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Klinikum setzt Malen als Medizin ein

Kunsttherapeutin Johanna Masuch und Prof. Dr. Katrin Singler freuen sich über die Werke ihrer Patienten. Foto: Kat Pfeiffer

Die Bilder könnten glatt in einer kleinen Ausstellung hängen und für gute Laune sorgen. Bunte Fische sind darauf zu sehen, Bäume, in denen sich zahlreiche Vögel auf den Ästen niedergelassen haben oder auch einfach nur bunte Farben, die zusammen ein harmonisches Ganzes ergeben. Sie sei selbst immer wieder erstaunt »wie schön das ist, was die Menschen zu Papier bringen«, sagt Prof. Dr. Katrin Singler, Internistin und Geriaterin am Klinikum Nürnberg. Dabei ist die Gestaltung eines schönen Bildes überhaupt nicht das Ziel des Projektes, an dem Singler und ihre Kollegin, die Kunsttherapeutin Johanna Masuch, gerade arbeiten. Ihnen geht es vielmehr um den therapeutischen Nutzen des künstlerischen Tuns.

Wie Kunsttherapie alte Menschen stärken kann

In mehreren Studien untersuchen die Frauen in einem insgesamt neunköpfigen Team mit Unterstützung der Staedtler-Stiftung, welchen Effekt Kunsttherapie bei älteren Menschen hat – es ist die erste umfassende Studie dieser Art in Deutschland. Begonnen haben sie bereits 2017 mit einer besonders heiklen Patientengruppe: Ältere Menschen, die im Rahmen ihres Klinikaufenthaltes an einem Delir litten, also an einem Zustand akuter Verwirrung, wie er zum Beispiel nach einer Narkose auftreten kann. Sie bekamen von den Kunsttherapeuten im Rahmen der ersten Studie Besuch am Krankenbett. Mit erstaunlichem Ergebnis: Mit Hilfe der kunsttherapeutischen Arbeit ließ sich die Dauer des Delirs häufig signifikant verkürzen, Nebenwirkungen gab es dabei nicht. Und sowohl die Patienten als auch Angehörige und Mitarbeiter erlebten das Angebot als entlastend. Die Arbeit habe den Patienten bei der emotionalen und körperlichen Orientierung geholfen, sagt Johanna Masuch. Für die erfolgreiche Arbeit gab es im vergangenen Jahr den Dr. Theo und Friedl Schöller-Preis – und die Motivation, auf dem noch relativ jungen Feld der Kunsttherapie weiter zu forschen. 

Das Interesse ist riesengroß

Zudem wurden und werden noch drei weitere Gruppen im Rahmen der »DUERER«- und »PAINT«-Studien untersucht und kommen in den Genuss des Angebotes: Patienten der geriatrischen Tagesklinik, Bewohner eines Altenheimes und pflegende Angehörige. Corona hat die Arbeit des Teams zwar ein Stück weit verlangsamt, dennoch fanden und finden die Therapiestunden im Altenheim statt, wann immer es die Bedingungen zulassen. »Wir mussten die Studie umstrukturieren«, sagt Masuch. »Statt in der Gruppe arbeiten wir mit zwei Teilnehmern pro Sitzung.« Das Interesse sei riesengroß, betont Prof. Singler. 

Untersucht wird, inwieweit das künstlerische Arbeiten Resilienz und Kompetenzen der Senioren stärken kann. Die Therapeutinnen arbeiten dabei auch mit Menschen, die kaum noch einen Pinsel halten oder die fast nichts mehr sehen können. Und auch bei denen, die noch relativ fit sind, hören sie dabei einen Satz immer wieder: »Ich kann aber überhaupt nicht malen.« Viele haben seit der Grundschule kein Bild mehr gestaltet – und stellen plötzlich Jahrzehnte später fest, welche Fähigkeiten in ihnen schlummern. Die Kunsttherapie fördere »Ressourcen, die eigentlich noch da sind«, betont Singler. Die Senioren bekommen im Rahmen des Projektes Material zum Malen, in ihren Zimmern können sie eigenständig damit weiter werkeln. 

Die Farben lassen sich spüren

Doch wie schon erwähnt: Um das Ergebnis geht es nicht, auch wenn sich die Bilder sehen lassen können. »Es geht nicht um die Darstellung, sondern um das Tun«, sagt Masuch. Manche Teilnehmer malen, weil sie es nicht mehr anders können, einfach mit der Hand, andere greifen zur Pastellkreide. Blinde oder Sehbehinderte arbeiten auf Papier, das die Therapeuten auf dem Tisch festgeklebt haben. »Sie sagen uns, dass sie die Farben spüren können«, so Masuch. Anfangs tupfen die Menschen vielleicht »nur« Linien oder Punkte hin, später bringen sie dank professioneller Anleitung malend ihre Gefühle zum Ausdruck. »Wie sehe ich mich als Baum, habe ich feste Wurzeln, in welcher Jahreszeit stehe ich, kommen mich Vögel oder Insekten besuchen?« Oder: »Wenn ich ein Fisch wäre, wie wäre ich dann? Würde ich sorglos durch den Ozean schwimmen?« 

Deshalb braucht es dafür ausgebildete Therapeuten – mittlerweile bieten 14 Hochschulen und Institute in Deutschland einen entsprechenden Studiengang an. Die Untersuchung des Nürnberger Teams soll auch dazu beitragen, eine Art Curriculum für die Arbeit mit älteren Menschen zu entwickeln. Denn während die Kunsttherapie etwa im Bereich der Psychiatrie oder Palliativmedizin schon länger angeboten wird, ist sie im Bereich der Altenpflege noch rar. Doch das Interesse sei groß, so Singler. »Drei Viertel der von uns befragten Heime würden ein solches Angebot gerne in Anspruch nehmen.« 

Kreativarbeit als aktive Form der Schmerzreduzierung

Es ist noch zu früh, um die Erfolge der Arbeit im Altenheim genau messen zu können. Doch die ersten Erkenntnisse seien vielversprechend, betonen die Forscherinnen. Im Rahmen der Studie werden die Patienten intensiv befragt, auch eine Langzeitbeobachtung ist geplant. Und so viel lässt sich laut Masuch jetzt schon sagen: »Die Arbeit kann eine aktive Form der Schmerzreduzierung sein, sie trägt zur Entspannung und Entlastung bei.« Und: »Die Teilnehmer sind stolz, dass sie etwas Dauerhaftes schaffen.« Das geht so weit, dass manche Teilnehmer bewusst ein Bild malen, das sie ihren Angehörigen hinterlassen wollen. Manchmal sind dann darauf Berge zu sehen, auf denen die Menschen neben dem Gipfelkreuz stehen und auf ihr Leben schauen – ein schönes letztes Bild, das bleibt.

Text: Silke Roennefahrt
Foto: Kat Pfeiffer

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