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Paro und Nao auf der Pflegestation?

Die Roboter-Robbe Paro stammt aus Japan, ist kuschelig und soll Demenzkranken helfen, weil sie auf Berührung reagiert.

Was wir nicht wollen, sind Horrorszenarien wie diese: Eine alte Dame ist zu Hause gestürzt, und stundenlang bekommt es niemand mit; ein 90-Jähriger liegt im Pflegeheim seit acht Stunden unbeweglich auf dem Rücken in seinem Bett; der Wohnbereich eine Etage über ihm ist seit Monaten komplett geschlossen, weil Fachpersonal fehlt. Dabei ist die Nachfrage nach Betreuungsplätzen enorm. Der Pflegenotstand ist groß.

Roboter könnten helfen, die prekäre Lage zu entspannen. Sie können Getränke servieren, Körperfunktionen überwachen oder Patienten zum Laborbesuch begleiten. Groß aber ist die Angst vieler Betreuter davor, von einer kalten Roboter-Hand angefasst zu werden. Ist die Furcht berechtigt?

Bei Robotern denken wir an menschenähnliche kulleräugige Helfer mit freundlichen Namen wie Pepper oder Jaime. Sie machen sich zwar nützlich, in der Praxis aber hapert es an manchem. Etwa an der Sicherheit, wenn sie mit ihren Patienten zusammenstoßen. In jeder Wohnung und in jedem Heimzimmer bilden Schwellen und Gegenstände Hindernisse, die zu überwinden sich der Roboter trotz vieler Kameras schwertut. 

Sina Martin kümmert sich an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen am Lehrstuhl für Fertigungsautomatisierung um Medizintechnik und sagt: »Die Navigation im Labor ist ungleich leichter als im Patientenzimmer mit all den Schläuchen und Infusionsständern.« Mindestens genauso schwierig sei die Vernetzung der IT-Systeme untereinander. Ein zusätzliches Problem ist das Geld. Wie ist es mit der Kostenerstattung durch die Krankenkassen beim Einsatz eines digitalen Helfers? 

Marius Greudèl vom »Pflegewerk« kann ein Lied davon singen. 60.000 bis 80.000 Euro kostet das einarmige Robotersystem, von dem er berichtet. Dessen Arm reicht beispielsweise ein Getränk oder einen Apfel oder öffnet das Fenster. Greudèl ist engagiert im Forschungsprojekt ArNe. Es untersucht zusammen mit der Berliner Charité die Einsatzmöglichkeiten von Robotik in der ambulanten Versorgung, zum Beispiel bei ALS-Erkrankten mit einer Muskelschwäche bis hin zur Lähmung. Wie sollen sie das Gerät steuern? Möglich, so Greudèl, sei dies auch über Augenbewegungen. Jedes Robotiksystem müsse individuell angepasst werden.

Matratze lagert Patienten automatisch um

Wer mit Marlene Klemm vom Pflegepraxiszentrum (PPZ) Nürnberg spricht, bekommt ein Gefühl dafür, um wie viel niedriger die Ansprüche der Pflegeeinrichtungen meist ansetzen. »Bei uns im Nürnbergstift wird noch keine Robotik eingesetzt«, stellt sie fest. NürnbergStift, Klinikum Nürnberg und Diakoneo sind die »Echtbetriebe«, in denen das Pflegepraxiszentrum Nürnberg neue Pflegetechnologien erprobt und wissenschaftlich auswertet. Dazu gehört etwa eine Matratze, die dank intelligenter Technik das Wundliegen verhindert. Für das regelmäßige Umlagern des Patienten nachts sorgt eine Maschine im Bett. Das erspart den Pflegekräften Knochenarbeit, und die Patienten müssen nicht alle drei Stunden geweckt werden. PPZ-Leiterin Klemm sagt: »Beide Seiten gewinnen auf diese Weise: die Bewohner an Lebensqualität, und das Personal erfährt eine körperliche Entlastung.« Allerdings kostet eine solche Matratze rund 8000 Euro pro Stück. Drei davon hat die Einrichtung angeschafft, finanziert über Spenden. Denn über die Kassen lassen sich solche Extras fast nie abrechnen; im Hilfsmittelkatalog kommt vieles nicht vor.

