Bücher, Briefmarken, Bierdeckel – die Menschen sammeln alles Mögliche. Der Sammeltrieb steckt tief in uns drin. Mit jeder Neuerwerbung wächst die Zufriedenheit, aber zugleich der Ansporn, ständig weitere Dinge zu erwerben. Viele stellen sich jedoch irgendwann die Frage: Was passiert einmal mit der Sammlung, wenn ich nicht mehr bin?
Dieter Mensenkamp aus Detmold hat eine Lösung gefunden, mit der er vollauf zufrieden ist. Bei dem gelernten Ingenieur und Lehrer dreht sich alles um Spiele: Allein schon die ansprechende, aufwendige Gestaltung von Brettspielen und ihrer Verpackung fasziniert ihn immer wieder. Als er jenseits der 40 war, hat ihn die Sammelleidenschaft richtig gepackt. Über dreieinhalb Jahrzehnte hinweg graste er Flohmärkte ab, besuchte Auktionen in Köln, Bayreuth, Hof und Nürnberg und schaute sich auf Antikmärkten in Dortmund und Hannover um. Sein Anspruch: Mensenkamp wollte »Universalsammler« sein und sich nicht auf Sparten oder Teilaspekte beschränken. Ihn interessiert alles, was den Spieltrieb des Menschen weckt. Und so wuchsen die Bestände in einer ehemaligen Schmiede, die er selbst zum Depot umgebaut hatte, allmählich auf über 5000 Spiele aus vier Jahrhunderten an. »Es ist die bedeutendste Privatsammlung von historischen Spielen«, betont Stefanie Kuschill vom Deutschen Spielearchiv in Nürnberg. Es ist unglaublich, welche ungewöhnlichen Exponate Mensenkamp zusammengetragen hat. Und es ist ein riesiger Glücksfall für Nürnberg, dass der mittlerweile 80-Jährige sich entschlossen hat, sein Lebenswerk dem Deutschen Spielearchiv im Pellerhaus zu überlassen. Kostenlos übrigens, eine äußerst noble Geste. Immerhin hat er Unsummen für die Brettspiele, Quartette, Glücks-, Ordnungs- und Geschicklichkeitsspiele ausgegeben.
Ausdauer und eine ruhige, geschickte Hand
Wie viel Geld er insgesamt investiert hat, kann er gar nicht sagen: »Ich habe nicht Buch darüber geführt. Aber für besondere Raritäten, zum Beispiel aus dem 18. Jahrhundert, habe ich 2000 Euro bezahlt. Andere geben ihr Geld für Sport oder Fernreisen aus, ich habe es eben für mein Hobby verwendet.« Neben Geld hat er auch jede Menge Zeit investiert: Nicht nur, um verborgene Schätze aufzuspüren, sondern um die teils ramponierten Exponate wieder zu reparieren. Quartettkarten, Figuren und Spielbretter mussten gereinigt, aus dem Leim gegangene Schachteln sorgfältig zusammengefügt und zerrissene Spielpläne geklebt werden. Viel Ausdauer und eine geschickte, ruhige Hand waren für die Behandlung der Schätze aus Karton und Papier nötig. Wichtig war dem Besitzer, die Objekte nicht makellos zu restaurieren: »Das Zeitflair durfte nicht verloren gehen!«
Die Schenkung ist für das Deutsche Spielearchiv in zweierlei Hinsicht sehr bedeutsam: Zum einen wegen ihrer Größe, schließlich umfasst das Spielearchiv rund 40.000 Exponate, Mensenkamp steuerte also ein Achtel bei. Und zum zweiten erweitert die Sammlung den zeitlichen Horizont enorm: Die Bestände des Spielearchiv beginnen schwerpunktmäßig in der Nachkriegs- und Wiederaufbauzeitzeit. Die Detmolder Sammlung beginnt dagegen um 1700 und endet – hauptsächlich aus Platzmangel – in den 1950ern. Beides ergänzt sich also optimal. Der Reiz des Spielesammelns liegt für den Senior nicht nur in der Ästhetik der Gestaltung, sondern auch in der Originalität und dem Witz: Sein besonderer Liebling heißt »Im Zoo«, er hatte es 1986 als allererstes Exemplar seiner Sammlung erworben. Die Schachtel zeigt einen Elefanten mit Brille und Krone, auf dessen Rücken ein Eier legender Hahn thront. Im Rüssel trägt der Dickhäuter ein Fähnchen mit der Aufschrift »Immer lustig«.
