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Hilfreiche Klischees

Hello All,

Mitmenschen tun uns gut. Noch besser tun uns solche, die wir flugs einordnen können, am besten mehrfach. In Vertraute und Fremde, Zuhörer und Plauderer, Gute und Böse, Frauen und Männer, Modische und Stilleugner, Entspannte und Gestresste, Junge und Alte, Bargeldheraussucher und Smartphone-App-Bezahler. Diese Stereotypen sind unverzichtbare Leuchttürme in der sozialen Navigation. Aus den Schnittpunkten solcher Peilungen ergeben sich verlässliche Hinweise, was von jenem Gegenüber zu erwarten ist, also z.B. jung, Frau, modisch, Smartphone-App-Bezahlerin: Berufstätige in Eile ohne Lust auf Plausch.

Allerdings klappt diese Verortung nur innerhalb vertrauter Standardsituationen und in homogenen Kulturkreisen. Sonst wird’s schnell peinlich. Geiz ist geil? In Amerika ist Trinkgeld für Taxi oder Tischbedienung ein Muss; in Japan oder Singapur hingegen ein kränkender Affront gegenüber dem  Dienstleister. Ob man einer älteren Dame im vollbesetzten Bus den eigenen Sitzplatz anbietet, kann je nach Kultur und Situation als Selbstverständlichkeit, als willkommene Höflichkeit oder als sexistische, altersdiskriminierende Herablassung gelten.

Schwierig wird es bei sog. „weichen“ Faktoren wie z.B. Religiosität oder Spiritualität. Hilft kein spontaner Hinweis wie Kopftuch, Halskettchen mit Kreuz, Runentätowierung oder Dialekt? Dann schließt man ersatzweise aus dem größeren Kontext auf die mutmaßlich vorherrschende Gesinnungslage: In den USA soll man davon ausgehen, dass sich ca. 90% der Bevölkerung als „religiös oder spirituell“ bezeichnen; in Deutschland hingegen sind schon offiziell 40% der Bürger konfessionslos. Amerikanische Kleinkirchen, sog. congregations, sind sonntags rappelvoll und laut; in Deutschland wird andächtig mehr Sicherheitsabstand auf den Kirchenbänken eingehalten als den Kirchenoberen recht ist. Doch auf beiden Seiten des Atlantiks darf man erwarten: je älter, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen sich zu Transzendentem bekennen.

Meine sozialwissenschaftlichen Kollegen teilen diesbezüglich die Menschheit in ORAs und NORAs ein: ORAs sind organisiert religiös Aktive; und NORAs die nicht organisiert religiös Aktiven. Leider nur selten auf den ersten Blick erkennbar, mal abgesehen von religiösen Orten oder kultischen Verrichtungen. Etwas anders scheinen die Dinge in China zu liegen. Ca. 75% der Chinesen bekennen sich zu keiner der größeren regionalen Religionen wie Taoismus, Buddhismus oder Islam. Wobei der Buddhismus unter jüngeren Chinesen tendenziell stärker Anklang findet als unter den Älteren. Ungefähr nach dem Motto, sicher ist sicher. Recht genuin chinesisch wirkt das Räucherstäbchenschwenken auch. Kultisch wirkende Traditionen  als Ausdruck des Nationalstolzes sind in China gerade unter den Jüngeren  populär. Wie die Orientierung an  Feng Shui-Regeln, die Bevorzugung bzw. Vermeidung glücksspendender (8,9) wie unheilbelasteter Zahlen (4), alte Schriftzeichen und klassische Symbolik.  Gehören demnach nun eher junge oder doch eher alte Chinesen zu den ORAs oder NORAs?  Eingängige Klischees erleichtern die soziale Orientierung, ja das Leben.

Ihr Global Oldie

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