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Alte Geschichte aus gutem Holz

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Hello all, die Nootka und Haida Indianer * an der Nordwestküste des heutigen Kanadas schnitzen seit Jahrhunderten beeindruckende Totempfähle. Zutreffender sollte man diese Skulpturen Wappenpfähle nennen. Von unten nach oben sachkundig interpretiert, geben sie Auskunft über die Chronik der zugehörigen Großfamilien, deren Herkunft, besondere Ereignisse und Verwandtschaft. Die Clanältesten erzählen anhand dieser Skulpturen die Familiengeschichte. Sie dienen dem Erzähler als Erinnerungsanker, den Zuhörern als Illustration und den Reisenden als unverwechselbare Adresse. totempfahl-eizeln
Solange es keine schriftlichen Aufzeichnungen gab, waren die Totempfähle zusammen mit ihren Interpreten über Jahrhunderte hinweg das einzige Wissensarchiv der Ureinwohner. Da ist z.B. zu deuten, dass ein Urvater vom Bär abstammt; dass ihm ein Rabe den Weg aus den Bergen zu den reichen Lachsgründen gewiesen hat; dass ein tapferer Vorfahre den Elchclan besiegt und von ihnen den Walfang als neue Lebensgrundlage erlernt hat. Die Alten deuteten im Bezug auf solche Geschichten die Gegenwart, deren Legitimation und die Bestimmung des Volkes. Entsprechend hoch standen diese Alten im Ansehen der Stammesmitglieder – sie erklärten die Welt.
Im fernen Deutschland können wir beim Welterklärenlassen bisweilen heute noch auf Altbundeskanzler Helmut Schmidt zählen, der in bester Indianermanier zusätzlich mit Rauchzeichen auf sich aufmerksam macht. Aber tendenziell liegen die Informationsspeicherung und Erklärung fast aller wichtigen Belange unseres Alltags in Bits und Bytes binär abgespeichert auf Siliconscheiben, Hard Discs, Servern und Clouds. Die Herrschaft über diese neuen Speichermedien ist den Alten zugunsten der wesentlich jüngeren Datendompteure entglitten.
Nicht erst neulich. Seit dem Buchdruck und der Alphabetisierung sind Geschichtenerzähler und Altwissende als Kulturstifter zunehmend entbehrlicher geworden.
Sollte uns Nostalgie umfangen, weil heute die Alten als Geschichtenerzähler im Wettbewerb um Publikum gegenüber Buch, Radio, TV, Google und Facebook nur noch selten bestehen?
Hat auch sein Gutes, ich hab’s mit eigenen Augen gesehen. Es entlastet, auch stolze Indianer im Rentenalter, von geschichtsschwerer Verantwortung und rituellen Verpflichtungen. „leisure time/ Freizeit“ verheißt eine neue Lebensqualität. So brauchen die Alten der Nootka und Haida nur noch für die drei täglichen Führungen am Tag im dunklen Langhausnachbau immer wieder ihre Stories zu erzählen – und können danach wieder Motorbootfahren, Telenovelas gucken oder wirklich schöne, neue Totempfähle und Masken schnitzen.
„Da sprach der alte Häuptling der Indianer, wild ist der Westen, schwer ist der Beruf“ .Hough, ich habe gesprochen.
Ihr Gloabl Oldie
Und mal wieder ein P.S:
* „Indianer“ ist in Kanada ein politisch eher unkorrekter Begriff. Man spricht besser von „First Nation People“, also sinngemäß von Nationalitäten oder Völkern der ersten Stunde, was auch für die Eskimos, bezw. politisch korrekter: Inuit zutrifft. Dazu mal später.

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