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Wie nah ist der Weltuntergang wirklich?

Über Monate hinweg hatte das Klimacamp neben der Sebalduskirche in Nürnberg seine Zelte aufgeschlagen. Dieser Protest stieß in Teilen der Bevölkerung auf Widerstand.

Vor dreihundert Generationen entstanden die ersten Stadtkulturen Mesopotamiens. Von einem Spaziergang in den Straßen des alten Rom trennen uns hundert Generationen, von der Französischen Revolution zehn. Die immensen Transformationen des 20. Jahrhunderts aber – Elektrifizierung und Massenkultur, Auschwitz und Atombombe, Urbanisierung und Erdölboom, Transistor und Tourismus, Internet und Quantenphysik, künstliche Intelligenz und schwarze Löcher – erscheinen im Zeitraum eines einzigen gestressten, verunsicherten Menschenlebens.«

Das schreibt der Historiker und Philosoph Philipp Blom in seinem höchst unbequemen Buch »Die Unterwerfung – Anfang und Ende der menschlichen Herrschaft über die Natur»« (Hanser Verlag, 368 S., 28 Euro). Das Buch ist unbequem, weil es davon erzählt, welche geschichtlich grandiosen, letztlich jedoch verhängnisvollen Entwicklungen die Selbstüberschätzung der Gattung Homo Sapiens – als Krone der Schöpfung – infolge der Überinterpretation des biblischen Satzes »Macht euch die Erde untertan!« ausgelöst hat. Die schwindelerregende Rasanz, mit der die vorletzte Generation im 20. Jahrhundert die Entwicklung vorangetrieben hatte, führte zu Beginn des 21. Jahrhunderts in eine ökologische Weltkrise. Von Teilen der nun aktiven Generation der Jugend wird diese Weltkrise als endzeitlich gedeutet. Sie bezeichnen sich daher als »Letzte Generation«. Von anderen, die nicht so apokalyptisch denken, werden die protestierenden Angehörigen der »Last Generation« (sie sieht sich auch als »Lost Generation«) schlicht als »Klimakleber« diffamiert, weil sie das Festkleben auf Straßen und das Verschmutzen von Kunstwerken als Mittel einsetzen, um auf ihre Ängste aufmerksam zu machen.

Ängste vor Folgen des Klimawandels befeuern Generationenkonflikt

Eine zugespitzte Konfliktsituation ist entstanden. Fragen werden gestellt, Schuld wird diskutiert. Gibt es tatsächlich eine Verantwortung der nunmehr Altgewordenen oder Altwerdenden für die Krisen auf dem Globus, seien sie klimatisch, wirtschaftlich, politisch? Muss man mit dem Anklage-Finger wieder einmal auf die Kohorte der so genannten Babyboomer zeigen, also auf jene Menschen, die den Wohlstands-Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur zum Zeugen von Kindern nutzten, sondern auch dafür, sich in vielerlei Hinsicht zu bereichern? Sie bereicherten sich dadurch, dass sie in die Welt reisten, ohne an den CO2-Ausstoß zu denken. Indem sie Flächen verbrauchten, weil sie Straßen für ihre Autos und Gärten für ihre Einfamilienhäuser und dazu noch Shopping-Malls in und an den Städten nutzen wollten. Das Reisen war keine Bewegung von einem Ort zum anderen mehr, sondern ein Freizeitvergnügen. Und das Einkaufen diente nicht mehr der Bedürfnisbefriedigung, sondern wurde als lustvolles Erlebnis beworben.

Richtig: Viele von uns waren gedankenlos bei dem, was sie taten. Oder gleichgültig. Manche nahmen die Studien zur Kenntnis, die bedenklich auf die Zukunft verwiesen: die berühmten »Grenzen des Wachstums«, die der »Club of Rome« 1972 veröffentlichte, oder »Global 2000«, von der US-Regierung 1980 herausgegeben. Andere wissen bis heute nicht, wovon darin die Rede ist. Von denen, die Kenntnis nahmen, bekamen wiederum einige ein schlechtes Gewissen, ohne ihr Verhalten maßgeblich zu ändern. Es ist nämlich schwer, das, was man einmal hat, wieder herzugeben. Wenn man gar nicht weiß, was alles möglich ist, sind die Verlustgefühle weniger schmerzhaft. Dafür war es bei den Boomern zu spät.

Man kann die Politik in 16 Jahren Ära Merkel als Beleg für diese Haltung nehmen. Sie zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass sie Zumutungen (mit Ausnahme der nur gewaltsam aufzuhaltenden Flüchtlingsströme) für die Wähler vermied. Denn Zumutungen sind unangenehm und werden nicht mit Wahlkreuzen belohnt. 

Wachstum war das Grundgesetz

Andererseits kann man nicht so einfach einen Krieg zwischen zwei Generationen erklären. Zwischen den 1960er und den 2000er Jahren kamen Menschen zur Welt, denen bestimmte Entwicklungen unangenehm waren. Massentourismus zum Beispiel oder Massentierhaltung. Sie reisten anders, sie ernährten sich anders. Doch auch unter ihnen breitete sich weiter Wachstum aus. Wachstum war das Grundgesetz der Wirtschaftsordnung wie des Lebensgefühls im Wohlstand. Also wuchs der Verbrauch der Ressourcen. Nach Kohle kam Öl, zum Öl Gas. Die Erde schien überschaubar zu werden, weil wir sie globalisierten. Ein Spielball für uns. Von uns untertan gemacht.

