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Sind die Alten schuld am Klimawandel?

Das Klimahaus Bremerhaven macht die Auswirkungen der Erderwärmung für alle Generationen erfahrbar und stärkt das Bewusstsein für eine umweltfreundliche Lebensweise. Foto: Klimahaus® Bremerhaven 8° Ost /Laurence Delder

Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!« Die Parole der Bewegung »Fridays for Future« hat Adressaten: »Ihr«. Das sind wir, pauschal gesagt: »die Alten«. Unseretwegen sind »die Jungen« laut und haben Angst und tragen Transparente mit sich, auf denen steht: »Wir sind wütend«. Sie sind wütend auf uns, wie wir einer Aussage von Schlecky Silberstein (das ist Christian Brandes, Betreiber eines Medienformats, das von der ARD finanziert wird) entnehmen können. Er machte sie 2020, als die Corona-Pandemie auf ihren Höhepunkt zulief: »Interessant hierbei ist, wie fair dieses Virus ist. Es rafft die Alten dahin, aber die Jungen überstehen diese Infektion nahezu mühelos. Das ist nur gerecht. Immerhin hat diese Generation den Planeten vor die Wand gefahren.« 

Silberstein hat eine eindeutige Schuldzuweisung ausgesprochen. Die Rolle von Anklägern haben viele Aktivisten der Klimaschutz-Bewegung angenommen. Wir Alte sitzen als Täter auf der Anklagebank. Das ist keineswegs eine fiktive Schlachtordnung im »Kampf der Generationen«, der vielerorts beschworen wird. Derzeit sind mehrere reale Verfahren vor Gerichtshöfen anhängig. Unsere Generation wird beschuldigt, zu wenig für den Schutz des Klimas getan zu haben, so dass wir nun auf einen bedrohlichen »Kipp-Punkt« zueilen. 

Paukenschlag-Urteil

Vor einem Jahr zeigte die ARD das Justiz-Drama »Ökozid«, in dem zwar nicht einer Generation, aber Deutschland eine Mitschuld an der Klimakatastrophe zugeschrieben wurde. Vor wenigen Monaten hat dann das Bundesverfassungsgericht sein Paukenschlag-Urteil zum Klimaschutz gefällt. Danach umfasst die aus den Grundrechten folgende Schutzpflicht des Staates auch den Schutz vor den Gefahren des Klimawandels. Die Staatszielbestimmung des Artikels 20a im Grundgesetz (»Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen…«) verpflichte den Staat zum Schutz des Klimas.

Damit wurde das Klimaschutzgesetz endgültig wirksam. Und wieder ging es um die Verantwortung der Generationen. Wie also? Wird jetzt neuerlich eine Frage nach Kollektivschuld gestellt? Müssen sich die bekennen, die noch im Zweiten Weltkrieg oder kurz danach geboren sind, Kinder des Wirtschaftswunders, die dieses Wunder mit dem wachsenden Verbrauch fossiler Rohstoffe ins Werk gesetzt haben und mit ihren damals wirklich noch stinkenden Motoren tief nach Süden reisten? Oder gar die so genannten Babyboomer als Erben und Nutznießer des Wunders, die trotz erster Ölkrisen weiter auf Wachstum, Genuss und die Ausweitung der Reisefreude um den ganzen Erdball bauten. Unter dem Hashtag #okboomer gehören sie längst zum Feindbild der jungen Klimaschützer.

Ja, wir alle hätten wissen können, worauf wir zusteuern. Seit 1972 hätten wir es wissen können. Damals erschien der berühmte Bericht des »Club of Rome« mit dem alarmierenden Titel »Die Grenzen des Wachstums«. Durch eine Computersimulation von Donella und Denis Meadows wurden diese Grenzen ermittelt. Die Schlussfolgerung war eindeutig formuliert: »Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, der Industrialisierung, der Umweltverschmutzung, der Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen unverändert anhält, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht.«

Wie hätten wir reagieren sollen?

