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Haben die Menschen früher mehr gearbeitet?

Auf der Internet Plattform Tiktok beschweren sich Influencerinnen über eine Vollzeitstelle mit 40 Stunden pro Woche und 30 Tagen Urlaub, weil sie dies als Zumutung empfinden. Wo soll denn da die Work-Life-Balance bleiben, fragen sie? Dass die Jugend stets als weniger fleißig gebrandmarkt wird, ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. So folgte nach den Gammlern ab 1964 um 1980 die Null-Bock-Generation, und inzwischen steht die Generation Z (um 2000 Geborene) im Fokus der Kritik. Vertreter der Altersgruppen 20 plus, 40 plus und 60 plus haben uns ihre ganz persönliche Einstellung zur Arbeit verraten. Ihre Antworten fielen höchst unterschiedlich aus.

Doris Vittinghoff zieht eine positive Bilanz ihres berufslebens, auch wenn es nicht immer einfach war. Foto: Othmar Wiesenegger

Doris Vittinghoff, 72 Jahre, ehemalige Kuratorin des Siemens Med Museums Erlangen

Unter Arbeit verstehe ich jede Art von Tätigkeit, egal ob bezahlt oder nicht. Dass jedes Arbeitsverhältnis auf rechtlichen Grundlagen basiert, damit Arbeitsschutz und Bezahlung geregelt sind, ist eine wichtige Errungenschaft hierzulande. Die Gewissenhaftigkeit, Pünktlichkeit und der Drang, sich stark mit der Arbeit zu identifizieren, sind auch in den Augen unserer Nachbarn typisch deutsche Eigenschaften.

Ich habe sehr gerne gearbeitet, wenngleich es auch Zeiten gab, in denen Tätigkeit und Qualifikation nicht so gut zusammengepasst haben. Wenn die eigenen und die äußeren Ansprüche adäquat sind, das Klima gut ist und die zu bearbeitenden Themen machbar und spannend sind, ist es ein ideales Arbeitsverhältnis. Ich hatte das Glück, eine wunderbare Aufgabe zu bekommen, indem ich die Firmengeschichte von Siemens Med Technik gesichert habe, Daten und Bestände dadurch für die Öffentlichkeit zugänglich wurden. Das hat mit meiner Ausbildung zur Lehrerin gut harmoniert und mein pädagogisches Gespür war sehr hilfreich. Die Mitarbeiter waren dankbar, die eigene Firmengeschichte so zu dokumentieren. Die Besucher, darunter viele Schulklassen, haben gute Rückmeldungen gegeben.

Dabei war der Einstieg nicht einfach. Ich war Quereinsteigerin, weder Ingenieurin noch Kauffrau, wie es zur damaligen Zeit in dem Unternehmen üblich war. Es gab die alten Strukturen in hierarchischer Hinsicht zwischen Chef und Sekretärin. Als der Computer eingeführt wurde, empfand ich es als befreiend, weil ich vieles nun selbst ausführen konnte.

Natürlich ist die Bezahlung wichtig, schließlich möchte man mit seinem Beruf sein Leben finanzieren. Aber es hat auch etwas von Berufung. Bei mir war das so. Bei meinem Vater, einem absoluten Arbeitstier, war die Arbeit sehr bestimmend, sie war sein Leben.

Bei mir hat die Freizeit einen hohen Stellenwert. Im Ruhestand treibe ich Sport und reise gerne. Ich übe zudem etliche Ehrenämter aus. Ich bin mit meinem Leben jetzt zufrieden. Noch einmal zurück in die Arbeitswelt möchte ich nicht mehr. Das Arbeitsklima wird stark von Menschen bestimmt. Im Homeoffice zu arbeiten, könnte ich mir daher nicht vorstellen.

Hans Mimler hat gerne gearbeitet. Foto: Michael Matejka

Hans Mimler, 76 Jahre, ehemaliger Vorsitzender des ­Gesamtpersonalrats der Stadt Nürnberg

Arbeit ist ein Teil Selbstverwirklichung, zumal ich mein Hobby später zum Beruf gemacht habe. Typisch für uns in Deutschland ist, dass wir alles ganz genau nehmen und damit manches überregulieren. Wir schaffen perfekte Vorschriften, damit wir alles richtig machen. Das ist manchmal eher hinderlich.

