Ach, diese Politiker. Sie arbeiten viel zu kurzatmig, denken bloß von Wahl zu Wahl. Das bleibt doch alles Stückwerk.« So ging die allgemeine Klage am Ende des letzten Jahrtausends. Unter anderem deshalb wurde 1998 die Wahlperiode des Bayerischen Landtags von vier auf fünf Jahre verlängert. Mehr Zeit zum Nachdenken sollten die Regierenden bekommen. Und wer weiß: Vielleicht hätte Markus Söder innerhalb von vier Jahren nicht entdeckt, wie verheerend das Gendern für das Zusammenleben der Menschen sein könnte.
Aber was sind schon fünf Jahre? Zum heutigen Politikstil gehört es, ganz weit in die Zukunft zu schauen. Und dabei den Abschluss von Projekten anzukündigen, die man in eigener Verantwortung nicht mehr erleben wird. Oder bei dem man absehbar tot ist. Bestes Beispiel hierfür ist Bundesverkehrsminister Volker Wissing. Dieser Mann, heute 53 Jahre alt, rast als Visionär ohne Tempolimit weit in die Zukunft. Hat er doch verkündet, dass der Deutschlandtakt der Deutschen Bahn ab dem Jahr 2070 funktionieren wird. Als Hundertjähriger, der aus einem Fernzug sprang, könnte er bei diesem epochalen Ereignis dabei sein. Aber darauf wetten wird er nicht. Er weiß ja um Verspätungen.
Oder nehmen wir die Treibhausneutralität. Bis 2045 soll das für Deutschland geschafft sein. Gelingt es, wäre Olaf Scholz 87 Jahre alt und ansonsten – nach allem, was wir heute ahnen – ein ziemlich vergessener Bundeskanzler. Einzelne Bundesländer, darunter Bayern, wollen die Sache bis 2040 geregelt bekommen. Dessen heutiger Ministerpräsident wäre dann gerade mal 73 Jahre alt. Er wäre dabei, sofern sein Platz noch immer in Bayern und er nicht wegen seiner Dauerwerbung für Schweinefleisch zu krank wäre. Die Kommunalpolitik folgt dem großen Trend. In Nürnberg soll es ab 2027 ein so genanntes Opern-Interim geben. Dieses müsse, sagen die Geldgeber, 25 Jahre in Betrieb bleiben. Umzug in die dann sanierte Oper wäre dann 2052. Ich, Jahrgang 1958, wäre dann zwar im besten Opern-Alter. Aber wer glaubt an derart eng gestrickte Zeitpläne?
Ähnlich ist es beim Frankenschnellweg. An dessen kreuzungsfreien Ausbau hat man schon weit im letzten Jahrtausend gedacht. Etwa als man in den 1980-er Jahren das Loch für den U-Bahnhof Rothenburger Straße besonders tief gegraben hat, damit darüber Platz für einen Auto-Tunnel bleibt. 2037, das Datum nach zehn Jahren Bauzeit, ist die derzeitige Zielmarke. Was, um eine weitere Vision hinzuzufügen, mit dem ersten Europapokalsieg des 1. FC Nürnberg zusammenfallen sollte. Denn der spielte ab 2030 im neuen Stadion und wird seither einen ungebremsten Aufschwung erlebt haben.
Als Rentner könnte man voller Wehmut daran denken, wie wenig unserer glorreichen Zukunft man selber noch wird feiern können. Und wie viel man verpassen wird. Doch was die Zukunft betrifft, sind wir sowieso bloß Waisenknaben und -mädchen. Die wahren Visionäre sind die Super-Superreichen des Planeten. Diese denken nicht nur an das Besiedeln anderer Planeten, sondern arbeiten an ihrer Unsterblichkeit. Und so wird sich ein Elon Musk als 70-jähriger einfrieren lassen, damit er hundert Jahre später überprüfen kann, ob seine Elektroautos tatsächlich Weltmarktführer geworden sind. Er wird aufwachen. Und von einem kolossalen Gichtanfall begrüßt werden, der es ihm schwer macht, seinen altersschwachen Urenkel in dessen Pflegeheim zu besuchen. Woraus wir lernen: Man muss nicht wissen, was die ferne Zukunft bringt. Das Hier und Jetzt ist auch ganz schön.
Text: Klaus Schrage
Cartoon: Sebastian Haug