Wenn Hartmut Möller (47) an seinen Vater denkt, dann fühlt er vor allem Enttäuschung. Er war sieben, als sich die Eltern trennten. Hatte der Vater sich zuvor schon kaum für ihn und seine große Schwester interessiert, so war er danach fast völlig von der Bildfläche verschwunden. Der Vater heiratete sehr schnell wieder und richtete sich ein neues Leben ein. Da schien für das alte kein Platz mehr zu sein. Vater und Sohn entfremdeten sich zusehends. Seit Jahren haben sie kein Wort mehr miteinander gesprochen.
Markus Kolbs (49) Vater ist sehr schweigsam, die Mutter sehr dominant. Kolb hatte immer das Gefühl, dass sie sich zwischen ihn und den Vater schob. Eine echte Begegnung zwischen den beiden Männern war kaum je möglich. Er könne nur ahnen, was in seinem Vater vorgehe und komme gar nicht an ihn heran, meint Kolb.
Hans Schuster (70) und sein Vater umarmten sich erstmals richtig bewusst, als der Sohn schon 40 war. Schusters Vater, Soldat in Hitlers Wehrmacht, konnte nur schwer Gefühle zulassen und litt – wie viele seiner Generation – unter einem starken Mangel an Empathie. Zeitlebens hatte Schuster bei seinem Vater das Gefühl, dass er ihn emotional nie erreichte.
Wie Schuster, Kolb und Möller (Namen geändert) geht es vielen: Das Verhältnis zum Vater ist oft schwierig, zumindest aber komplex. „Junge Männer lernen durch Nachahmung, weniger durch das Gespräch“, sagt der Kulmbacher Theologe und Familienberater Wolfram Schmidt. Was aber, wenn der Vater kein geeignetes Vorbild ist? Experten gehen davon aus, dass nur zehn Prozent der Männer ein inniges Verhältnis zum eigenen Vater haben. Bei den übrigen überwiege Ablehnung und das Gefühl, nicht verstanden zu werden. Das Verhältnis vieler erwachsener Söhne zu ihrem Vater bewege sich zwischen völliger Entfremdung und freundschaftlichem Pflichtgefühl.
„Der Vater: Das war für Generationen von Söhnen und Töchtern der Mann, über den es hinwegzukommen galt, bevor das eigene Leben begann“, schrieb kürzlich der Spiegel in seiner Titelgeschichte „Sind Väter die besseren Mütter?“. Jahrzehntelang, noch bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts hinein, bestimmten patriarchale Strukturen das Familienbild. Der Vater war vor allem Ernährer und Beschützer der Familie – und er hatte meist auch das Sagen. Zwar entsprach schon damals nicht jeder diesem Bild. Aber in der Gesellschaft herrschte die Vorstellung, dass ein Vater sich genau so zu verhalten habe. An diesem Bild rieben sich Generationen von Söhnen.
Neue Generation wächst heran
Die erste Auseinandersetzung findet meist in der Pubertät statt. Doch auch später, wenn es um die Wahl des Berufs oder den Lebensstil geht und der Sohn die Erwartungen des Vaters nicht erfüllt, kracht es oft erneut zwischen Jung und Alt. Fast immer geht dabei der Versuch zur Aufarbeitung der Probleme von den aufbegehrenden Jungen aus. Doch inzwischen wächst eine neue Väter-Generation heran. Es gibt in den familiären Rollen keine, die sich in den vergangenen ein, zwei Generationen so stark gewandelt hat wie die des Vaters. Den Müttern sind durch die gestiegene Erwerbsbeteiligung in der Familie zwar zusätzliche Aufgaben zugewachsen, aber ihre Rolle als Mutter hat sich nicht tiefgreifend verändert. Ganz anders ist die Situation bei den Männern. Den klassischen Ernährer, der den Haushalt und das Feld der Kinderbetreuung und -erziehung der Partnerin überlasst, gibt es zwar immer noch. Aber es sind viele andere Modelle hinzugekommen, wie die Soziologen Andrea Bambey und Hans-Walter Gumbinger vom Frankfurter Institut für Sozialforschung beschrieben haben, nachdem sie 1500 Fragebögen und Einzelinterviews ausgewertet haben. Da gibt es den „fassadenhaften Vater“, der ein sehr klischeehaftes, idealisiertes Bild von Familie hat. „Er hat nur eine diffuse Vorstellung, wie er als Vater sein will. Hinter der Fassade des fürsorglichen, überlegenen, gewissenhaften Vaters zeigt er sich eher hilflos“, schreiben die Soziologen. Daneben gibt es aber auch den „egalitären Vater“ – in der genannten Erhebung mit fast 30 Prozent sogar der am häufigsten vertretene Typus: „Diese Väter nehmen sich als partnerschaftlich, dem Kind zugewandt, geduldig und als von der Partnerin hoch akzeptiert wahr.“ Insgesamt sieben Vater-Typen haben die Frankfurter Soziologen definiert.