Ich habe bis zum letzten Tag sehr gerne gearbeitet. Mit 65 Jahren und zwei Monaten bin ich nach 49 Arbeitsjahren bei der Stadt in den Ruhestand gegangen. Für mich war es besonders wichtig gewesen, etwas für die Arbeitnehmer herauszuholen, anderen zu helfen. Der öffentliche Dienst hat sich stark geändert. Vor 60 Jahren war die Stadtverwaltung völlig anders organisiert. Jetzt wird alles aus betriebswirtschaftlicher Sicht gesehen, wie lange es beispielsweise dauert, bis ein Pass ausgestellt ist. Danach richtet sich die Organisation. Früher war es entschleunigter. Ich konnte auch als Berufseinsteiger eine Wohnung, ein Auto und kleinere Urlaubsreisen bezahlen. Das geht heute nicht mehr. Ich bin froh, dass es mir möglich war, Karriere zu machen, und damit auch eine gut bezahlte Tätigkeit zu haben.

Schwierig wurde es, wenn in den oberen Etagen wenig Bereitschaft herrschte, sich mit Sachargumenten auseinander zu setzen. Wunderbar austauschen konnte ich mich mit dem damaligen Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly.

Die junge Generation sucht mehr, den Gleichklang von Arbeit und Freizeit hinzubekommen. Bei uns stand die Arbeit oft zu stark im Mittelpunkt. Wir haben natürlich anders gearbeitet als die Leute heute. Das ergibt sich durch die technischen Möglichkeiten. Heute gibt es so viele Kopien in kürzester Zeit, wie man möchte. Früher hat man dagegen eine Kopie zum Teil per Hand von einem Schriftstück erstellt, indem man es erst auf eine Matritze abgeschrieben und per Walze abgezogen hat. Der Druck auf den einzelnen Arbeitnehmer ist heute höher.

Wenn ich etwas ändern könnte, würde ich unser Rentenniveau erhöhen und mehr Flexibilität einführen beim Renteneintritt. Es ist individuell sehr verschieden. Wenn eine Altenpflegerin mit 55 oder 60 Jahren am Ende ihrer Kräfte ist, sollte sie ohne große Abschläge in den Ruhestand gehen können. Auch dass die Schere zwischen Löhnen und Gehältern so weit aufgeht, ist nicht richtig. Als ich anfing, hat der Chef im Gegensatz zum Pförtner etwa das 20fache verdient. Heute ist es das 200fache. Weniger Abstand, eine Tarifvertragspflicht und höherer Mindestlohn würden zudem helfen, extreme politische Parteien zurückzudrängen.

Ich bin immer noch engagiert in meiner Freizeit. Ich unterstütze ein Fanprojekt beim Club und die Lebenshilfe. Ich reise gerne, nicht nur zu Auswärtsspielen vom Club, und freue mich über das Enkelkind. Mit anderen Worten: Bis auf ein paar Zipperleins ist mein Ruhestand genau so, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

Holger Senechal an seinem Arbeitsplatz. Foto: privat

Holger Senechal, 45 Jahre, angestellter Geschäftsführer

in einem Ingenieurbüro

Durch die Berufsausübung schafft man Werte und Mehrwert in der Gesellschaft. Bei uns in Deutschland sind die Menschen fleißig und innovativ. Wir sind immer ziemlich weit vorne mit den Erfindungen und gründlich, um den hohen Ansprüchen an Qualität zu genügen.

Wenn ich den Herausforderungen gerecht werde, Probleme löse, den Auftraggeber zufriedenstelle, dann bin ich zufrieden. Ich arbeite gerne, leite Menschen an und sehe, wie sie sich entwickeln. Auch positives Feedback von den Kunden ist motivierend. Was mich dagegen ärgert, das hat mit dem Transrapid angefangen, der nicht gebaut wird. Die Gesellschaft ist nicht mehr stolz wie früher auf Ingenieursleistungen. Auch das Aus für die Atomkraft, und dass vieles politisch angegangen wird und nicht mit technischem Hintergrund, dass auf Experten nicht mehr gehört wird, ist ein Problem.

