Es wird bunt: Geduldig zeichnet Ivka Suljic farbenfrohe Bilder mit Herbstlaub und Kürbissen. Mit ihr lassen auch andere Gäste kleine Kunstwerke entstehen. Und jahreszeitlich passende Deko mit Zweigen, Blättern, Kastanien und Eicheln ist bereits ringsum zu bewundern, an den Wänden wie auf den Fensterbänken. Bald dringt der Duft von Muffins aus dem Ofen. Hier geht es entspannt und gemütlich zu – und das ist so gedacht. Denn die Frauen und Männer, die in eine Tagespflege wie die in der Webersgasse in Nürnberg-St. Leonhard kommen, sollen sich rundum wohl und gut aufgehoben fühlen.
Der große Aufenthaltsraum mit der Küchenecke ist das Herzstück der jüngsten Einrichtung dieser Art in der Stadt. Eröffnet wurde sie vor einem halben Jahr, Trägerin ist die Nürnberger Stadtmission, die bewusst auch einen neuen Akzent im Stadtteil setzen will. Ivka Suljic kommt dreimal pro Woche hierher – in kurzer Zeit ist der Treffpunkt für die Rentnerin zu einer Art zweitem Zuhause geworden. »Im Frühjahr ist mein Mann gestorben«, erzählt sie. Und seit einem Schlaganfall muss die Nürnbergerin, die einst bei namhaften Firmen wie Triumph-Adler und AEG beschäftigt war, weitgehend ohne ihren rechten Arm zurechtkommen. »Am schlimmsten ist es, mit der linken Hand etwas zu unterschreiben.«
Zwar kann sie durchaus auf die Unterstützung von Sohn und Schwiegertochter bauen, doch nach mehr als 50 Ehejahren ist das Alleinsein für sie ziemlich bedrückend. Da kam das Tagespflegeangebot in ihrer näheren Umgebung gerade recht: Es sorgt für Abwechslung und lenkt ab vom Kreisen der Gedanken um die immergleichen Fragen, es gibt frische Impulse und bringt neue Kontakte. »Das Zusammensein ist für mich das Schönste«, sagt Ivka Suljic, »wir fühlen uns wie in einer Familie«.
Für ausgewogene Ernährung ist gesorgt
Aber was bedeutet Tagespflege eigentlich genau? Und wie sieht das ganz praktisch aus? »Die Struktur ist in allen Einrichtungen weitgehend identisch«, erläutert Christel Krumwiede, Leiterin des Nürnberger Pflegestützpunkts. »Die Gäste werden morgens von Angehörigen oder einem Fahrdienst in die Einrichtung gebracht und sind abends wieder zuhause. Es gibt gemeinsame Mahlzeiten – vom Frühstück über das Mittagsessen bis zum Nachmittagskaffee – da ist auch für ausgewogene Ernährung gesorgt. Dazwischen stehen unterschiedliche Aktivitäten auf dem Programm, dazu kommen Ruhephasen und die Möglichkeit, sich zurückzuziehen.« Wo Räume und Abläufe es zulassen, können Gäste zum Beispiel ihre (privat vereinbarte) Physiotherapie erhalten.
Zu den festen Bestandteilen gehören in den Einrichtungen in der Regel Mal- und Bastel- oder musikalische Angebote und aus dem Haushalt vertraute Tätigkeiten wie Gemüse putzen, eine Suppe kochen oder einen Kuchen backen. Und der Schrank von Betreuungsassistentin Carmen Wengenmeier quillt schier über von Utensilien und Materialien für kreative Tätigkeiten. Dazu kommen kleine Einheiten, um den Körper in Schwung zu bringen, etwa durch Dehnen und Strecken, mit Bällen oder Kegeln. »Bewegung ist sehr wichtig, nicht zuletzt um Stürzen vorzubeugen«, betont Sezen Güven, die Leiterin der Tagespflege der Stadtmission. »Ebenso lesen wir täglich gemeinsam die Zeitung und tauschen uns aus«, fährt sie fort, »das hält geistig fit«. Das Gedächtnis zu fordern, ist ohnehin unerlässlich, um eine mögliche, schleichende Demenz wenn nicht zu verhindern, so doch auszubremsen, so gut es eben geht.
