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Wer in Rente geht, bekommt viele Kommentare

Ich bin jetzt also Rentner. Und habe erlebt, dass der Eintritt in den Ruhestand ein sehr besonderes Ereignis sein muss. Vor allem auch für die anderen. Viele Menschen haben sich Gedanken darüber gemacht haben, ob und wie ich mit diesem neuen Daseinszustand zurechtkommen würde.

»Das hältst du nicht aus«, haben manche signalisiert. Sie haben mir prophezeit, dass ich meinen Bedeutungsverlust kaum wegstecken könnte. Ein vergleichbarer Kollege sei deswegen seit Monaten beim Psychologen. Wahrscheinlich würde ich wie ein hungriger Wolf das Firmengelände umstreifen – stets in der Hoffnung, dass mich ein aktiver Kollege in sein Büro holt und mich mit neuen Aufgaben füttert. 

Klar, es gibt Menschen, meistens Männer, die mehr mit ihrer Firma verheiratet waren als mit ihrer Frau. Und die dann, wie dereinst bei Loriot, in ihrer seelischen Not zumindest die Verantwortung für die häusliche Logistik zu übernehmen versuchen. Aber sentimental braucht man nicht mehr sein. Betriebstreue gilt modernen Arbeitgebern weniger als gute Charaktereigenschaft denn als Beweis für geistige Unbeweglichkeit. 

»Glückwunsch zum bedingungslosen Grundeinkommen« lautet ein anderes beliebtes Statement. Dieser Satz kommt auch mal vorwurfsvoll rüber. Nach dem Motto: Geht‘s dir wirklich gut damit, dass du andere Leute für dich schuften lässt? Dabei ist die Aussage völliger Quatsch. Meine Rente gab‘s nach 45 Jahren sozialversicherungspflichtiger Arbeit. Wenn das keine Bedingung ist, weiß ich auch nicht.

»Toll für dich. Du hast es geschafft.« Dieser häufige Glückwunsch klingt nett. Er ist wohl auch fast immer so gemeint. Aber darin spiegelt sich die Meinung, dass Rentnerinnen und Rentner alt und grau zu sein haben. Man sei am Ziel und fortan mit dem ZDF-Programm zufrieden. Der Eintritt in den Ruhestand wäre demnach eine Art erste Nahtod-Erfahrung. Die Rente als Vorstufe zum Paradies? Manche scheinen das so zu sehen.

Aber was ist denn nun dieser Ruhestand? Vor allem ein großes Paket an geschenkter Zeit. Und wie bei jedem Präsent kommt es darauf an, ob und wie man es nutzt. Immer klappt es nicht. So kennt jeder diese zu Geburtstagen geschenkten Gutscheine, die letztlich verfallen, weil man eben doch keine Zeit für und/oder Lust auf Gleitschirmfliegen oder das Krimi-Dinner im Landgasthof hatte.

Sowieso birgt die Rente gegensätzliche Erfahrungen: Ich probiere weiterhin gerne Neues aus. Absolut altersgerecht, schließlich bin ich derselbe Jahrgang wie Olaf Scholz. Und dieser Bundeskanzler arbeitet trotzdem an nichts weniger als an einer Zeitenwende. Wenn mich allerdings mein dreijähriges Enkelkind dazu bringt, mich auf seinem fiktiven Campingplatz im Zwei-Minuten-Rhythmus hinzulegen und gleich wieder aufzustehen, spüre ich die Jahre im Kreuz.

Was habe ich als Neu-Rentner gelernt? Die Zeit vergeht auch ohne Erwerbsarbeit schneller als gedacht. Habe ich also Reisen unternommen? Treibe ich, wie das meine Fitness-App verlangt, vier Mal in der Woche Sport? Bin ich tief in die örtliche Kultur eingetaucht? Lese ich jede Woche ein neues Buch? Habe ich begonnen, Kroatisch zu lernen? Habe ich die Wohnzimmer-Wände gestrichen?

Nichts von alldem. Abgenommen habe ich auch nicht. Und weiterhin scheitere ich am Versuch, alle abonnierten Zeitungen, Zeitschriften und Online-Nachrichten zu lesen.

Eine mäßige Bilanz. Muss ich also unglücklich sein? Nein, das nicht. Denn als Rentner kann ich viele Dinge tun. Aber ich kann es immer auch bleiben lassen. Das ist das sehr besondere Ruhestands-Erlebnis. Gerade auch für einen selbst. 

Text: Klaus Schrage
Cartoon: Sebastian Haug

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