Wenn ich den Begriff »Work« höre, klingt er wie ein idealisierter Begriff für mich. Dahinter verbirgt sich: eine Lebensgrundlage schaffen, ein bisschen die Welt verbessern und Geld für die Freizeit haben. Also wird Arbeit als Mittel zum Zweck.

Wenn ich an den Ruhestand denke, sollte er nicht von heute auf morgen erfolgen, sondern in Etappen. Wann jemand in den Ruhestand gehen kann, ist individuell unterschiedlich und sollte auch individueller geregelt werden. Im Ruhestand würde ich mich ehrenamtlich engagieren, denn jetzt fehlt mir die Zeit dafür. Zwar hat die Freizeit einen relativ hohen Stellenwert bei mir, aber sie ist mit Familie und Hobbys gut ausgefüllt.

Tim Maisch, 54 Jahre, Biologe im medizinisch-biologischen Bereich

Mit meiner Arbeit möchte ich – neben dem Aspekt, Geld zu verdienen – etwas voranbringen und bewerkstelligen, was für die wissenschaftliche Forschung wichtig ist. Das alles geschieht in Deutschland in engen Strukturen, eingebettet in Arbeitszeiten, Hierarchien, und klar definierten Grenzen. Über den Tellerrand zu schauen, ist nicht so üblich. Ich arbeite gerne und fre

Tim Maisch ist mit seiner Berufswahl sehr zufrieden, auch wenn er sich weniger politischen Einfluss auf die Wissenschaft wünscht. Foto: Michael Matejka

ue mich, wenn ich Projekte verwirklichen kann, Ergebnisse liefere und Neuentwicklung gelingen, um multiresistente Keime zu bekämpfen.

Mich ärgert, dass die harten wissenschaftlichen Kriterien zur Evaluierung immer mehr verwässert werden und politischer Einflussnahme ausgesetzt sind. Das liegt unter anderem daran, dass Gelder knapp sind und immer mehr etwas vom Kuchen abhaben möchten.

Das Geldverdienen war mir bei der Berufswahl weniger wichtig, sondern mehr, dass mir die Tätigkeit Spaß macht. Dazu gehört, dass man bei manchen Experimenten nicht um 16 Uhr den Computer herunterfahren kann. Der Anspruch der heute 25 bis 30-Jährigen hat sich geändert. Ich habe als Doktorand eine Fünfzig-Prozent-Stelle gehabt und 100 Prozent gearbeitet. Die jetzigen Doktoranten schauen mehr auf das Leben. Da ist ein Wendepunkt. Unsere Vorgängergeneration hat anders und mehr gearbeitet. Ich bewundere meine Eltern dafür, dass sie Zeit für Ehrenämter gefunden haben. Ich engagiere mich vor allem bei den Leichtathleten und helfe beim Organisieren mit. Der Sport ist mir zum Ausgleich sehr wichtig. Aber meine Eltern haben viel mehr gemacht.

Das Ruhestandsalter müsste mehr an der Arbeitskraft ausgerichtet und flexibler sein. Über meinen eigenen Ruhestand habe ich mir noch nicht viele Gedanken gemacht. Vielleicht kann ich manches wie Reisen schon vorher machen.

Elena Czech ist mit großem Engagement in ihrem Beruf tätig. Foto: privat

Elena Czech, 27 Jahre, Teamleitung Travelmanagement für ­Pflegekräfte

Arbeit ist für mich der Bereich, in dem man mit Taten und Worten etwas bewirkt. Das ist super wichtig, um mich zu motivieren, dass ich etwas voranbringen kann. Bei uns in Deutschland wird die Arbeit manchmal über das Leben gestellt. Man nimmt sie sehr ernst. Ich selber passe voll in das Klischee. Ich arbeite sehr gerne, habe aber auch gerne Freizeit. Die stopfe ich dann voll, stehe früher auf, damit der Tag mehr Stunden hat.