Ein bisschen Psychologie ist dabei
Spielen soll Spaß machen, Spielen verbindet, schafft Kommunikation unter den Menschen: Daher hat Mensenkamp neben der eifrigen Sammelei Spielenachmittage veranstaltet, die er auch jetzt wieder in seiner alten Schmiede anbietet. Zwischenzeitlich war dies nicht möglich, weil das Gebäude mit seinen Exponaten vollgestopft war. Am Brett würfeln und mit den Figuren ein paar Felder weiter zum Ziel zu ziehen, das ist für den Pädagogen mehr als nur fröhliche, unbeschwerte Stunden erleben: »Hier lernt man die Menschen richtig kennen. Wer im Spiel nicht verlieren kann, der kann es im Leben auch nicht.« Ein bisschen Psychologie ist also durchaus bei der scheinbar harmlosen Freizeitbeschäftigung dabei.
Übrigens: Mensenkamp hat nur wenige seiner über 5000 Spiele selbst ausprobiert. Eigentlich nur, wenn er sich mit dem Spielprinzip vertraut machen und sie in seine Kategorisierung einpassen wollte. Um bei seinen wachsenden Beständen nicht den Überblick zu verlieren, entwickelte er ein eigenes Ordnungssystem: Er unterscheidet acht Hauptbereiche (Brettspiele mit und ohne Würfel, Glücks-, Ordnungs- und Geschicklichkeitsspiele, Frage-Antwort- und Beschäftigungsspiele sowie Spielesammlungen), die er wiederum in 125 Untergruppen einteilte. So hat er im Lauf der Zeit ein immer weiter verfeinertes System ausgetüftelt. Jedes Spiel fotografierte er und vermerkte auf der Rückseite der Fotos Inventarnummer, Titel, Hersteller und Jahr. Die Bilder dienen als Karteikarten, die er ordentlich sortiert in einem Koffer aufbewahrt.
Schätze in Schachteln
»Dieser Koffer ist Gold wert«, urteilt Kuschill vom Deutschen Spielearchiv. Denn die vom Sammler recherchierten und ergänzten Angaben – eine Herkulesaufgabe – können jetzt in digitale Datenätze einfließen, die später einmal der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Allerdings wird dies wegen der umfangreichen Erfassung noch einige Zeit dauern. Über 60 Ausstellungen in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden hat Dieter Mensenkamp mit seinen Spielen bestückt oder selbst kuratiert. Auch im Nürnberger Spielzeugmuseum hat er etliche seiner Raritäten vor Jahren präsentiert. Aktuell ist dort erneut eine sehenswerte Sonderausstellung mit dem Titel »Schätze in Schachteln« zu sehen, die einen Eindruck von der unendlichen Sammelfreude des Nordrhein-Westfalen vermittelt. Es lohnt sich, die Schau im Haus an der Karlstraße zu besuchen und dort zu den Würfeln zu greifen. In einer Ecke kann man nämlich etliche Spiele ausprobieren – natürlich nicht die Originale, aber liebevoll gestaltete Replikate.