Wenn sich diese Väter – inzwischen selbst in der Lebensmitte angekommen – mit ihren eigenen Vätern auseinandersetzen, dann ist der Unterschied zwischen den Rollenverständnissen größer denn je. Die Alten sind noch stark vom althergebrachten Vaterbild geprägt – und von der Zeit, in der sie aufwuchsen. Viele haben den Krieg als Kind miterlebt. Die Traumata der Kriegskinder haben „unauslöschbare Spuren“ hinterlassen, wie der Münchner Psychologe Michael Ermann sagt: „Sie können offenbar nicht zur Ruhe kommen und nicht in Ruhe alt werden.“
„Die deutschen Kriegskinder sind eine Generation von Unauffälligen“, meint Ermann. Ausbildung machen, heiraten, Familie gründen, Haus bauen – die Biographien verliefen bei vielen Männern dieser Generation ähnlich. Und noch etwas Typisches benennt der Kulmbacher Familienberater Schmidt: Über Emotionales spricht man(n) nicht oder nur wenig.
Unangenehme Themen wurden mit Tabus belegt
Schmidts Vater beispielsweise, im Jahr 1925 geboren, hat seine Erlebnisse im Krieg kaum je thematisiert. Und wenn die Sprache mal darauf kam, dann war es die Mutter, die dafür sorgte, dass schnell ein anderes Thema aufs Tapet kam. „Sie hat den Vater geschützt“, sagt der Familienberater. Die Nachkriegsgesellschaft hatte ihre unangenehmen Themen mit Tabus belegt. Fast jede Familie kannte solche dunklen Flecken, die den Jüngeren heute oft befremdlich vorkommen.
Da prallen also sehr verschiedene Lebenswelten und Wertesysteme aufeinander. Während in der Generation der Älteren Pflichterfüllung, Karriere und Beruf im Vordergrund standen, setzen die Jüngeren oft ganz andere Prioritäten. Das eigene Leben nach einer „Work-Life-Balance“ auszurichten, also dem Gleichgewicht zwischen Arbeitswelt und Freizeit, wäre noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen. Teilzeitarbeit um der Familie willen ist für die nachwachsende Generation aber durchaus eine Alternative. Als Theologe Wolfram Schmidt 1983 zwölf Monate lang beim neugeborenen Sohn zu Hause blieb, weil die Mutter noch studierte, erntete er viele mitleidige Blicke. Mittlerweile ist es fast umgekehrt: Wenn sich heute ein junger Vater an der Elternzeit nicht beteiligt, wird er in bestimmten Kreisen ziemlich schief angesehen. Ein Drittel der Väter bleibt für mindestens zwei Monate zu Hause.
Die nächste Phase in der Vater-Sohn-Beziehung folgt, wenn die Kräfte der Alten spürbar nachlassen. „Der Vater muss eine für ihn neue und möglicherweise sehr kränkende Abhängigkeit vom Wohlwollen und der Zuneigung des Sohnes akzeptieren, wenn er zunehmend Hilfe und Unterstützung benötigt“, schreibt der Münchner Psychologe und Psychotherapeut Lothar Schon in seinem Buch „Sehnsucht nach dem Vater“. In dieser Phase, so Schon, würden viele alte und unbewältigte Konflikte zwischen beiden noch einmal an die Oberfläche kehren.
Doch wie lassen sich diese alten Konflikte auflösen, wenn es den Männern ohnehin so schwer fällt, über Emotionales zu reden? „Männer streiten anders“, sagt Familienberater Schmidt. Es würden härtere Bandagen angelegt und es werde nicht so viel ausdiskutiert. „Fakten schaffen, Entscheidungen treffen“, das seien typische Formen der Auseinandersetzung, so Schmidt: „Männer sind schneller miteinander fertig.“ Dieses Muster nimmt aber Spielräume, die es zur Konfliktbewältigung braucht, weil man eine einmal getroffene Entscheidung nur schwer zurücknehmen kann. Der australische Psychologe und Männeraktivist Steve Biddulph plädiert dennoch für eine Aussprache zwischen Vater und Sohn: „Ich halte solch ein Gespräch für einen der wichtigsten und befreiendsten Schritte, die ein erwachsener Mensch tun kann.“
Georg Klietz