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Der diskrete Charm moderner Hotels

vignette2012 Hello All, an den Besonderheiten japanischer Hotelzimmer hatte ich mich an dieser Stelle schon vor zwei Jahren abgearbeitet.* Unfair gegenüber Nippon, denn den Einbau effizienter Seniorenfallen beherrschen Zimmer-Designer auch anderer Nationen virtuos. Es geht nicht um tropfende Wasserhähne, fehlende Türen oder stumme Telefonleitungen wie in den Marigold -Hotelzimmern**, sondern um deren Gegenentwurf, den Wohnmaschinen mit Bekenntnis zum postmodernen Lebensstil. Dazu gehört, elementare Verrichtungen in Bad und Klo aus der kleinbürgerlich verklemmten Verschämtheit zu holen. Es setzen sich raumhohe Glaswände zwischen Schlafzimmer und den bisher verschwiegenen Örtchen durch, die den Blicken vom WC, Bidet und Dusche freien Lauf bieten – jedoch auch in umgekehrter Richtung. Gewiss lassen sich bei zimperlicher Begleitung Jalousien als Blicksperre absenken – so man den entsprechenden Bedienungsknopf rechtzeitig findet. Typische Geräusche und Gerüche dämpfende Türen darf man als Gast solcher stilsicherer Hotelzimmer nicht mehr erwarten. In authentischen Trend- Zimmern ist die Wanne aus dem Bad ausgezogen und steht mitten im Schlafzimmer, gerne auch mal raumgreifend schräg, bisweilen auf einem Podest oder, listig auf erschöpft ankommende Reisende lauernd, als ungesicherter Badegraben in den Boden eingelassen. Schränke und Schubladen tendieren in solchen zeitgemäßen Zimmern ebenfalls zur Unsichtbarkeit. Es gibt diese Ablagemöglichkeiten, jedoch getarnt in den Holzpaneelen und anderen Dekorationselementen eingelassen. Versuchshalber Mal überall an den Wänden im Eingangsbereich Ziehen, Drücken, Schieben – irgendwo geht dann doch noch etwas auf. Schränke, vollgestopft mit Safe, Bügelbrett und -eisen, Kaffeeautomaten, Bademäntel, Schirme, Atemschutzmasken für den Brandfall, Taschenlampen, Einkaufstaschen mit Hotelemblem, so dass kaum noch eigener Plunder reinpasst. Man könnte ja sein Zeugs im Koffer lassen. Blöd, dass sich meist nur Abstellmöglichkeiten für einen einzigen Koffer offenbaren, was für Paare oder Langreisende nicht ausreicht. Es ist ja sowieso gesünder, sich zum auf dem Boden liegenden Koffer zu bücken. Ferner hat schlechte Karten, wer Oberbekleidung in altmodischer Manier zum Lüften oder Trocknen außerhalb eines Schranks aufhängen will. Ab 4 Hotelsterne aufwärts müssen Garderobe- und sonstige Kleiderhaken aus dem fotogenen Zimmerpanorama weichen. Das ungestillte Lüftungsbedürfnis scheint einigen Hotels zumindest bekannt, weil es dort nicht an Schildern fehlt, dass man die Düse der Feuerschutz- Sprenkelanlage an der Zimmerdecke oder die eisig fauchenden Austrittsschlitze der Klimaanlage nicht zum Aufhängen von Kleiderbügel nutzen darf. Zimmer, die selbst erfahrene Reisende wiederholt in faszinierte Ratlosigkeit versetzen. Manche Hotelketten verwöhnen den Gast mit bis 10 Kissen aller Größen, Dichte und Formen, auf und unter dem Oberbett; wohin mit jenen überflüssigen Bettgenossen in hygienisch ordentlicher Art? In die wurfnahe Zimmerbadewanne? Auf den Schreibtischen wimmelt es vor Werbematerial, aber eine freie Steckdose zum Aufladen von Handy, Laptop oder Rasierapparat gibt es ohne Verrenkungen und Kniebeugen häufig nur im Bad. Das hat ja sowieso eine zusätzliche Funktion, s.o.
Ich will nicht nur fortschrittshemmend meckern: Viele der höherklassigen Hotels sind für uns Senioren besser geworden. In Amerikas und Asiens modernen Hotels ist ein unkomplizierter Zugang zum kostenfreien W-Lan/WiFi inzwischen Standard, zumindest in der Lobby. Schön finde ich die modernen Duschen, die tendenziell geräumiger werden, ohne ständig mit dem Ellbogen irgendwo anzustoßen und ohne Stolperfalle beim Eingang. Zusätzliche Handbrausen ersparen den Handstand in der Dusche oder das Sitzbad, wenn man die schattigeren Körperstellen ebenfalls waschen will. Gerade ältere Reisende finden die hohen Betten und WC-Sitze angenehm. Die Auswahl an Lichtquellen hat zugenommen; besonders begrüße ich die Option „Nachtlicht“, das einem blendfrei gedimmt den Fußraum zum Bad ausleuchtet. Doch die Lichtschalterarmaturen am Bett ersetzen als Knopfrätsel jedes Sudoku im Zuge der präsenilen Demenzprophylaxe.
In diesem Zusammenhang gebührt dem Langham Airport Hotel in Peking besonderes Lob, das in den Fernsehkanälen 2 und 3 auf Mandarin und Englisch einen gut verständlichen Bedienungsfilm der Zimmereinrichtung zeigt. Allerdings ohne Hinweis, wie man den Fernseher ankriegt. Soviel Grundwissen sollte man schon mitbringen auf eine Reise, selbst als Senior.
Ihr Global Oldie

