Die meisten Menschen sprechen nur ungern darüber. Wenn sie herzhaft lachen, schwer heben oder heftig husten müssen, verlieren sie unkontrolliert ein paar Tropfen Urin. Andere werden von starkem Harndrang regelrecht überfallen und schaffen den Weg zur Toilette nicht mehr. Inkontinenz ist nach wie vor ein heimliches Leiden, das die Lebensqualität stark einschränkt. Dabei gäbe es viele Möglichkeiten, die Beschwerden zu beseitigen oder in den Griff zu bekommen – wenn die Betroffenen denn ärztliche Hilfe suchen würden.
Am Dienstag, 11. Oktober, um 17 Uhr, steht das Thema Blasenschwäche im Mittelpunkt des kostenlosen digitalen Arzt-Patientengesprächs in Kooperation mit dem Magazin sechs+sechzig. Oberärztin Melanie Pimentel hält einen Impulsvortrag zu dem Tabu behafteten Thema. Anschließend beantwortet die Leiterin der Urogynäkologischen Sprechstunde am St. Theresienkrankenhaus Fragen der Teilnehmer. Anmeldung bis 8.10.2022 an info@magazin66.de
Die Gynäkologin Melanie Pimentel, Oberärztin und Koordinatorin des Kontinenz- und Beckenbodenzentrums am St. Theresien-Krankenhaus Nürnberg, beobachtet, dass Inkontinenz zwar in der Gesellschaft längst akzeptiert ist, für die Betroffenen selbst aber nach wie vor ein Tabu-Thema bedeutet. »Sie geraten dadurch in eine soziale Isolation. Sie trauen sich nicht mehr aus dem Haus. Längere Reisen, Theater- oder Konzertbesuche kommen für sie nicht infrage. Und ältere Menschen, die häufig ohnehin schon weniger soziale Kontakte haben, vereinsamen.«
Damit die Blasenkontrolle funktioniert, müssen Zentren in Gehirn und Rückenmark, beteiligte Muskeln und Nerven intakt sein und zusammenarbeiten. Zahlreiche Ursachen können das fein aufeinander abgestimmte System stören. Hinter einer sogenannten Belastungsinkontinenz, die besonders Frauen trifft, steckt oft ein geschwächter Beckenboden. Er hält die Beckenorgane in Position und stützt den Blasenschließmuskel. Wenn die Muskulatur schwächelt, dann können bei mechanischem Druck – etwa beim Husten, Niesen oder Sport – ungewollt Tröpfchen aus der Blase entweichen.
Bei einer Dranginkontinenz dagegen spüren die Betroffenen einen massiven Harndrang. »Patientinnen und Patienten schaffen es manchmal nicht bis zur Toilette. Sie verlieren schwallartig Urin«, schildert die Oberärztin. Drang- und Belastungsinkontinenz sind oft auch gepaart. Darüber hinaus gibt es noch andere Arten von Inkontinenz.
Genaue Notizen helfen
»Das Allerwichtigste für Diagnose und erste Therapieschritte ist deshalb ein ausführliches Gespräch mit dem Betroffenen«, sagt Melanie Pimentel. Ein sogenanntes Miktionstagebuch kann wichtige Informationen liefen. Hier notieren Patienten, wie viel sie tagsüber getrunken haben, wann und wie oft sie zur Toilette mussten und wie viel Urin sie jeweils abgegeben haben.
In körperlichen Untersuchungen können Ärzte dann zum Beispiel feststellen, ob eine Senkung der Gebärmutter, der Blase oder des Enddarms bei Frauen oder eine Prostatavergrößerung bei Männern die Beschwerden verursachen. Möglich sind unter anderem noch Ultraschalluntersuchungen, eine Blasenspiegelung oder eine sogenannte urodynamische Untersuchung, bei der mit einem speziellen Katheter geprüft wird, ob eine Fehlfunktion der Blasenfüllung bzw.- entleerung vorliegt und alle Muskeln korrekt arbeiten.
Auch bei der Therapie gibt es kein Patentrezept. Je nach Art, Ursache und Ausmaß der Inkontinenz muss die Behandlung individuell angepasst werden. »Zunächst werden alle konservativen Therapien ausgeschöpft. Dazu zählen Medikamente, lokale Hormongaben mit Zäpfchen oder Creme, aber auch ein Beckenbodentraining«, meint Pimentel. Inkontinenz-Tampons oder Scheidenpessare sind weitere Hilfsmittel.
Lebensqualität kommt zurück
Reichen diese Schritte nicht aus, bleiben noch mehrere operative Verfahren. Bei der Dranginkontinenz bringt etwa ein kleiner, risikoarmer Eingriff viel Lebensqualität zurück: »Bei einer Blasenspiegelung wird an mehreren Stellen in der Blase gezielt Botox injiziert. Dadurch erschlafft die Blasenmuskulatur, der häufige Harndrang lässt nach. Die Wirkung hält bis zu einem Jahr an«, schildert die Gynäkologin. Eine operative Möglichkeit bei einer Belastungsinkontinenz ist zum Beispiel das sogenannte TVT-Bändchen, das das natürliche Halteband der Harnröhre verstärkt.
Im Kontinenz- und Beckenbodenzentrum am Theresienkrankenhaus arbeiten Ärztinnen und Ärzte aus der Frauenklinik, der Urologie und dem Fachbereich Proktologie der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie zusammen. Auch wenn Frauen häufiger von Inkontinenz betroffen sind – natürlich finden auch Männer in dem Zentrum Hilfe; sie werden dann zumeist von den Urologen betreut. Was aber Inkontinenz-Patienten zur Behandlung auch mitbringen sollten, ist Geduld.
Text: Karin Winkler
Foto: Theresienkrankenhaus
Online-Veranstaltung
Blasenschwäche und Inkontinenz – Ursachen und Behandlungsmöglichkeiten stehen am Dienstag, 11. Oktober, um 17 Uhr, im Mittelpunkt des kostenlosen digitalen Arzt-Patientengesprächs in Kooperation mit dem Magazin sechs+sechzig. Oberärztin Melanie Pimentel am St. Theresienkrankenhaus beantwortet im moderierten Chat Fragen der Teilnehmer. Anmeldung bis 8.10.2022 an: info@magazin66.de. Der Zugangslink zu Zoom wird rechtzeitig zugesandt. Die Veranstaltung ist live und wird nicht aufgezeichnet.
Eine Antwort
Ich wusste nicht, dass die Gebärmutter sinken kann und dazu führen kann, dass Frauen häufiger auf Toilette gehen müssen. Muss man zur Behandlung dann zu einem Urologen für Frauen gehen? Meine Tante leidet nämlich auch an Inkonsistenz.