Hello All,
wir sind heil zurück, von unserer alljährlichen Radtour. Der fünfundzwanzigsten in Folge. Ursprünglich verspotteten die daheim Gebliebenen die Veranstaltung als „Altherren-Radtour“. Weil wir sechs Familienväter unsere schwer bepackten Räder offensichtlich zu zäh in Schwung brachten. Um vier bis fünf Tage später wettergegerbt, dreckig und meist etwas rundlicher zurückzukehren. Sportliche Spitzenleistung stand von Anfang an nicht im Vordergrund. Uns ging es um Erholung vom damaligen Berufsalltag; um Freundschaft und Landschaft. Langsam reisen, garniert von kleinen Abenteuern wie Wetterumschwung, Pannen, Umwege, Steigungen, Muskelkater, Stürze und immer wieder Biergarten-Fata Morganas. Anfangs ließen wir uns von kulinarischen Reiseführern von einem „Geheimtipp“ zum nächsten Feinschmeckerziel dirigieren. Was Freude machte; bis zum Wiedersehen mit der heimischen Personenwaage.
Ein Viertel Jahrhundert später beschreibt der ehemalige Spottname, was wir inzwischen geworden sind: ein Altherren-Trupp von Ü-Siebzigern, die entschleunigt losstrampeln. Von einer Ausnahme abgesehen, auf klassischen Tourenrädern, ohne Scheibenbremsen und ohne E-Motoren-Hilfe. Womit wir dieses Jahr auf dem Drau-Radwanderweg vom Fuß der Dolomiten bis nach Klagenfurt in Ostkärnten auffälligen Minderheitenstatus erzielten. Wir haben uns in anderer Hinsicht unserem Alter angepasst. Die Touren starten nicht mehr im Herbst, sondern im Sommer. In kurzen Hosen und Sandalen sind wir bequemer unterwegs, mit weniger und leichterem Gepäck. Inzwischen tragen wir alle einen Helm. An Stelle von Baseballmützen mit Aufdrucken wie: „It took me 60 years to look so damned good“. Was zudem gelogen wäre. Unsere Tagesdistanzen sanken von 80- 100 Km auf 60-70 Km. Nunmehr überwiegend in Flusstälern und entlang von Seen. Wir meiden absehbar allzu hügeliges Gelände und spekulieren auf Gefällstrecken. Wobei wir die Erfahrung machen, dass das erhoffte Radweg bergab in einem Gebirgstal durch Gegenwind, der ab Spätvormittag den Bergwänden entgegen strebt, mehr als wett gemacht werden kann.
Feinschmeckerlokale als relevante Zwischenziele sind anderen Routenkriterien gewichen: wir bevorzugen reine Radwege mit sicherer Distanz zu Lastwagen, Autoverkehr und Motorrädern. Wir suchen Bahnzubringer mit großzügigen Fahrradmitnahmemöglichkeiten. Das Angebot in Deutschland erweist sich in dieser Hinsicht gegenüber Italien und Österreich als unterentwickelt. Entsprechend oft kommt es zu mißlaunigem Gedränge in den engen Fahrradabteilen und zu schmalen Einstiegen. Unsere Unterkünfte sind im Laufe des Vierteljahrhunderts bequemer geworden. Zudem haben sich Hotels und Pensionen auf Radtouristen eingestellt. Ohne kritisch beäugt zu werden, dürfen wir Radler auch klatschnass, mit staubigem Gepäck und verölten Fingern eine gehobene Lobby betreten. Touren- und Rennradlerkluft haben es zur Salonfähigkeit geschafft. Wir vergelten diese Toleranz mit erhöhtem Umsatz an Speisen und Getränken.
Früher stiegen wir unterwegs jeden Tag mindestens einmal bei einem Museum, Denkmal oder Ausstellung ab. In jüngerer Zeit reicht uns oft ein trockener Platz zum Ausruhen und Vespern, bei gedämpft kulturellem Hunger. Früher schossen wir hunderte Fotos; inzwischen reichen uns ein knappes Dutzend „best of the tour“-Bilder. Man schaut sie sich danach nur selten an. Wir reden abends noch immer lebhaft über Politik und Lebensentwürfe; doch mehr über unsere Zipperlein und jene, denen es zur Zeit schlechter ergeht. Dann schwant uns, es ist nicht selbstverständlich, dass wir fast jedes Mal heil zurückgekommen sind. Mit der Ungewissheit, wie viele weitere Jahre wir noch zusammen radeln können. Ab wann die Altherren-Radtour von der gelebten Familientradition zur überlieferten Familiensaga mutiert. „Wisst Ihr noch, damals …
Ihr Global Oldie