Es kann ganz schnell gehen, dass man auf fremde Hilfe angewiesen ist: Ein Sturz – und plötzlich kann sich die alte Frau nicht mehr zu Hause alleine versorgen. Die Angehörigen leben im Ausland und müssen von dort die Pflege organisieren. Aber wie? Eine junge Frau, die voll im Berufsleben steht, erhält die Diagnose Multiple Sklerose. Was bedeutet das für ihre Zukunft? Mein Partner entfremdet sich von mir und entwickelt eine Demenz – wo kann ich mich aussprechen, aber anonym bleiben? Fragen wie diese können seit Februar dieses Jahres zeit- und ortsunabhängig auf digitalem Weg an den im Seniorenamt der Stadt Nürnberg angesiedelten Pflegestützpunkt gerichtet werden. »Wir sind einer der ersten Pflegestützpunkte in Bayern, der Online-Beratung anbietet«, sagt Christel Krumwiede, Leiterin der seit 2011 bestehenden Einrichtung für alle Themen rund um die Pflege. Die von der Stadt Nürnberg, den gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen und dem Bezirk Mittelfranken getragene Anlaufstelle berät und unterstützt kostenfrei, neutral und individuell Menschen jeden Alters, die vom Thema Pflege berührt sind.
Team kurzfristig erreichbar
Zehn Kolleginnen und Kollegen, die das Pflegeexamen abgelegt und die Qualifizierung zur Pflegeberatung erworben haben, stehen Ratsuchenden nicht nur im Heilig-Geist-Haus am Hans-Sachs-Platz 2 oder in den Außenstellen Langwasser und Bleiweiß zur Verfügung – und das auch bei sehr kurzfristig vereinbarten Terminen. Wer als pflegebedürftige Person nicht mehr mobil genug ist, wer als Angehöriger wegen einer Rund-um-die-Uhr-Pflege oder aus beruflichen Gründen nicht persönlich vorsprechen kann oder möchte, erhält mittlerweile auch per E-Mail, Chat oder Video-Call Unterstützung und Entlastung.
»Online erreichen wir neue Zielgruppen«, erläutert Christel Krumwiede. Nicht nur aus unterschiedlichen Gründen eingeschränkte Menschen, sondern auch solche, die sich scheuen ein »Amt« aufzusuchen, sollen sich von dem niedrigschwelligen Angebot angesprochen fühlen. Erleichtert wird auch der Zugang für Menschen mit Migrationserfahrung. »Wer Probleme mit der deutschen Sprache hat, kann zu einem Videogespräch einen Angehörigen als Übersetzungshelfer hinzuziehen.« Wie die analoge kann auch die digitale Beratung in englischer, russischer oder in leichter Sprache vereinbart werden.
Aufgrund der langjährigen Erfahrung und der Vernetzung mit vielen weiteren Stellen ist das Beratungsangebot so vielfältig, wie es die Fragen und Probleme der Menschen sind. »Wir bieten einen Blumenstrauß an Möglichkeiten, wie Pflege passieren kann. Jede und jeder kann daraus aussuchen, was sie oder er braucht«, sagt Christel Krumwiede. Gemeinsam mit den Ratsuchenden wird besprochen: Wie ist die finanzielle Situation? Was kann ich mir leisten? Wie sind die personellen Ressourcen? Was kann ich, was können wir einbringen? Gibt es Entlastung durch Familie, Freunde oder Nachbarn? Fühle ich mich emotional zur Pflege daheim verpflichtet oder möchte ich sie lieber in professionelle Hände legen? Sehr gefragt ist die digitale Pflegeplatzbörse, die der Pflegestützpunkt während der Corona-Jahre aufgebaut hat. Steht die Entscheidung für ein Heim an, klären die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit den Klienten: Wer möchte alleine leben, wer sucht eine Gemeinschaft? Will ich in der Stadt wohnen oder lieber im Grünen? Priorität hat dabei die Perspektive der pflegebedürftigen Person. »Wir hören oft: ›Die sagen, ich soll dieses oder jenes tun.‹ Aber so sollte es nicht sein, dass einer über den anderen bestimmt«, betont Krumwiede, die gelegentlich auch mit Fragen zur gesetzlichen Betreuung konfrontiert wird.
