Hello All,
man muss die Kunstausstellung in den florentinischen Uffizien einmal im Leben bewundert haben. Heißt es in besser gebildeten Kreisen. Mission soeben erfüllt; doch mit unerwarteter Wirkung auf mich. Denn nach drei Stunden hielt ich es nicht mehr aus. Weniger den steten Menschenstrom, dem ich energisch Widerstand leistete. Auch das Stimmgewirr in den Ohren und die aufkommende Schwere in den Beinen gehören zu einem normalen Museumsbesuch. Nach hunderten Bildern und Skulpturen aus zwei Jahrtausenden lähmte mich jedoch zunehmend das gefühlte Leitmotiv aller Darstellungen: die Freudlosigkeit.
Aus kaltem Marmor befreite jugendliche Schönheiten und reife Gestalten aller Geschlechter, Helden, Mächtige, Halb- und Vollgötter: Lassen sie Dankbarkeit oder Glücksempfindung erkennen? Fehlanzeige. Sie alle blickten sinnierend, ernst, drohend oder gequält drein. Gesichter und Gestik von beherrscht bis zermartert, ohne auch nur einen Hauch an spontaner Freude. Mit genialem Können haben die Artisten Falten, Venen, Muskeln, Brüste und Gesichter bis ins Detail herausgearbeitet. Von realistisch bis idealistisch überhöht. Gehörte Lebensfreude nicht ins Repertoire der Auftraggeber oder Ausführenden? Aus den Gemälden sprach eine ähnlich ernste Mischung: Stolz und Arroganz, Kühnheit und Weisheit las ich in den Gesichtern. Ich sah hunderte geschundene Märtyrer und deren Peiniger, menschliche wie himmlische Augenzeugen: mit der den grausigen Umständen entsprechenden Haltung und Mimik. Selbst die vermeintlich glücklichen Anlässe wie Verkündung, Geburt des Heilands, dessen Huldigung, Taufe, Auferstehung oder Himmelfahrt motivierten die Maler nicht zur Darstellung offener Freude.
Womit schmückten die Mächtigen aus Kirche, Adel und Reichen ihre Räume? Mit schwerer Kost für die Augen. Ich setzte mich demoralisiert auf einer Bank. So viele prächtige Gänge und Säle voll gemeisselter und gemalter Trauer, Heldentum, Kampf, Macht und Bedrohung. Hat Lebensfreude keine Tradition im Abendland; ist sie kein Ziel in unserer hellenistischen, römischen und christlichen Kultur? Lebe ich in einer Gesellschaft mit zutiefst morbiden Wurzeln? Ich hatte genug von Kunst und Lust am Schmerz.
Auf dem Weg zum Ausgang kam ich doch noch an einem positiv stimmenden Bild vorbei: Die Anbetung des Kindes, dargestellt von Gerrit van Honthorst, auch Gherardo Delle Notte genannt; aus dem 17. Jahrhundert. Maria lächelt ihr Baby an; zwei Engel unverkennbar auch. Die drei munterten mich auf; ein Lichtblick zumindest, unter tausend finsteren Exponaten. Ohne jeglichen Abschiedsschmerz ließ ich die Uffizien und deren tristen Hauptdarsteller zurück. Um mich in das quirlige Straßenleben Florenz‘ einzufädeln und mich über die vielen gut gelaunten Menschen in der Realität zu freuen.
Ihr Global Oldie