Ein Reihenhaus im Nürnberger Norden. Hellwache Augen fixieren den Besucher. Zwei, drei kaum wahrnehmbare Bewegungen aus dem Handgelenk. Und schon bewegt sich das Sportgerät mit einem zischenden Geräusch so schnell durch die Luft, dass das Auge kaum folgen kann. Hier zeigt ein Fechter der Extraklasse seine Kunst. Sein Name: Hanns Prechtl. Sein Alter: 81 Jahre.
Geboren wurde er in Dinkelsbühl. Schon als Kind habe er »mit Steggerla rumg’haut«. Sein liebster Sport sei aber Fußball gewesen. Doch nach dem Umzug der Familie in die Noris habe der Vater dem damals 14-Jährigen diesen Sport verboten. Der Grund: »Ich woar a Raffer«, offenbart Prechtl in bestem Fränkisch. Also habe Papa beschlossen, dass der junge Raufbold einen Kampfsport lernen soll. Hanns wurde bei Jahn 63 Nürnberg den Fecht-Trainern übergeben. Ein Volltreffer. Es wurde seine lebenslange Passion.
Aber ist Fechten, das mit Eleganz, Schnelligkeit und Körperbeherrschung so sehr fasziniert, überhaupt ein Kampfsport? Historisch betrachtet unbedingt. Im antiken Griechenland war es neben Boxen und Ringen die dritte Sportart, in der es Mann gegen Mann ging. Wer seinen Gegner kampfunfähig machen wollte, musste diesen mehr überlisten denn niederknüppeln. So sieht das auch Hanns Prechtl. Wer bloß brutal fechte, komme nicht weiter. Aber: »Du brauchst den Killerinstinkt. Du musst intuitiv entscheiden, ob du angreifst oder verteidigst.«
Der Nürnberger verfügt über diese Gabe. Als 18-Jähriger wurde er erstmals bayerischer und mit 20 Jahren erstmals deutscher Juniorenmeister. Bis heute ist seine Medaillen- und Titelsammlung enorm gewachsen. Bei regionalen Turnieren stand Prechtl 30 Mal auf dem Treppchen. Zu 21 nationalen Medaillen kamen 11 Medaillen bei Europameisterschaften (zuletzt 2023) und 13 bei Weltmeisterschaften.
Überraschungseffekt zündet
Gekrönt wurde seine Fechtkarriere durch den Gewinn der WM 2022 im kroatischen Zadar. In der Altersklasse der über 70-Jährigen waren 70 Fechter aus 40 Nationen am Start. Im Florett-Halbfinale setzte ihm sein japanischer Gegner heftig zu. Prechtl erinnert sich: »Ich habe 8:5 geführt, als der gegnerische Trainer eingegriffen und ihm irgendetwas zugeflüstert hat. Ich habe mir drei Treffer hintereinander eingefangen, dann aber selbst etwas Unerwartetes probiert. Und ich hatte Glück.« Schließlich stand es 10:9. Das Finale gegen einen US-Amerikaner war mit 10:4 eine klare Sache.
Jüngst hat die Weltmeisterschaft in Dubai stattgefunden. Hanns Prechtl fehlte. Wegen gesundheitlicher Probleme habe er nicht angemessen, sprich drei Mal pro Woche, trainieren können. Ohnehin wächst der Altersabstand zu den jüngeren Kontrahenten von Jahr zu Jahr. Diese seien im Einzel bis zu elf Jahre, in Mannschafts-Wettbewerben über 20 Jahre jünger.
Seine Medaillensammlung ist enorm. Sie ist auch durch die Teilnahme an weniger bekannten Wettbewerben entstanden. Etwa durch den sogenannten Friesenkampf. Es handelt sich um einen Fünfkampf aus Fechten, Laufen, Schwimmen, Kugelstoßen und Schießen, der seit 1928 in Erinnerung an seinen Namensgeber Karl Friedrich Friesen durchgeführt wird. Dieser war Anfang des 19. Jahrhunderts einer der Mitbegründer der deutschen Turnkunst sowie Pädagoge und Freiheitskämpfer gegen Napoleon. Als solcher kam er 1814 mit nur 30 Jahren ums Leben. Ein Fecht-Idol ist er geblieben.
