Hello All,
nun bin ich um 500 Gramm fabrikfrischer Implantate aus Titan und Keramik partiell verjüngt. Der edelhölzerne Gehstock mit Messinggriff, mein Weggefährte der letzten zwei Jahre, schmollt im Regenschirmständer. Vorläufig ersetzen ihn ein Paar profane Alukrücken. Doch ich will alle drei in den Ruhestand schicken. Schluss mit externen Hilfen. Denn ich folge dem Trend: körperliche Optimierung kommt von innen. Mut zur untrennbaren Verbindung mit allerlei Material, vom Scheitel bis zur Sohle. Mein funkelnagelneues Hüftgelenk liegt in der Körpermitte. Nördlich und südlich davon geht noch viel mehr an physischer „Augmentation“.
Wem einst die eigenen Haare nicht gefielen oder gänzlich ausfielen, der setzte sich bei Bedarf eine Perücke auf, mit mehr Prachtpotential als echt. Heute kann man den Schädel dauerhaft mit Haarimplantaten aufforsten. Schwindet die Sehkraft, helfen aufgesetzte Gläser vom Monokel, über Gleitbrille bis zu Kontaktlinsen. Alternativ stehen dauerhafte Laserkorrekturen und Linsenimplantate zur Verfügung, die einem übermenschliche Blickschärfe vergönnen. Auch die dritten Zähne müssen nicht mehr im Kukident-Bad vom Eigner getrennt nächtigen, sondern ruhen sich kuschelig mit ihrem Gebissträger, fest im Kiefer verschraubt, aus. Es wölben sich Brüste dank extern getragener Push-Up BHs tagsüber oder lebenslänglich mittels Silikonkissenimplantate. Je nach Gusto, Kassenstand und Mut lassen sich Gesichtsfältchen extern überschminken oder invasiv mit Botox-Injektionen wochenlang verdrängen. Schönheit von innen, das geht einem unter die Haut.
Eine Sonderrolle spielen die inzwischen winzigen Hörgeräte, die zumindest optisch im Körper versinken und mit dem Ohr verschmelzen. Sie bleiben jedoch herausnehmbar. Was unweigerlich zu Verlusten führt und so den Hörgerätemarkt beflügelt; 1,6 Millionen neue Geräte finden alljährlich neues Gehör, allein Deutschland. Hauptabnehmer sind wir Alten – und hören damit besser als viele der zugedröhnten Jungen.
Jede dritte Ehe mündet in Scheidung. Was jedoch nicht bedeutet, dass unsere Zeitgenossen allgemein dauerhafte Bindungen meiden. Mit zunehmenden Alter entscheiden sich mehr und mehr Menschen zur Hardware als weiteren Lebenspartner. Ca. 100.000 Herzschrittmacher p.a. nehmen sich überwiegend Senioren zur Brust. Das Endoprothesenregister Deutschland EPRD erfasst ca. 300.000 Implantate p.a. Darunter machen Hüft- und Knie-Endoprothesen den Großteil aus, gefolgt von Schulter- und Bandscheibenimplantaten.
Gelenkendoprothesen haben das Zeug, zur Zahnspange der Baby-Boomer zu werden. Mit dem Unterschied, dass die Jungen ihre Gittergestelle nach ein paar Monaten wieder ablegen; wir Senioren uns eher weitere Implantate zulegen.
Allgemein werden wir Senioren verdächtigt, den technischen Möglichkeiten hinterher zu hinken. Hinken lasse ich auf mich bezogen durchgehen, bis letzte Woche. Je länger ich mich mit der Materie befasse, desto mehr finde ich jedoch alternative Sichtweisen.
Wandeln wir Alte uns nicht zu den unmittelbaren Technologieträgern, dank medizinischer Spitzenleistung? Wir reden nicht über Mikroprozessoren, wir verinnerlichen diese. Ab wann mutieren Senioren zu den wahren Cyborgs? Sensoren lesen unsere Muskelspannung und Blutzucker, Elektroden erregen Nervenbahnen, subkutane Chips und Batterien sorgen für mehr Power, schärferen Blick, luchsgleiches Gehör, kontrollierten Herzschlag. Titan und Keramik fördern die Hebelkraft in Schulter, Arm, Hüfte und Bein. Wer so viel Potential für zukunftsweisende Technik in sich trägt, kann doch gar nicht von gestern sein. Oder doch?
Frisch gestählt, Euer
Global Oldie