Einschätzungsbogen vorab
Doch weil 75 bis 80 Prozent der Bedürftigen in häuslicher Pflege versorgt werden, gibt es hierzu den größten Beratungsbedarf. »Oft sind die Angehörigen sehr aufgeregt vor dem Besuch des Medizinischen Dienstes, der über den Pflegegrad und damit die Leistung der Pflegeversicherung bestimmt. Um den Termin vorzubereiten, besprechen wir vorab den Einschätzungsbogen mit den Klienten. Das gibt ihnen Sicherheit.« Gesetzliche Ansprüche werden erklärt, die umfassende Datenbank zu Diensten und Anlaufstellen in Nürnberg nach passender Unterstützung durchforstet. Durch die Kontakte des Pflegestützpunkts wissen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Bescheid über aktuelle Angebote der Träger in den einzelnen Quartieren und erfahren von Veränderungen in den Einrichtungen.
Falls die Klienten es wollen, lädt der Pflegestützpunkt auch andere Dienststellen zum Beratungstermin, wie das Sozialamt oder das Jugendamt. »Wir helfen von der Bürokratie überforderten Leuten, die oft kein Licht am Ende des Tunnels sehen, Prioritäten zu setzen und Schritt für Schritt vorzugehen.« Persönliches muss dabei nicht außen vor bleiben – Diskretion und Schweigepflicht sind selbstverständlich. »Wenn etwa eine Tochter bei der Pflege ihres Vaters ans Ende ihrer Kräfte kommt, weil dabei alte Konflikte aufbrechen, findet sie bei uns Verständnis. Wir zeigen Wege auf, wie es für beide weitergehen kann.« Demenz sei ein hochsensibles Thema, das zu einem Riesenproblem in der Ehe werden könne, erläutert Krumwiede. Auch für die Sorgen junger Angehöriger haben die Berater ein Ohr. »Young Carer werden Jugendliche genannt, die zu Hause Pflege erleben. Und die, die Pflegebedürftigkeit eines Elternteils als Tabu wahrnehmen. Das kann dazu führen, dass Kinder ihre Freunde nicht zu sich einladen, dass sie sich isolieren und dass ihre schulischen Leistungen abfallen.«
Pflegestützpunkt bietet Beratung auch online an
Christel Krumwiede und ihr Team wollen diese besondere Personengruppe, die nicht in die Beratungsstelle findet, gezielt auf das Online-Angebot hinweisen. Man solle sich ruhig schon mit 50 oder 60 Gedanken machen, wie man im Alter leben will, meint Christel Krumwiede. »Das sollte man nicht erst mit 80 überlegen. Pflegebedürftigkeit kann sehr überraschend kommen.« Ein weiteres Themenfeld des Pflegestützpunkts ist daher die Beratung zur Wohnraumanpassung. »Wir vermitteln ehrenamtliche Wohnberater, die sich bei Hausbesuchen umschauen, welche Möglichkeiten es zum Badumbau gibt, wo Haltegriffe sinnvoll sind, wie die Beleuchtung aussieht und, nicht unwichtig, welche Förderungen für seniorengerechte Baumaßnahmen beantragt werden können.«
Eine aufmerksame Nachbarschaft kann ebenfalls dazu beitragen, dass Menschen mit Beeinträchtigung nicht alleine gelassen werden. Das möchte die Leiterin des Pflegestützpunkts noch erwähnen. Man könne ruhig nachfragen, wenn die Seniorin von nebenan seit Tagen ihre Zeitung nicht aus dem Briefkasten geholt hat oder ihr Hilfe beim Einkaufen anbieten. Oder, warum nicht, sie mal auf einen Kaffee einladen.
Text: Alexandra Foghammar
Fotos: Claus Felix
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