Tagespflege lässt sich tageweise buchen
»In der Tagespflege gibt es viele Anregungen, sie hilft gegen Vereinsamung, doch profitieren nicht nur die Pflegebedürftigen«, sagt Anja-Maria Käßer, die Leiterin des Nürnberger Seniorenamts. »Ebenso wichtig und zentral ist die Entlastung der Angehörigen, die auch einmal Zeit und Ruhe brauchen – sei es für wichtige Erledigungen oder zum Abschalten und Auftanken.« Das Gute dabei: Flexibilität ist Trumpf, Tagespflege lässt sich tageweise buchen, und die Einrichtungen versuchen, den individuellen Lebensumständen und Bedürfnissen möglichst gerecht zu werden.
Nur bei der Betreuung von Schwerstpflegebedürftigen stoßen die meisten Einrichtungen an ihre Grenzen: Bettlägerige Patienten oder Menschen, die zum Beispiel auf Beatmungsgeräte angewiesen sind, können häufig nicht aufgenommen oder betreut werden. Wichtig ist eine Einstufung in einen Pflegegrad, also mindestens die erste Stufe – nur dann können auch finanzielle Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch genommen werden.
Apropos Kosten: Die Tagespflege ist zu großen Teilen durch die Pflegekasse abgedeckt. »Für die Tagespflege existiert eine separates Budget der Pflegekasse. Die Einrichtungen können berechnen wie viele Tage dafür in Anspruch genommen werden können«, versichern die Fachleute vom Pflegestützpunkt – und beraten dazu gerne, neutral und unentgeltlich. Dass manche Senioren nichts von Tagespflege wissen wollen, weil sie fürchten, es sei der erste Schritt in eine stationäre Pflege, begegnet Krumwiede und ihren Kolleginnen immer wieder. »Aber die Befürchtung ist unbegründet. Denn ganz im Gegenteil soll eine Tagespflege die Betroffenen und ihre Angehörigen dabei unterstützen, im vertrauten Umfeld bleiben zu können.«
Mund-zu-Mund-Propaganda hilft weiter
Das bezieht sich durchaus auch auf den Stadtteil: »Die meisten unserer Gäste kommen aus der näheren Umgebung«, sagt Hendrikje Reinhardt, die Leiterin der Tagespflege des BRK in Langwasser. Vor bald 35 Jahren war der Wohlfahrtsverband mit der Eröffnung einer Tagespflege, damals in der Nunnenbeckstraße, Vorreiter in Nürnberg. Dennoch sei die Hilfe, die sich auch gut mit ambulanter Versorgung kombinieren lässt, immer noch zu wenig bekannt. »Viele werden durch Mund-zu-Mund-Propaganda auf das Angebot aufmerksam.«
Grundsätzlich sind in den Tagespflege-Stationen Menschen mit noch überschaubarem Hilfebedarf ebenso willkommen wie Gäste mit höherem Pflegegrad. Nach einer Befragung ist in Nürnberg fast jeder zweite Gast in Pflegegrad drei eingestuft, jeweils etwa jeder vierte in Grad zwei und vier. Aktuell bestehen in Nürnberg 23 Tagespflegestationen mit insgesamt knapp 400 Plätzen; jede kann täglich zwischen acht und 24 Gäste aufnehmen. Noch relativ neu und bisher einmalig in der Stadt ist eine Nachtpflege, wie sie im neuen August-Meier-Haus an der Regensburger Straße angeboten wird. Sie ist komplett ausgebucht, auch besteht eine Warteliste – klare Belege für den hohen Bedarf, Angehörigen auch einmal einen ruhigen Schlaf zu ermöglichen und so an dieser Stelle zu entlasten.
Text: Bernd Lorenz
Fotos: Michael Matejka
Information
Umfassende und neutrale Informationen, auch zu den finanziellen Leistungen der Pflegekasse, bietet der Pflegestützpunkt Nürnberg im Heilig-Geist-Haus am Hans-Sachs-Platz, Tel. (0911) 231 87878. Über die Internetseite www.pflegestuetzpunkt.nuernberg.de ist auch die Pflegeplatzbörse mit einer Übersicht über alle Anbieter und Träger und jeweils freien Kapazitäten zu finden.