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Depp im Web und die gute alte Brieftasche

Benutzt heute noch jemand eine Brieftasche? Ich kenne jedenfalls niemanden. Mein Großvater hatte noch eine. Da waren tatsächlich noch Briefe drin. Und sein grauer Führerschein. Den musste er nicht mal knicken.

Ich hatte nie eine. In meinen Sakkos fehlt inzwischen sogar meistens die dafür vorgesehene Brusttasche. Oder die ist so geschrumpft, dass höchstens noch das Handy reinpasst. Da sind übrigens meine Briefe drin. Die heißen jetzt Mails.

Bei der EU kümmert man sich jedoch um untergegangene Kulturgüter. Bevor keiner mehr weiß, was eine Brieftasche ist, führt die Europäische Union rasch eine ein. Immerhin eine digitale. In spätestens zwei Jahren soll sie in allen EU-Ländern verfügbar sein. Und die Sakkohersteller müssen nicht einmal umdenken. Die »Digitale Brieftasche« passt aufs Handy.

Laut EU soll man in der neuen »Brieftasche« seine Dokumente und seine »digitale Identität« verwalten können. Man kann sich dann gegenüber Banken, Ärzten und den Onlinehändlern ausweisen. Damit die keine unnötigen Daten abgreifen, darf sogar ein Pseudonym benutzt oder bei der Altersbestätigung das genaue Geburtsdatum verschwiegen werden.

Hört sich gut an. Verdächtig gut. Denn sind alle wichtigen Daten an einem Ort, muss der Hacker nur einmal knacken. Hat er dann Zugriff auf die App, kann er sich problemlos für mich ausgeben und freudig flöten: »Depp ist mein Name, Depp Imweb!« Will ich das? Brauch ich das? Mein Alter, zum Beispiel, habe ich schon bislang ohne genaues Geburtsdatum bestätigt. Etwa auf Pornoseiten. Da klickt man auf die Frage, ob man schon 18 ist, einfach auf »Ja« und fertig ist die Laube. Wobei, eine Laube hat ebenfalls kaum noch einer. Vielleicht sollte die EU da auch mal ran.

Peter Viebig

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