*“Japanische Hotelzimmer als ein Abenteuerspielplatz“; Blog vom 19.3.2013 ** siehe Beitrag im magazin66, Sparte Reise & Kultur „Best Exotic Marigold Hotel“, 1.4. 2015

4 Antworten

  1. hallo global oldie, ich amüsiere mich immer köstlich, über deine tollen berichte, da ich teilweise ähnliche erlebnisse hatte. bitte lasse uns weiter die welt mit deinen augen sehen, danke.

    1. danke für die Aufmunterung, uli! ohne solche rückmeldungen ich weiss gar nicht, wer meine gedanken, beobachtungen und mutmassungen liest und wie sie der Leserschaft runter gehen oder im halse stecken bleiben. mir geht es darum, mich den kleinen und grösseren tückens des alterns möglichst gut gelaunt zu stellen; schlechte nachrichten über die welt und über mich selbst kommen ja ungefragt ins haus und auf den bildschirm.

  2. Hallo Herr Fargel,
    Ihre Rückmeldung ermuntert mich, ebenfalls was zu schreiben. Gestern übernachtete Ed Pratt bei mir, ein junger 19-Jähriger Einrad-Fahrer, der am 14.3.2015 in seiner Heimal England für einen Weltumrundung startete. Mit dem Einrad!! Und Gepäck! Heute begleitete ich ihn ein Stück des Wegs, nach einem wunderbaren Frühstück und interessanten Gesprächen und Zukunftsideen seinerseits. Während des Radelns suchte ich nach eigenen Zukunftsideen, wie nun ich meinen baldigen Lebensabend verbringen könnte, vielleicht mit einer ähnlichen Aktion? Über das Googeln mit “ältester Weltumrunder” stieß ich auf Ihre Seite. Fasziniert las ich so einiges, was Sie schrieben. Und noch faszinierter bin ich von Ihrer Lebenseinstellung, sich den “kleinen und grösseren tückens des alterns möglichst gut gelaunt zu stellen”. Diese Haltung fehlt vielen Deutsch, was auch Ed monierte. Ihm fiel die Gleichgültigkeit auf, mit der andere Radfahrer ihm begegneten aber (nur in Deutschland) nicht grüßten. Oder die Situation, in der er eine Panne hatte, aber niemend stehen blieb und fragte. Hilfe hat eh keiner angeboten. Diese kühle Art hatten ihn regelrecht erschreckt. (was übrigens auch bei mir immer noch der Fall ist, schon seitdem ich mit 15 Jahren nach Deutschland zog).

    Umso erfreuter war ich dann über den Stil Ihrer Texte.
    Bitte behalten Sie Ihren wunderbaren Humor.

  3. mit dem einrad um die welt – der junge mann macht meiner ansicht nach alles richtig: seinen traum zu leben, anstatt vom leben zu traeumen. diese erfahrungen und begegnungen werden noch jahrzehnte lang ihm inspiration sein, egal, ob und wie er das vorhaben durchzieht.
    der junge bursche ist ein vorbild, fuer uns aeltere, die, mit dem begrenzten zeitbudget und abschmelzenden physischen moeglichkeiten: im anberechenden alter es ist hoechste zeit, sich an die bisher aufgehobenen oder aufgeschobenen projekte zu machen – ausser zeit haben wir aelteren vergleichsweise wenig zu verlieren, denke ich.

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