Das alles kann man beschreiben. Nur mit »Schuld«, gar mit individueller, hat das alles nichts zu tun. Es ist eine Folge der Kultur des Homo Sapiens als Gattungswesen. So wie Termiten ihre Hügel bauen und Spinnen ihre Netze weben, so kultiviert der Mensch die Erde. Vielleicht entspricht das unserer »Natur«, so wie es der Natur der Termiten und Spinnen entspricht. Der Mensch als »sapiens«, also mit der intellektuellen Möglichkeit der Vorausschau ausgestattet (das glaubt er jedenfalls von sich), könnte allerdings in Prozesse eingreifen, die seine Zukunft bedenklich bedrohen. Wenn er denn seine Verlustgefühle überwinden würde.

Dieses Eingreifen fordern die Aktivisten der Generation, die sich nun alarmistisch als »die letzte« wahrnimmt. Sie beschwören eine Endzeit herauf, so wie es in jeder Epoche apokalyptische Seher gab. Dieser Satz soll nicht diskriminieren. Große Veränderungen auf der Erde können eintreten, befördert durch die menschliche Kultur. Andererseits ist auch die Furcht vor der Endlichkeit ein Produkt dieser Kultur. Sie hat Literatur, Musik, Malerei hervorgebracht. Malerei, an die wir uns aus Panik kleben können. Die wir jedoch wahrscheinlich als flüchtig wahrnehmen müssen, weil sie von einer flüchtigen Gattung hervorgebracht wird. Der Mensch ist nur vorübergehend auf dem Blauen Planeten. Eigentlich entspricht es seiner Natur, sein Verschwinden wenigstens hinauszuzögern. Wenn da nur nicht sein Wohlgefühl im Wohlstand wäre (das wahrlich nicht alle teilen dürfen). Vielleicht wird es später noch Geschichtsschreiber geben, die fernen Generationen erzählen, welche Entwicklung eingetreten ist. Oder es wird Schweigen herrschen.

Text: Herbert Heinzelmann
Foto: Wolfgang Gillitzer

Eine Antwort

  1. Meiner Meinung nach und auch laut Definition führen Überschrift und Inhalt des Textes von Herbert Heinzelmann in die Irre.

    Die Bewegung “letzte Generation” sieht sich nicht als letzte ihrer Art, wie im Artikel beschrieben. Der Autor liegt falsch, wenn er die “Letzte Generation” mit bisherigen apokalyptischen Weltuntergangspropheten gleichsetzt, die noch nie Recht behielten. Das ist eine ungerechtfertigte Verharmlosung der drohenden Probleme.

    Als “letztere Generation” bezeichnet sich eine Gruppe Menschen, die sich als letzte Generation sehen, die noch in der Lage ist, den Klimawandel durch vernünftiges Handeln aufzuhalten, bevor sogenannte Kipppunkte der Klimaänderung erreicht sind. Solche Kipppunkte sind unter anderem das Abschmelzen des Festlandeises, das Auftauen der Permafrostböden und das Verschwinden des Regenwaldes, mit entsprechenden Folgen: Überschwemmungen, Freisetzung enormer Mengen an CO2 und Methangas, dadurch beschleunigte Erderwärmung. Manche dieser Kipppunkte sind irreversibel, also unumkehrbar, nicht mehr rückgängig zu machen. Auch nicht durch Einhaltung aller jetzt schon geforderter Klimaschutzmaßnahmen.

    Die Gruppe der “Letzten Generation” zettelt auch keinerlei “Krieg zwischen den Generationen” an, wie Heinzelmann schreibt. Sie will ausschließlich aufrütteln und über Bürgerräte die politischen Entscheidungen bezüglich Klimaschutz beschleunigen und breiter aufstellen, was wahrscheinlich auch zu besserer Akzeptanz führen würde.

    Er schreibt auch von “Schuld”, Schuldzuweisungen an die ältere Generation, die anstehenden Klimaprobleme verursacht zu haben. Tatsache ist, dass die Menschheit seit Beginn der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts mehr globale Ressourcen verbraucht, als die Erde nachliefern kann. Dieser Beginn des Mehrverbrauchs liegt also durchaus in der Lebensspanne der jetzigen älteren Generation. Sie ist also durchaus kräftig daran beteiligt. Das betrifft auch mich, ich bin Jahrgang 1954.

    Diese Mitverantwortung lässt sich nicht mit noch so vielen seltsamen Argumenten wegdiskutieren: Der Mensch, der Homo sapiens, sei eben so, will keine Verluste erleiden, sei darin instinktgesteuert, wie Termiten oder Spinnen. Die intellektuelle Möglichkeit der Vorausschau nütze da auch nichts. Der Mensch würde eh nicht ewig auf diesem Planeten leben. Also am besten: Zurücklehnen und nichts am eigenen Lebensstil ändern.

    Ja, es stimmt für uns Ältere, wir werden nicht mehr lange auf diesem Planeten leben. Aber Jüngere wollen das schon noch eine Weile tun und viele wünschen sich das auch für Ihre Nachkommen.

    Deshalb sollten wir uns diesen Artikel nicht zu Herzen nehmen. Er beschwört eine apokalyptische Stimmung erst herauf und fantasiert außerdem einen nicht vorhandenen Generationenkonflikt dazu.
    Besser: Die Ärmel hochkrempeln und den Jungen helfen das Klima zu retten. Sie räumen schließlich hinter uns auf und sollen noch lange möglichst sicher und komfortabel auf diesem Planeten leben.

    Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Das gilt auch für uns Ältere!

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