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Alles klar, Herr Kommissar?

In Pension gehen geht nicht, wenn man ein beliebter TV-Kommissar ist: Miroslav Nemec (links), der Darsteller von Ivo Batic, ist im realen Leben bereits 69 Jahre alt und hier mit Kollege Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl), Regisseurin Pia Streitmann, Peter Faber (Jörg Hartmann) und Produzent Michael Polle zu sehen. Bild: WDR/BR/Hagen Keller

Manchmal spüren sie ihr Alter. Da haben die »Tatort«-Kommissare eine Verfolgungsjagd nach einem viel jüngeren Täter gestartet – und zwei Straßen weiter geht ihnen die Puste aus. Oder sie bleiben an einem Zaun hängen, den der Verfolgte mühelos überwand. Dann murmeln sie etwas von ausbleibender Fitness oder beschimpfen ihr gebrechliches Gerippe. Doch wahrscheinlich sind sie in der nächsten Folge der seit 1970 offensichtlich unsterblichen Reihe mit ihrem Team aus Münster oder München wieder gut drauf und rennen minutenlang locker durch ein Parkhaus. Schließlich gibt es Stunt-Doubles genug.

Tatsächlich ist der Prozess des Altwerdens kaum ein Thema im deutschen Fernsehkrimi. Die Zuschauer erleben, wie die Haare der Ermittler immer silbriger ergrauen. Sie zählen die Falten, die sich in die Gesichter graben. Die Arbeit der Zeit am Menschen ist daran bestens abzulesen. Doch physischer Verfall wird lieber nicht diskutiert, beginnende Demenz spielt keine Rolle. Eher schon der Tod. Aber der tritt gern spontan und heftig ein, wenn eine Figur aus der Serie geschrieben werden muss. Und er trifft meist Polizisten und Polizistinnen in jüngeren Jahren – heroisch im Einsatz wie die Berlinerin Nina Rubin (Meret Becker) oder den vornamenlosen Weimarer Lessing (Christian Ulmen). Ich kann mich an keine Folge erinnern, in der das Team einen altersschwachen Kollegen am Sterbebett besuchte. Vielleicht haben ja Leser eine Idee.

Die beliebtesten Teams sind auch die ältesten

Das Altern im Fernsehkrimi ist tatsächlich keine Frage der Physis, sondern der Beliebtheit. Die Darsteller sind Stars. Ihre Auftritte garantieren die Einschaltquoten. Die beliebtesten Teams sind daher selbstverständlich auch die ältesten. Ihre Darsteller haben manchmal schon das reale Rentenalter im Berufsleben erreicht. Aber wir Zuschauer wollen sie nicht loslassen. Schließlich begleiten sie uns selbst ins Seniorenheim. Sie sind uns vertraut, wir sind an sie gewöhnt. Und erfahrungsgemäß fällt Umgewöhnung mit zunehmendem Reifegrad immer schwerer.

Also freuen wir uns am Sonntag am meisten auf unsere betagtesten Ermittler. Als da wären: Lena Odenthal aus Ludwigshafen, Ivo Batic und Franz Leitmayr aus München, Max Ballauf und Freddy Schenk aus Köln sowie Moritz Eisner und Bibi Fellner aus Wien. Keiner ihrer Darsteller und keine Darstellerin ist im wirklichen Leben unter sechzig Jahre alt. Sie könnten sich also allmählich um ihren Rentenbescheid kümmern. Vor allem Miroslav Nemec, der den Ivo Batic spielt. Er zählt tatsächlich 69 Lebensjahre und bezöge als realer Hauptkommissar längst eine gute Pension. 