Vor drei Jahren hat sich der Rentner entschlossen, seine umfangreiche Sammlung abzugeben: Der kleinere Teil mit Beschäftigungsspielen (Strick-, Häkel- und Bastelarbeiten) ging ans Spielmuseum Soltau in Niedersachsen, der Schwerpunkt zog ins Deutsche Spielearchiv nach Nürnberg um. Damit kehrten auch viele Exponate zurück, die einst in der Metropolregion angefertigt wurden. Schließlich waren viele Spielehersteller früher in Nürnberg und Umgebung ansässig. Ist es nicht ein schwerer Schritt, sich von dem über Jahrzehnte aufgebauten Lebenswerk zu trennen? Es sei ein gemischtes Gefühl, räumt Dieter Mensenkamp ein. Aber er ist froh, seine Schätze aus Pappe, Holz und Papier gut untergebracht zu haben. Es wäre schmerzlich für ihn, wenn sie unbeachtet und nicht geschätzt irgendwo verstauben würden. »Ich konnte sie zwar nicht leicht hergeben, aber letztlich habe ich es dann doch gern getan«, erzählt der Senior, »und irgendwann muss man ja sowieso loslassen.« Andererseits – ganz aufgeben kann der 80-Jährige doch nicht: Bei ihm zuhause stapeln sich schon wieder einige neu erworbene Spiele: »Der Reiz, das Kribbeln ist geblieben!«
Text: Hartmut Voigt
Fotos: Museen der Stadt Nürnberg, Deutsches Spielearchiv Nürnberg
Fliegeralarm als Unterhaltungsspiel? Manches erscheint heute nicht mehr zeitgemäß.
Das Deutsche Spielarchiv Nürnberg
Das Deutsche Spielearchiv Nürnberg im Pellerhaus am Egidienberg umfasst rund 40.000 Gesellschaftsspiele und dokumentiert Brett- und Tischspiele aus dem deutschsprachigen Raum seit 1945. Mit der Sammlung Mensenkamp erfuhr die Institution eine bedeutende zeitliche Ausweitung auf die zurückliegenden vier Jahrhunderte. Das Spielearchiv ist eine Forschungs- und Dokumentationsstelle; die Mitarbeiter der kulturgeschichtlichen Sammlung akquirieren Neuerscheinungen bei den Spieleherstellern. Immer wieder melden sich Anrufer, die beim Räumen ihres Kellers oder Dachbodens auf interessante Dinge gestoßen sind.
Der Spielekritiker und Sammler Bernward Thole hatte das Deutsche Spielearchiv 1985 als private Initiative mit einem Trägerverein gegründet und es als »Gedächtnis der Spielebranche« bezeichnet. Die umfangreichen Bestände lagerten in Marburg. Die Stadt Nürnberg bekundete 2009 aufgrund ihrer reichhaltigen Spieletradition ihr Interesse, als das Archiv zur Disposition stand. Mit Hilfe der Nürnberger Spielwarenmesse, der Zukunftsstiftung der Sparkasse Nürnberg sowie des Vereins Spiel des Jahres als finanzkräftige Sponsoren konnte der Umzug in die Noris gestemmt werden. Für 100.000 Euro wurden die Schätze erworben.
Wichtig ist dem Spielearchiv die Kooperation mit Hochschulen und Universitäten. So hat die Erlanger Friedrich-Alexander-Universität Projekte zum Thema »Gender in games« durchgeführt. Die Universität Augsburg interessierte sich besonders für Spiele, welche die Mutter-Kind-Beziehung stärken könnten. Eine kanadische Forscherin aus Vancouver untersuchte Brettspiele, die sich mit der römischen und griechischen Antike beschäftigen. Die seltenen Bestände lagern in säurefreien, grauen Kartons und füllen zahllose Regale im Pellerhaus als dem »Haus des Spiels«. Mit dem Aufbau einer Online-Datenbank soll das bedeutende Archivgut eines Tages weltweit zugänglich gemacht werden. »Es ist eine wichtige Plattform für die Forschung, aber es wird vor Ort auch gespielt«, erklärt Kulturwissenschaftlerin Stefanie Kuschill (Bild) als Mitarbeiterin des Spielearchivs. Werktags veranstaltet der Verein Ali Baba schon seit vielen Jahren Spieleabende, an Sonntagen lädt das Spielearchiv zu kostenlosen Spielenachmittagen ein. Schließlich will die Einrichtung den Reiz des Spielens ganz konkret erfahrbar machen.
Text: Hartmut Voigt
Foto: Claus Felix