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Klimawandel heizt Älteren besonders ein

Es gibt Vieles, was uns gegenwärtig beunruhigt: Covid 19, die Klimakrise, die unsichere wirtschaftliche Situation, der gesellschaftliche Umbruch und der Aufbruch in ein digitales Zeitalter. Das alles müssen wir psychisch und physisch verkraften. Eine stabile, jugendliche Konstitution ist dabei hilfreich. Wie aber geht es alten Menschen, die ohnehin mit gesundheitlichen Einschränkungen leben müssen? Wie verkraften sie die aufgeregten Zeiten, die schnell wechselnden Temperaturen oder die extrem starke Hitze, die uns in den vergangenen Jahren heimsuchte und die uns auch in Zukunft belasten wird? Diesen Aspekt beleuchtet aus ärztlicher Sicht der Erlanger Mediziner Prof. Dr. Thomas Kühlein, der an einer bisher wohl einmaligen, noch nicht veröffentlichten Forschungsarbeit über die Auswirkungen des Klimawandels auf ältere Menschen beteiligt ist.

sechs+sechzig: Herr Prof. Kühlein, laut Weltgesundheitsorganisation ist der Klimawandel die wohl größte Bedrohung für die Gesundheit. Das stellte die WHO fest, noch bevor uns Corona beschäftigte. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Corona, weil in beiden Fällen ältere Menschen besonders betroffen sind?

Thomas Kühlein: Nicht direkt. Aber es ist schon so, dass besonders die alten Menschen leiden. Denn besonders betroffen sind immer diejenigen, die sich am wenigsten schützen können.

Konkret ist die Hitze eine der spürbarsten Folgen des Klimawandels. Wie wirkt sie sich auf ältere Menschen aus?

Das Problem ist zunächst einmal der Flüssigkeitsverlust durch das Schwitzen. Wer da nicht genug trinkt, trocknet aus. Früher, das erzählte mir mein Schwiegervater, galt die Regel, man solle beim Wandern oder auf Bergtouren möglichst wenig trinken, weil man sonst zu sehr schwitzt. Heute rennen die jungen Menschen überall mit Trinkflaschen herum. Wie viel man trinken soll? Ein Fachmann hat ironisch als Regel das »hochkomplexe Phänomen Durst« vorgeschlagen. Doch viele ältere Leute reagieren nicht mehr so auf das Durstgefühl. Außerdem haben sie oft Angst, zu oft auf die Toilette zu müssen oder sind wegen einer Inkontinenz vorsichtig.

Wie wirkt sich das auf den Körper aus, etwa auf den Blutdruck?

Wenn die Flüssigkeitsmenge im Körper abnimmt, wird der Blutdruck erst einmal sinken. Das ist an sich zunächst nichts Schlimmes, solange es innerhalb bestimmter Grenzen bleibt. Infolge des Flüssigkeitsmangels passieren komplexe Dinge im Körper. Beispielsweise werden die Nieren nicht mehr durchspült und dadurch geschwächt. Bei einem schnellen Flüssigkeitsverlust kann es gerade bei Senioren, wenn die Niere schon altersbedingt vorgeschädigt ist, zu einem akuten Nierenversagen kommen. Die Niere stellt abrupt ihre Funktion ein, und das kann auch zum Tod führen. Bei rechtzeitiger Behandlung im Krankenhaus kann sich die Niere zwar wieder erholen, aber es bleibt ein Schaden. Wenn so etwas öfter passiert, kann die Niere irgendwann ihre Funktion nicht mehr erfüllen.

Wie häufig sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Wir müssen hier unterscheiden. Es gibt die kardiovaskulären Erkrankungen (Erkrankungen des Herzens und der Gefäße, die Red.), die hier nur begrenzt eine Rolle spielen. Sie entstehen hauptsächlich durch bekannte Risikofaktoren, wie etwa Rauchen, Bluthochdruck. Die Adern verkalken zunehmend, mit möglichen Folgen wie Schlaganfall oder Herzinfarkt. Es gibt aber noch einen anderen Aspekt: Durch Austrocknen bei Flüssigkeitsmangel wird das Blut zähflüssiger, und dann steigt die Gefahr von Thrombosen.

Durch den Klimawandel werden auch Starkregen und Über­flutungen zunehmen. Führt das zu zusätzlichem Stress bei älteren Menschen?