Nun, fast 50 Jahre später, hat sich die damalige Prophezeiung dramatisch bewahrheitet und führt zum aktuellen Konflikt zwischen den Generationen. Nur: Ist damit irgendeine »Schuld« bewiesen? Wie hätten wir reagieren sollen auf die Erkenntnisse des »Club of Rome«, wenn wir sie denn überhaupt zur Kenntnis nahmen? Gerade ist ein neues Buch erschienen: »Spätmoderne in der Krise« von Andreas Reckwitz und Hartmut Rosa. Darin wird die Politik des Wachstums als wesentliche Voraussetzung für unser modernes Dasein ausgemacht. Die Völker der Zweiten und Dritten Welt in die Moderne zu holen, um die sozialen Abgründe auf dem Globus einzuebnen, war ein wesentliches Ziel dieser Politik. Das sicherte weitgehend Wohlstand und Frieden durch Wachstum – und damit einhergehend die Vernichtung von Ressourcen und die Erschütterung der globalen Klimabedingungen. 

Hätte die wütende Jugend von heute die Jahre des Wohlstands und (weitgehenden) Friedens den Generationen, die sie jetzt beschuldigt, verweigern wollen? Wären wir vernünftig gewesen und hätten karg gelebt (wie es allzu viele immer halten mussten), hätten wir die Lebensgrundlagen der empörten Jugend entscheidend verändert – abgesehen davon, dass visionäre Vernunft der Gattung Mensch noch nie zu Eigen war. Der Wohlstand, auf dem der Zorn wächst, gehört zur Lebensqualität der Jugendlichen, die sie wohl nicht missen möchten. Wenn man die Ergebnisse der jüngsten Bundestagswahl mit hohen Zustimmungsraten für FDP und Grüne bei den Jungwählern deutet, könnte man zu dem Schluss kommen: Der Teil der Panischen im Gefolge von Greta Thunberg hätte das radikale Klima­programm der Grünen bevorzugt, der Teil der eher Hedonistischen dagegen die weiter auf entfesseltes Wachstum setzenden Pläne der Freien Demokraten.

Gleichgewicht statt Wachstum

1972 erkannte man bereits die Vorboten des Klimawandels.

Womöglich ist der Klima-Konflikt ja tatsächlich ein Konflikt innerhalb der verschiedenen Generationen. Die »Omas for Future« gibt es schließlich auch. Ob »schuldbeladen« oder »zukunftsfroh« sei dahingestellt. Und ein Teil der jugendlichen Wut dürfte schlicht auf der Einsicht beruhen, dass in der Gegenwart tatsächlich politische Entwicklungen bevorstehen, die befürchten lassen, dass es erstmals seit langem der aufstrebenden Generation nicht besser gehen könnte als der vorangegangenen. Auch das ist ein Grund für Zorn.

Im Bericht des »Club of Rome« von 1972 standen die folgenden Sätze, die genauso, wenn auch durch die Entwicklung geschärft, für unsere Gegenwart gelten: »Unsere gegenwärtige Situation ist so verwickelt und so sehr Ergebnis vielfältiger menschlicher Bestrebungen, dass keine Kombination rein technischer, wirtschaftlicher oder gesetzlicher Maßnahmen eine wesentliche Besserung bewirken kann. Ganz neue Vorgehensweisen sind erforderlich, um die Menschheit auf Ziele auszurichten, die anstelle weiteren Wachstums auf Gleichgewichtszustände führen. Sie erfordern ein außergewöhnliches Maß von Verständnis, Vorstellungskraft und politischem und moralischem Mut.«

Auch und gerade unsere Generation der Alten wird diesen Mut aufbringen müssen. Die Jungen aber werden ihn viele Jahre länger zu stemmen haben. 

Text: Herbert Heinzelmann
Foto: Pacini / Klimahaus Bremerhaven 

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