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Vom Ehering zum Smart Ring

Hello All,

Beate ist verheiratet und fiel mir mit ihrem neuen Ring am Mittelfinger auf. Ein goldfarbenes, schlichtes, aber ungewöhnlich wuchtiges Ding. Nix mit aufgefrischtem Liebesgeständnis seitens des Gatten. Das ist ein Smart Ring, den sie sich selbst gekauft hatte, primär zum Schlaftracking. Unauffälliger als eine Fitness Watch am Handgelenk übernimmt ihr Smart Ring einige Monitorfunktionen mit winzigen Sensoren. Der Smart Ring misst u.a. Puls, Schrittzahl, Blutsauerstoffsättigung, Körpertemperatur. Via NFC- Technik dient er auch als elektronischer Schlüssel und gibt Bezahldienste frei; ein wahrer Tausendsassa. Digitalisierung im Privaten lautet das Gebot der Stunde. Nicht nur für Industrie 4.0 oder Verwaltung.

Allerdings, digitale Codierung beherrschten auch schon unsere Vorfahren. Beispielsweise beim Tragen von Ringen auf den digiti, vulgo: Fingern. Ringe an bestimmten Fingern codieren kulturelle Zugehörigkeit, sozialen Rang, Ehestand, Religion, Wohlstand, Macht und Stil.  Wearable Technology 1.0. Die bisher ältesten ausgegrabenen Fingerringe datieren 21.000 Jahre zurück, aus Mammutelfenbein.

Trotz vorbildlicher Nachhaltigkeit der frühen digitalen Informationsträger begleitet sie bis heute ein aktuelles Problem: Ohne Sourcebook mit regional gültigem Update weiß man nicht genau, was die beringten Finger vermitteln. Amerikanische Kavaliere stecken ihrer Liebsten den Verlobungsring auf den rechten Ringfinger. Den Ehering tragen amerikanische Paare dann überwiegend links. In Deutschland und weiten Teilen Nord- und Osteuropas, aber auch in Indien sitzt der Ehering vorzugsweise rechts. Letztlich erkennt man beim Blick auf einen der Ringfinger nur, dass dort eine Botschaft zum Bindungsstatus steckt, aber nicht dessen Wert: 0 oder 1, frei oder unfrei? Eindeutig weisen nur doppelte Eheringe an einem Finger auf Verwitwung hin.

Neugeschichtlich steckte am linken kleinen Finger bisweilen ein Siegelring, so man sich den leisten wollte. Vor ein paar Jahrzehnten jedoch konnte man mit einem dicken Ring an selber Stelle auch den Verdacht auf Mafiazugehörigkeit wecken; wieder keine eindeutige Codierung. Der rechte kleine Finger ist in den USA populär für Absolventenringe. Auf ihm geben sich Abgänger bestimmter militärischer und technischer Hochschulen zu erkennen. Westliche Potentaten und hohe Geistliche trugen am linken Zeigerfinger einen Kussfinger für ihre Unterwürfigen. Der gut sichtbare rechte Zeigerfinger  steht im Ruf des Protzfingers, auf dem teure Ringe zur Geltung kommen. Ringe an den Daumen sollen von höherem sozialen Rang und Wohlstand zeugen.

Frei codierbar scheinen die Mittelfinger beider Hände zu sein. Auf ihnen darf man sich nach Gusto Ringe aufziehen, als modisches Statement. Wobei die hiesige Etikette den Herren Zurückhaltung und viele Leerstellen auf den Fingern empfiehlt. Ein Beziehungsring am Ringfinger und ein Siegel- oder Schmuckring gelten als das Limit für den gehobenen Geschmack. Magieringe oder speziell gehaltvolle Giftringe sind heutzutage out. Höchstens ein diskret anthrazitfarbener Smart Ring mit sportivem bis virilem Design ginge da noch zusätzlich.

Beates Smart Ring glänzt am linken Mittelfinger. Als Rechtshänderin stört er sie in seinen Dimensionen dort weniger als rechts. Und bewunderte Blicke zieht er dank seiner Präsenz auch dorthin. Da sitzt jemand, der sich selbst überwacht, womöglich selbstoptimiert und überhaupt digital auf der Höhe der Zeit schwebt. Was der Ring misst, verrät er allerdings nur seinem Smartphone; ggf. noch dessen klammheimlichen Mitnutzer aus dem Kleingedruckten.

Eine Sturzwarnmeldung ist, im Gegensatz zu manchen Smart Watches, noch nicht im Angebot. Das würde ihn für Senioren geradezu aufdrängen als Geschenk. Mich überzeugt bei einem Smart Ring  die Möglichkeit, meine Armbanduhr anbehalten zu können  und dennoch unabhängig vom Handy PINs, Bezahldienste und Schlüsselfunktionen stets dabei zu haben. Was den strapazierten Hosen- und Jackentaschen gut täte; dem nicht immer ganz zuverlässigen Gedächtnis auch.

Euer Global Oldie

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