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Keine alten weißen Männer! – Es wird langsam komisch

Cartoon: Sebastian Haug

Das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Man stelle sich vor, ein Mann, ein weißer Mann, womöglich ein »alter weißer Mann«, hätte sich um die deutsche Übersetzung des Gedichts von Amanda Gorman bemüht! Nicht auszudenken.

Sicher erinnern Sie sich: an Amanda Gorman, die 22-jährige afro-amerikanische Lyrikerin, die bei der Amtseinführung von Joe Biden gestenreich ihr Gedicht »The Hill We Climb« vortrug und alle Welt für einen kurzen Moment einfing in der Hoffnung auf Einigkeit, Licht und Zuversicht. Der Begeisterung folgte, sagen wir, beinahe zwangsläufig, Zwist, Hader und die große Vermarktung. Amanda Gorman wurde quasi über Nacht berühmt, und ihr 19 Strophen umfassendes Poem inzwischen in viele Sprachen übersetzt – und dabei wurde es einigermaßen absurd …

Denn, so wissen wir inzwischen, kann nur ein Mensch gleicher Hautfarbe und gleichen Geschlechts das Werk eines Dichters oder Schriftstellers in eine andere Sprache übertragen. In Spanien beispielsweise wurde einem katalanischen Übersetzer der Übersetzungsauftrag für Amanda Gormans Gedicht entzogen – weiß (!) und männlich (!). In den Niederlanden bewarb sich eine weiße (!) Übersetzerin um die Aufgabe und entfesselte einen Sturm der Entrüstung. Hierzulande fand der Hoffmann und Campe Verlag eine geniale Lösung und beauftragte gleich drei Frauen gemeinsam mit der Übertragung des schmalen Werks, nämlich das Trio Gümüsay, Strätling und Haruna-Oelker.

Wenn das Schule macht, gibt es künftig viel zu tun im gesamten Literaturbetrieb. Und umzuschreiben. Manchmal könnte es natürlich schwierig werden, wenn etwa für Autoren eines fernen Volksstammes, vielleicht lauter PoC (ich hoffe, Sie kennen diesen Begriff für farbige Menschen, sonst wird’s aber Zeit!), ein adäquater Übersetzer gefunden werden müsste. Und wenn sie noch dazu noch weiblich wären, AutorINNEN!, eventuell alleinerziehend oder zur LGBTQI*-Szene gehörend … Da braucht es viel Mühe und Feingefühl!

Konsequent weitergedacht, müsste man noch einen Schritt weitergehen. Auch Alte – somit auch alte Autoren – sind eine schützenswerte Minderheit und sollten entsprechend fair berücksichtigt werden. Denn natürlich kann sich kein junger Mensch in die Lebens- und Denkweise eines Betagten hineinversetzen.

Schieben wir also jeder möglichen Fehlinterpretation einen Riegel vor und sortieren zunächst die Menschheit säuberlich nach Männlein und Weiblein, Alter, Hautfarbe, Herkunft und Religion. Erst danach geht’s ans Übersetzen. Über alle Grenzen hinweg gilt selbstredend stets das hehre Gebot »Wir respektieren einander«. Na, hoffentlich. Auch in der Literatur.

Deshalb mein gut gemeinter Rat: Handeln auch Sie gesellschaftlich korrekt. Kontrollieren Sie Ihren Bücherbestand. Entrümpeln Sie gnadenlos, was nicht den aktuellen Übersetzungsgepflogenheiten entspricht. Sie werden sich danach richtig gut fühlen, ganz auf der Höhe der Zeit. Und überdies: Es gibt viel Platz im Regal.

Ihre Brigitte Lemberger

Eine Antwort

  1. trefflich gefaucht, Brigitte. Der von Bessermenschen initiierte Trend zur Quote in Politik und Beruf nimmt erst richtig Fahrt auf. Da ist viel Luft drin für viel mehr Gerechtigkeit: Man denke da an Quoten-Klassiker wie Ledige vs. Verheiratete, Kapitalisten vs. Proletarier. Modernere Quoten für Identitäten als Vegetarier vs. Fleischesser, Digitale Natives vs. analog Abgehängte, Klimaaktivisten vs. verstockten anderen. Last, but not, least: Geimpfte vs. Ungeimpfte.

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