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Alte können Geheimnis besser

vignette Hello All, es freut mich, wenn ich etwas entdecke, was Alte besser können als Jüngere. Z.B. mit Geheimnissen umgehen. Das entspricht meiner Erfahrung und findet sich bestätigt in einer großen empirischen Studie*. Hierzu stellten die Forscher u.a. Fragen zum Thema, wie Eltern mit den Geheimnissen ihrer Kinder umgehen. Die Antwort „Ich lasse meinen Kindern ihr Geheimnis“ bejahten 55% der 18-35 Jährigen und 66% der 36-50 Jährigen. Wesentlich toleranter geben sich die 51– 65 Jährigen mit 77% Zustimmung. Besonders geheimnisaffin sind die 66+ Jährigen mit 80% Zustimmung. Je älter, desto häufiger also die Bereitschaft, Geheimnisse als Teil der Privatsphäre, ja der Persönlichkeit der Kinder zu respektieren. Die Autoren sehen in der Geheimnisintoleranz der Jüngeren ein Indiz für die heute verbreitete „Helikopter- Eltern“ – Mentalität. Eine ausgeprägte Neigung in den besser gestellten Gesellschaftskreisen, fürsorglich möglichst alle Lebensbereiche ihrer Kinder zu begleiten. In modernen Kinderzimmer überwachen Mikrofon und Nachtsichtkamera den Schlaf der Kleinen. Kita- und Kindergärtnerinnen führen minutiös Logbücher und rapportieren schriftlich über jedes Kind – Knecht Rupprechts schwarzes Buch 2.0. Eltern begleiteten nicht nur Schulanfänger sondern auch noch Teens auf dem Schulweg. Sie chauffieren sicherheitsheischend die Brut nachmittags von A nach B. Zufällige Kontakte mit der Außenwelt? – Fehlanzeige. Solche Eltern durchforsten abends das Internet nach Facebook- Einträgen und Getwittere der Sprösslinge. Was mir dem Lesen von Tagebüchern schon ungut nahe kommt. Doch Geheimnisse haben einen schlechten Ruf unter den jungen Erwachsenen. Wikileaks für jeden und für alles; „Offenheit“ ist Trumpf, um jeden Preis. Dabei hat schon Max Weber vor 100 Jahren die „Entzauberung der Welt“ beklagt, weil sie die Illusion nährt, durch rationales Wissen und Berechnen alles unter Kontrolle zu bekommen; Zero- Toleranz für Unvorhersehbares, Zufälliges, also Verborgenes. Wo bleibt da Raum für Fantasie, Spinnerei und Intuition? Wie können Kinder und Jugendliche, die 24/7 unter besser wissenden Aufsicht stehen und gegängelt werden, sozial experimentieren, ungescholten Fehler machen und daraus lernen? Von André Malraux stammt das Bonmot „Ein Mensch ist nicht, was er glaubt zu sein, sondern, was er verbirgt“; also die Selbstinszinierung durch Weglassen. Umgekehrt: Absolute Offenheit ist brutal. Gnadenlos wie die z.Z. populären TV- Casting Shows, in denen Aspiranten für alles Mögliche vor einem Millionenpublikum und johlenden Studiogästen „mal ganz ehrlich“ und „ohne Geheimniskrämerei der Jury“ zur Sau gemacht werden. Meine Gegenthese: Höflichkeit, Anstand und Charakter erfordern, zu lernen, auch mal diskret zu schweigen. Besser, bisweilen nichts als etwas Falsches oder Verletzendes zu sagen. Dem Gegenüber seine kleinen und größeren Geheimnisse zuzugestehen, damit wir uns alle besser vertragen und uns nicht vor lauter Transparenz der Schwächen, Fehler und Antipathien gegenseitig ständig an die Gurgel gehen. Das wäre so ein offenes Geheimnis für eine harmonischere Gesellschaft, nicht nur im Alter.
Ihr heute sehr globaler Oldie

Unbedingt lesen: *Zeit Online, 17.2. 2016 : „Wie wir leben wollen“ ; Studie der Redaktion „Die Zeit“ zusammen mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und infas, „Das Vermächtnis“, N = 3000 Interviews

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