Wenn es gelingt, das zu erreichen, was ich mir vorgenommen habe, die Kollegen glücklich sind, gute Kundenkontakte zustande kommen und ich mein Bestes gegeben habe, dann bin ich zufrieden. Damit kann ich andere anstecken. Am meisten ärgern mich andererseits unfreundliche Menschen.

Ich würde mir wünschen, dass das starre Im-Büro-Sitzen von 8 bis 17 Uhr anders geregelt ist. Besser wäre eine flexible Mischung aus Produktivität und Leistung. Auch eine Aufwertung der Dienstleistung, etwa in der Gastronomie, ist notwendig.

Der Begriff Work steht in der digitalisierten Welt für Geldverdienen per Knopfdruck. Es geht nicht mehr darum, klassisch Hand anzulegen. Man kann überall auf der Welt arbeiten, und es gibt vielfältige Möglichkeiten. Alles wird viel schnelllebiger. Die jetzt kommende Generation hat eine ganz andere Vorstellung von Arbeit. Ich gehöre zu einer Zwischengeneration.

Man sollte auf jeden Fall nicht so lange arbeiten, dass nichts mehr vom Leben bleibt. Das meine ich auch in Bezug auf das Geld. Keiner sollte das Gefühl haben, so lange wie möglich durchhalten zu müssen, damit er ein paar Euro mehr in der Tasche hat, weil es sonst nicht reicht. Es sollte daher mehr Möglichkeiten geben, in Rente zu gehen, wenn es körperlich und seelisch nicht mehr guttut. Wann das der Fall ist, hängt von vielem ab, wie Krankheit und wie viel Energie jemand hat.

In meiner Freizeit habe ich mich lange als Schwimmlehrerin in der Jugendleitung engagiert. Ich helfe gerne. Im Ruhestand werde ich jeden Moment das Leben genießen. Ich habe dann mehr Zeit für mich und so viel Geld zur Verfügung, dass ich mir ein Essen leisten kann und was ich sonst noch brauche.

Nicola Schlee hat als Zahnärztin mit vielen bürokratischen Hürden zu kämpfen. Foto: privat

Nicola Schlee, 28 Jahre, Zahnärztin

Für mich ist Arbeit ein Zwischending zwischen Geld verdienen und Leben bereichern. In Deutschland wird alles strenger genommen als vielleicht in anderen Ländern, auch das Arbeiten von 9 bis 17 Uhr. Darüber ein bisschen zu jammern, wie anstrengend das ist, gehört dazu.

Ich fühle mich wohl in meinem Beruf. Wenn ich Patienten helfen kann, Schmerzen lindere und das Team gute Laune hat, dann freue ich mich darüber. Aber es gibt auch Dinge, die mich ärgern. Dazu gehört die Bürokratie, die immer mehr wird, die Budgetierung und Kürzungen im medizinischen Bereich. Ein Problem ist der Personalengpass, besonders bei Zahnarzthelferinnen. Ein anderes sind Patienten, die zu viel fordern und sich aufregen, wenn nicht alles kostenfrei ist oder es mal zu Wartezeiten kommt.

Bei der Berufswahl hatte ich keine Vorstellung davon, was ich verdienen werde. Denn im Vordergrund standen die Tätigkeiten. Ich achte darauf, dass es nicht nur die Arbeit in meinem Leben gibt, sondern auch andere Dinge. Ob meine Eltern und Großeltern mehr gearbeitet haben, kann ich nicht sagen. In der Verwandtschaft gibt es keine Zahnärzte. Aber es ist nicht einfacher geworden. Wer jemanden einstellt, weiß heute viel mehr über die Person, unter anderem durch Social Media, als früher. Das ist für junge Leute schwieriger. Die Erwartungen an sie sind hoch.

Für mein Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr ist im Moment keine Zeit. Besonders die Kameradschaft untereinander schätze ich sehr. Eine gute Mischung aus Arbeit und Freizeit ist mir wichtig. Mein Allheilmittel ist es, mich in der Natur zu bewegen. Das bietet mir viel Entspannung. An meine Rente denke ich noch wenig.

Interviews: Petra Nossek-Bock
Aufmacher-Foto: Michael Matejka

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