« Bühl lebt bereits seit den 50-er Jahren in Nürnberg, ihr Lieblings-Gericht aus Kindertagen hat sie seitdem nicht mehr gegessen. Auch keine »Äpfelbaunzen«, eine weitere Leibspeise: »Das ist eine Art Knödel aus Kartoffelteig, die mit Apfelstücken gefüllt und in einer runden Emaille-Pfanne mit kleinen Mulden im Ofen gebacken wurde«, erklärt die 83-Jährige (Link zum Rezept). 

80 Prozent aller Zusendungen drehten sich um die Knolle

Ja, die Kartoffel. Gerade auf dem Speiseplan der (Nach-)Kriegsgeneration spielte sie eine Hauptrolle. Günstig, gesund, nahrhaft und vielfältig zuzubereiten. Und so wunderte es die Redaktion nicht, dass sich tatsächlich rund 80 Prozent aller Zusendungen um die Knolle drehten. Auch in dem Rezept, das uns Marianne Schüller geschickt hat, geht es um Kartoffeln: »Seit 1955 lebe und wohne ich in Nürnberg, bin in Berlin geboren und esse noch immer liebend gerne gute Pellkartoffeln mit angemachtem Quark, Schnittlauch und Leinöl«, schreibt die 88-Jährige an sechs+sechzig. Der Quark kam auf den Teller, in die Mitte wurde eine Kuhle gedrückt, in das Leinöl gegossen wurde. Dahinein tauchte man dann die Kartoffeln. »Mein Schwiegervater, der das überhaupt nicht begriff, sagte dazu: ›Ach pfui Deibel, Leinöl nimmt man zum Verrühren mit Farbe!‹ Er war Maler.« 

Auf der Suche nach Rauchomaad

Dass aber Kartoffeln von Region zu Region ganz anders zubereitet werden können, erzählt Petra Schwalbe: »Meine Mutter stammt aus dem Erzgebirge und hat natürlich einige Rezepte von dort mitgebracht. Eines davon ist die Rauchomaad oder Rauchemaad – ein einfaches Kartoffelrezept, das bei uns auch heute noch meist als Abendbrot gegessen wird.« Als Kind hatte Petra Schwalbe der komische Name immer beschäftigt. Und niemand – außer der Verwandtschaft im Erzgebirge – kannte dieses Gericht. Im Internet wurde sie dann bei Wikipedia und chefkoch.de schließlich doch fündig: Rauchomaad ist ein Pfannengericht aus gekochten, durch eine Presse gedrückten Kartoffeln, deren Masse nur einseitig knusprig gebraten und mit Kümmel gewürzt wird. »Durch das Knusprige hat man einen Geschmackseffekt wie von Kartoffelchips«, erklärt die Kartoffel-Liebhaberin ihr Lieblingsspeise.

Jedes Wochenende gab es köstlichen Kuchen

Doch nicht nur Kartoffel-Rezepte, die online jetzt auch unter magazin66.de zu finden sind, erreichten uns. Schweinekammbraten mit Bohnengemüse – das ruft in Ingrid Kassel (72) aus Igensdorf Erinnerungen an den Besuch bei den Großeltern in Wetzlar wach: »Der Geruch nach glücklicher Kindheit.« Deshalb wächst auch heute noch im eigenen Garten Bohnenkraut. Für Martina Roßner schmeckt die Kindheit nach dem Eierlikörkuchen ihrer verstorbenen Großmutter. Die Welt bei ihrer Oma in Fürth empfand die heute 48-Jährige Nürnbergerin immer etwas bunter als Zuhause: »In Klatschblättern die neuesten Skandale aus den europäischen Adelshäusern nachlesen, dazu Süßkram naschen«, Dauerfernsehen von »Wicki« bis zum »Blauen Bock« und stundenlang auf dem Sofa schmökern. Jedes Wochenende gab es einen köstlichen Kuchen. Und diese Tradition hat die Lehrerin zur Freude der Lockdown-gestressten Nachbarschaft und ihrer Familie weitergeführt. Die Rezepte für Kuchen und Gebäck stehen in einem alten Kochbuch, das Martina Roßner nach dem Tod der Großmutter erbte. Erst vor zwei Jahren stieß sie auf das handschriftliche Rezept ganz hinten im Buch – für den Eierlikörkuchen. Sofort backte sie den Kuchen und holte sich so ein Stück glückliche Kindheit an den sonntäglichen Kaffeetisch zurück. Er gehört seitdem wieder fest zum Familien-Ritual. (Link zum Rezept). 

Text: Katja Jäkel
Fotos: Michael Matejka

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