Alternden Kommissare entsprechen dem alternden Publikum

Doch auf der Bühne haben wir ja auch schon jugendliche Hamlets gesehen, die von stattlichen Herren verkörpert wurden. Die Rolle ist nicht das Leben – auch wenn das viele Zuschauer nach rund 100 Jahren Fernsehempfang immer noch nicht begriffen haben und den Schauspieler im Supermarkt als »Herr Hauptkommissar« ansprechen. Wenn der Typus vor der Kamera noch dienstfähig rüberkommt, darf er nach den Spielregeln des Showbusiness auch den Ermittler mimen. Zumal die alternden Kommissare ja immer mehr dem alternden Publikum entsprechen. Der »Tatort« – wie das zeitanalog empfangene Fernsehen überhaupt – hat ein Demografie-Problem. Jüngere Zuschauer und Zuschauerinnen tummeln sich auf anderen Medien in anderen Serienwelten. Sie kennen Frau Odenthal oft überhaupt nicht. 

Lena Odenthal alias Ulrike Folkerts ist die dienstälteste »Tatort«-Kommissarin. Seit 1989 ermittelt sie für den Südwestfunk in Ludwigshafen und hat inzwischen 78 Fälle geklärt. Wie fast alle TV-Polizisten hätte sie ihre Arbeit im wirklichen Leben wohl längst beendet, so oft ist sie bedroht, körperlich attackiert, entführt, gedemütigt worden. Ihr langjähriger Ko-Polizist Mario Kopper, gespielt von Andreas Hoppe, ist vor langer Zeit nach Italien abgehauen. 

Angesichts der brutalen Karriere, die inzwischen jeder »Tatort«-Kommissar durchlaufen muss, haben die Drehbuchautoren Lena Odenthal auch schon in den Burnout geschickt und sie über ein mögliches Ende der Figur nachdenken lassen: »Meine größte Angst ist, dass ich allein zu Hause sterbe und dass mich niemand findet, weil mich niemand vermisst, und dass meine Katze nach ein paar Tagen, wenn das Katzenfutter aufgebraucht ist, anfängt, mich aufzufressen.« Das ist nicht die Sorge von Frau Folkerts. Es ist Lenas potentielle Zukunftsperspektive.

Neurotisch angelegte Charaktere sind angesagt

In der letzten Zeit mussten die Zuschauer und Zuschauerinnen zudem befürchten, dass die Kommissare ihren Job psychisch nicht allzu viele Folgen durchstehen können. So neurotisch haben die Autoren die Charaktere angelegt. Peter Faber (Jörg Hartmann) aus Dortmund ist nur die Spitze des Eisbergs. Solchen Typen (Götz Georges höchst beliebter Schimanski gehörte auch schon in diesen Kreis) möchte der Bundesbürger lieber nicht in die Fänge geraten, sollte er mal mit der Polizei in Kontakt kommen. Aber auch der »Körperbulle« Schimmi war gealtert und hatte seine letzten Fälle im Ruhestand gelöst.

Altern bedeutet Abschied. Dem Fernsehpublikum werden in nächster Zeit viele Abschiede von seinen Krimi-Helden bevorstehen – eben weil die Schauspieler in die Jahre gekommen sind. Und wer mit zitternden Händen zur Dienstwaffe greift, überzeugt weder als Medien-Figur noch kann er den Arbeitsalltag von Rechtshütern halbwegs glaubwürdig mimen. 

Eine der ersten, die demnächst zu gehen hat, muss ausgerechnet das fränkische Polizeipräsidium verlassen. Paula Ringelhahn wird 2024 vor ihre letzte Aufgabe gestellt. Ringelhahns Darstellerin Dagmar Manzel ist kürzlich 65 geworden und zieht die Konsequenzen, die draußen im Leben trotz aller Renten-Diskussionen in diesem Alter auch meist gezogen werden. Der »Tatort« wird schauspielerische Umbrüche in München, Köln, Kiel und Wien erfahren. Und auch die witzigen Münsteraner kommen in die Jahre. Wenn erst einmal die Maskenbildner die meiste Arbeit an einer Serie leisten und die Text-Trainer beim Einüben der Dialoge Überstunden machen müssen, wird es heikel.

Text: Herbert Heinzelmann
Fotos: www.ardfoto.de

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