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Ein Sechser im Lotto ist gar nicht soooo toll

Kennen Sie das? Im Schaufenster des Lottogeschäfts hängt dieses Plakat mit dem jeweils aktuellen Pegelstand des Jackpots. 24 Millionen, 30 Millionen, 36 Millionen Euro … Da muss man einfach zuschlagen. Also ab in den Laden, die richtigen Zahlen ankreuzen – und dann für immer glücklich sein. Oder doch nicht?

Die Wahrscheinlichkeit, sechs Richtige plus Zusatzzahl zu tippen, liegt bei 1:139.838.160. Das kann eher passieren, als dass man beim Baden im Dechsendorfer Weiher von einem Killerkarpfen gefressen wird. Aber rein statistisch wäre man auf dem Weg zum Hauptgewinn 120 Mal vom Blitz getroffen worden.

Und falls doch? Zunächst wäre das wunderbar. Man gehörte zu den wenigen Menschen, die sich eine barrierefreie Luxus-Schnickschnack-Wohnung in zentraler Lage leisten könnten. Man könnte alle 14 Tage verreisen, allerlei Kulturereignisse genießen oder eine VIP-Lounge beim Club mieten. Wenn all das ab Pflegegrad 2 nicht mehr funktioniert, könnte man sich vom hauseigenen Pflegepersonal umsorgen lassen. Und die eigenen Kinder würden erleben, was für viele Nachkommen reicher Familien gilt: Großzügige Geldgeschenke der Alten sind der sicherste Weg zu dauerhaftem Wohlstand.

Doch unverhoffter großer Reichtum hat Tücken. Gut, als Lottogewinner erreicht man nicht die höchste Stufe der Neureichen-Dekadenz. Man müsste keine Super-Yacht kaufen, die innerhalb von fünf Jahren nur noch zehn Prozent des Neupreises wert und eigentlich unverkäuflich wäre, weil sie nach der eigenen Ehefrau benannt ist. Man müsste auch nicht Helene Fischer ins Weltall schießen, damit diese nach elf Minuten Schwerelosigkeit atemlos den Asphalt am Volksfestplatz küssen kann.

Aber: Wer viel Geld hat, will auch, dass es sich ordentlich vermehrt. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich über 2,5 Prozent aufs Festgeld freut und froh ist, dass die neue Waschmaschine vom Sparkonto bezahlt werden kann. Man lebt jetzt in der Welt der Aktien, der Fonds, der Derivate und der Bitcoins. Zehn Prozent Rendite pro Jahr? Absolut lächerlich. Wer das stark findet, ist für Reichtum zu schwach.

Unterschätzen wir nicht die Verlustängste. Wohlstand muss verteidigt werden. Also verfügt unser Domizil über einen Wandtresor mit Zahlenschloss, einen massiven Querriegel an der Wohnungstüre und über einen von drei Kameras überwachten Hauseingang. Wer um unser Haus herumschlurft, ist verdächtig. Und, ach ja, die alten Freundinnen und Freunde sehen wir nicht mehr. Die grillen immer noch im Park, das ist nicht mehr unser Niveau.

Wirklich schlimm wären allerdings reale Verluste. Zwar hätte man nach der nächsten großen Strafzoll-Party des besten US-Präsidenten aller Zeiten immer noch das Hundertfache des früheren Kontostands. Aber was, wenn die Leute im Golfclub erfahren, dass man knöcheltief in die Spekulanten-Falle getappt ist, weil sich der Picasso als Fälschung herausgestellt hat? Diese Blamage täte unendlich weh. Ein Glück, dass es auf traurige reiche Menschen spezialisierte Psychotherapeuten gibt.

Wollen wir das wirklich? Am besten lebt es sich doch, wenn man nicht dauernd ans Geld denken muss. Auch nicht ans viele Geld. Falls uns wieder einmal das Jackpot-Plakat laut »Nimm mich!« entgegenschreit, sollten wir uns sagen: Schon gut. Vier Richtige sind auch ganz schön.

Text: Klaus Schrage
Cartoon: Sebastian Haug

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