Genau darin bestehe die Schieflage, meinen Brancheninsider und Wissenschaftler. Jede Untersuchung am Computertomographen sei problemlos abrechenbar. Das geschehe zigmal am Tag. In der Pflege dagegen müsse bei technischen Helfern nachgewiesen werden, dass sie besser und günstiger sind als menschliche Helfer, erläutert Arne Manzeschke, Ethikprofessor und Leiter des Instituts für Pflegeforschung, Gerontologie und Ethik (IPGE) in Nürnberg. »Ein überlegener Nutzen ist schwer nachweisbar.« Freilich wolle im Grunde sowieso niemand die berührungsfreie Pflege, sie sei unmöglich. »Mit jedem Hautkontakt spüre ich die Körpertemperatur und -spannung des Patienten. Niemand möchte nur von der kalten Hand berührt werden.«

Gleichwohl, dem Pflegenotstand ist ohne verstärkten Technikeinsatz nicht beizukommen. Mittlerweile sei die Technikakzeptanz auch beim Pflegepersonal gestiegen, nachdem es sich »zehn Jahre lang weggeduckt« habe. Tatsächlich, so ist bei einem Fachseminar der Evangelischen Hochschule in Nürnberg am Rande zu hören, beschweren sich nicht wenige, dass sie bei der Entwicklung von Technik in der Pflege vor vollendete Tatsachen gestellt worden seien. Professor Manzeschke sagt dazu, die Pflegekräfte neigten dazu, sich in einer Opferrolle zu sehen. Dazu gehöre auch, nicht gefragt worden zu sein. Doch inzwischen sei die Bereitschaft gewachsen, sich mit der Technik auseinanderzusetzen, sagt Manzeschke.

Verwaltungsaufwand ist ungeheuerlich

Der kleine humanoide Roboter NAO.

Das müssen die Pflegerinnen und Pfleger sowieso. Auch in ihrem Bereich schreitet die Digitalisierung voran, etwa bei der Verwendung von Tablets zur Erfassung von Patientendaten. Den Zeitaufwand durch Dokumentationspflichten finden alle im Gesundheitswesen ungeheuerlich, und die Bürokratie habe sich vervielfacht. Ein Insider erzählt von einer Szene beim Gedächtnistraining in der Demenzabteilung: Eine Fachkraft führt durch die Übungen, eine zweite dokumentiert zum Beispiel dies: »Frau Müller nickt.« 

Dies bindet Personal, das woanders fehlt. Und es fehlt auf Dauer, weil der Arbeitsmarkt keinen Nachschub bietet. So wird der Fachkraftschlüssel nicht eingehalten, die Heimaufsicht greift ein, Einrichtungen müssen Kapazitäten stilllegen. Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist nicht der einzige Heimträger, der Wohnbereiche wegen Personalmangels nicht belegen kann. Immerhin tut sich was bei der gesetzlichen Fachkraftquote, die Personalbemessung soll ab Juli geschmeidiger werden. 

Weil die Not jetzt so groß ist – schließlich wird die Personallücke bis zum Jahr 2030 auf 500.000 angewachsen sein – schaut sich die Branche auch im Ausland um, etwa in Indien. Dorthin reist Ina Schönwetter-Cramer, Vorständin bei der AWO in Nürnberg, zusammen mit zwei Professoren der Evangelischen Hochschule Nürnberg, um Fachkräfte anzuwerben. Wie auch bei Klinikum und Nürnbergstift kann bei der AWO von Robotik keine Rede sein, sondern von Assistenzsystemen. Sehr verbreitet sind in der Langzeitpflege Sturzmatten. Ihre Sensoren geben Alarm, wenn solch ein Unfall passiert. 

Doch keine Technik kann die menschliche Hinwendung ersetzen. »Wir haben ja eine ethische Verantwortung und folgen unseren Werten der Menschenwürde«, betont Schönwetter-Cramer. »Doch personell fehlt es auf allen Ebenen, von der Führungs- bis zur Küchenkraft. Am schmerzlichsten aber fehlen Mitarbeiter am Bett.« 

Text: Angela Giese
Fotos: Christian Illing/Deutsches ­Museum

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