Wenn ein bislang friedlicher Bach durch lokale Starkregen plötzlich zur tobenden Schlammlawine wird, versetzt das die dortigen Bewohner in Dauerstress. Bei jedem Regen denken sie, es könnte gleich wieder passieren. Eigentlich sind wir ja in der Regel sinnlos positive Wesen (lacht), wo doch Menschen mit Depressionen eine realistischere Sicht auf die Zukunft haben. Das ständige Bewusstsein des Klimawandels – man muss sich nur mal die kaputten Wälder anschauen – und jetzt auch der Dauerbeschuss mit Corona-Nachrichten sorgen für weiteren Stress, und das summiert sich. So kommen wir in eine Dauer-Alarmstimmung.

Sie hatten es eingangs kurz erwähnt: Die äußeren Lebensumstände spielen eine große Rolle. Welche sind das?

Es ist bei zunehmenden Temperaturen wichtig, dass man tagsüber die Fenster geschlossen hält, um die Hitze abzuhalten, wie es Südländer schon lange tun, und nachts bei offenem Fenster die Kühle herein lässt. In großen Wohnungen geht das leicht, aber je kleiner die Wohnung, desto schwieriger wird es. Wenn sich mehrere Leute in der Wohnung aufhalten, können sie es nicht den ganzen Tag bei geschlossenem Fenster aushalten. Und wenn sie in der Stadt wohnen, wo relativ große Häuser dicht bei einander stehen, heizen sich die Mauern tagsüber auf und nachts kommt wenig Kühle herein.

Beim Wohnungsbau müssen aber auch die Bauträger mitmachen.

Ja, da haben Sie wieder das Gefälle in der Gesellschaft. Wer ein Haus besitzt, hat Möglichkeiten. Wer in einem Wohnturm lebt, muss damit rechnen, das sich die Wohnung im Sommer ordentlich aufheizt. In den oberen Stockwerken lässt sich auch nichts verschatten. Die Häuser müssten besser isoliert und mit guten Fenstern ausgestattet sein.

Rechnen Sie damit, dass die Praxen zunehmend von älteren Patientinnen und Patienten aufgesucht werden, die über Hitzeschäden und Ähnliches klagen?

Es ist eher so, dass die gar nicht kommen und klagen, sondern dass man da aufpassen und hinfahren muss. Viele werden immer lethargischer, weniger aktiv, weil sie einfach nicht mehr können. Gefährlich ist es, wenn sie durch die Hitze immer schwächer werden und nicht mehr reagieren. Da müssen Angehörige sensibilisiert werden, dass sie öfter mal vorbeischauen, gerade während einer Hitzewelle, und vielleicht mal einen Kasten Wasser in die Wohnung stellen und dafür sorgen, dass er auch getrunken wird.

Bei Corona gibt es dank der Impfung nun Hoffnung für Ältere, gesund zu bleiben. Sehen Sie beim Klimawandel einen ähnlichen Hoffnungsschimmer?

Bei Corona bin ich ganz positiv, dass wir demnächst alles wieder in normale Bahnen bekommen. Beim Klimawandel ist dies nach wie vor möglich. Es ist fünf vor zwölf. Das ist eine Hauptaufgabe. Eine zweite ist die Verteilungsgerechtigkeit auf der Welt. Wir haben hier bei uns zum Teil in der Medizin eine Überversorgung mit immer neuen Medikamenten, deren zusätzlicher Nutzen überschaubar ist, auch bei altersbedingten Krankheiten. Anderswo herrscht große Knappheit. Das führt zu Unzufriedenheit über die ungleiche Verteilung der Chancen. Da überlappt sich Corona mit dem Klimawandel.

Interview: Herbert Fuehr; Foto: Mile Cindric

Zur Person

Prof. Dr. med. Thomas Kühlein ist Facharzt für Allgemeinmedizin und war nach seiner Tätigkeit als niedergelassener Arzt von 2006 bis 2013 wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Allgemeinmedizin und Versorgungsforschung der Universität Heidelberg, wo er auch habilitierte. 2013 folgte Kühlein dem Ruf auf den ersten regulären Lehrstuhl für Allgemeinmedizin Bayerns am Universitätsklinikum der Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Zugleich ist er auch hausärztlich tätig, als Ärztlicher Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums Eckental, einer Einrichtung der FAU.

 

 

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