Der zweite Wettbewerb, der nach dem legendären Turnvater benannte Jahnkampf, wird vor allem in Ostdeutschland noch heute gepflegt. Die Veteranen absolvieren hier einen Sechskampf mit Schlagballweitwurf, Weitsprung, Schießen, Fechten, Laufen und Schwimmen. Auf die Frage, wie er das alles schaffe, meint der Nürnberger schmunzelnd: »Tja, ich muss meine Punkte im Fechten und im Schießen machen.«
Viel mehr als nur Sport
Hanns Prechtl ist fasziniert von der Geschichte des Fechtsports, aber noch mehr liebt er das Miteinander, die Kameradschaft: »Am Fechtboden sind alle per Du.« Dies habe ihm sein erster Trainer gesagt, als er bemerkte, dass der junge Mann die erfahrenen Aktiven siezte. Und so war er schnell mittendrin. Als damals 16-jähriger Schlosserlehrling sei er nach dem Fechten selten vor Mitternacht nach Hause gekommen. Später am Technikum, der heutigen TH Nürnberg, habe er am jeweils nächsten Morgen so manche Lehreinheit verschlafen. Diplomingenieur in der Fachrichtung Maschinenbau ist er trotzdem geworden.
Der gesellige Sportler, auf dessen Liste seiner bisherigen Ehrenämter neben Vorfechter (Trainer), Vereinsgründer, Vereinsvorsitzender, Aktivensprecher, Turnierausrichter oder Waffenwart auch die Funktion Vergnügungswart steht, denkt gerne an das früher rege Vereinsleben zurück. Man habe viel veranstaltet, vom Ausflug bis zum Faschingsball. »Das hat sich leider geändert. Das ist weg«, bedauert er.
Im Vergleich zu früher gebe es eine hohe Fluktuation. Eltern würden ihre Kinder zum Fechtclub bringen, beendeten das aber recht schnell, wenn Erfolge ausblieben. »Oft zu früh. Denn wenn du im Sport richtig gut werden willst, musst du dranbleiben«, sagt Hanns Prechtl. Dieses Durchbeißen gebe es weniger als früher. Er selber könne sagen: »Wenn ich gewonnen habe, war das schön. Aber am meisten gelernt habe ich durch meine Niederlagen.«
Drei Enkelkinder fechten aktiv
Seinen Sportsgeist hat er als Trainer an viele Kinder und Jugendliche weitergegeben. Anja Friebe führte er zur bayerischen Meisterschaft. Später wurde sie als Degenfechterin Weltranglisten-Erste im Juniorenbereich und Mitglied der deutschen Nationalmannschaft. Stolz lächelnd erzählt Hanns Prechtl davon, dass drei seiner sechs Enkelkinder aktiv fechten. Allerdings weiß er auch, dass das nicht so bleiben muss. Schule, Studium oder Beruf stünden dem sportlichen Ehrgeiz im Weg. Absolut entscheidend sei aber die Beziehung. »Ohne meine Frau Gaby hätte ich das alles nicht machen können. Mein Glück war, dass wir uns im Fechtclub kennengelernt haben.« Die beiden harmonieren als Paar, manches Hobby, etwa das Singen im Nürnberger SPD-Chor »MindestTon«, teilen sie.
Am Ende des Gesprächs blitzen wieder die hellwachen Augen. »Noch ein Glas Wein?« Es wird das zweite sein, die Uhr zeigt 11.30 Uhr. Hanns Prechtl ist ein Siegertyp. Aber genauso ein charmanter und zugewandter Zeitgenosse. Widerstand ziemlich zwecklos. Beim Wein. Und auf der Fechtbahn.
Text: Klaus Schrage
Foto: Michael Matejka
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