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Vom Nebenjob bleibt Vorruheständlern mehr 

Heinz Wraneschitz kann nun früher in Rente gehen. Dafür hat er gekämpft.

Weiterarbeiten bis der Notarzt kommt? Eine wachsende Zahl von Beschäftigten will vor der regulären Altersrente aufhören. Doch das muss man sich leisten können, viele sind in dieser Phase auf einen Nebenjob angewiesen. Die Bundesregierung hat nun beim Hinzuverdienst im Vorruhestand alle Hürden eingerissen – angeschoben von Gewerkschaftern aus Mittelfranken.

Wer den Hauptjob an den Nagel hängen wollte, musste bis 2019 scharf rechnen: Wie viel darf ich als Vorruheständler für ein Zubrot arbeiten, ohne dass meine Rente gekürzt wird? Bei 6300 Euro pro Jahr war Schluss. So erging es etwa einem freiberuflichen Dozenten, der mit 63,5 Jahren seine Rente einreichte. Weil die aber nur 1000 Euro im Monat betrug, übernahm er als Dozent Deutschkurse für Zuwanderer. Damit kam er auf 14.000 Euro im Jahr zusätzlich zur mageren Rente. Diese blieb bis zum Betrag von 6300 Euro unangetastet. Von dem darüber hinausgehenden Hinzuverdienst von 7700 Euro blieben ihm jedoch nur 60 Prozent. Die übrigen 40 Prozent, also 3080 Euro, sackte der Staat ein. Und zu versteuern hatte er den Hinzuverdienst obendrein. 

Zuverdienstgrenze fällt weg

In der Pandemie wurde diese Hinzuverdienstgrenze befristet stark heraufgesetzt, doch im kommenden Jahr wäre die Regelung wieder zurückgefallen auf genau 6300 Euro. Wenn nicht der Personalmangel in etlichen Branchen so gezwickt hätte, dass der Druck auf die Ampelregierung stark stieg. Inzwischen hat das Kabinett entschieden: Die Grenze fällt ab 1.1.2023 komplett weg. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil sagte zu dem Thema im September: »Wir schaffen die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten ab.« Schon während der letzten beiden Corona-Jahre sei das Limit deutlich höher als zuvor gewesen. »Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht und ermöglichen nun dauerhaft, den Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand flexibel zu gestalten.« Festgelegt wurde die Verbesserung im SGB-IV-Änderungsgesetz.

Die Initialzündung zu diesem Schritt war von Mitgliedern der Gewerkschaft Ver.di Mittelfranken ausgegangen. Der Selbstständigenrat der Dienstleistungsgewerkschaft hatte beharrlich auf die Abschaffung gedrungen und die Initiative bis in den Ver.di-Bundesvorstand getragen. 

“Ohne uns wäre es nicht passiert”

Rita Wittmann, Geschäftsführerin von Ver.di in Mittelfranken, konnte es erst kaum glauben, dass »unsere Forderung tatsächlich umgesetzt wurde«. Heinz Wraneschitz, freier Journliat und ver.di-Mitglied, sagt: »Ich kann es mir jetzt leisten, früher in Rente zu gehen und weniger weiterzuarbeiten. Das hatte ich vor zwei Jahren, als wir im Selbstständigenrat diese Initiative entwickelt hatten, gar nicht im Blick. Aber ohne uns wäre es nicht passiert.«

Die Neuerung hilft aber nicht nur gesetzlich versicherten Freiberuflern und Künstlern, sondern auch Angestellten wie zum Beispiel dem Klinikpersonal. Elke Hertel, Personalratsvorsitzende am Klinikum Nürnberg, weiß von einem Dutzend Pflegekräften, die aus dem Vorruhestand zurückgeholt wurden, um die schlimmsten Lücken im Dienstplan zu füllen. So könne die neue Regelung nur punktuell helfen. Überhaupt, die allerwenigsten Altgedienten schaffen es bei dem Knochenjob bis in die Regelrente. Hertel: »Ab 55 wird die Arbeit am Bett ganz schwer.« Die Gewerkschafterin plädiert allgemein für ein früheres Renteneintrittsalter für Menschen im Gesundheitswesen. 

Mehr Menschen entscheiden sich für vorgezogene Altersrente 

Insgesamt ist die Zahl der Beschäftigten, die sich vorzeitig pensionieren lassen, gestiegen. Die Deutsche Rentenversicherung hat nachgerechnet: Der Anteil an vorgezogenen Altersrentnern ist von 2019 bis 2021 um rund fünf Prozent gestiegen.

Wer von den frischen Vorruheständlern seine Bezüge mit einem Nebenjob aufbessern will, muss den Hinzuverdienst auch in Zukunft besteuern. Also profitiert auch der Staat. Der Selbstständigenrat fand die bisherige Regelung ohnehin unlogisch: »Bei höherem Zuverdienst erhält der Staat höhere Einnahmen. Die Verbesserung betrifft nicht nur die Selbstständigen, sondern alle, die frühzeitig in Rente wollen.«

Text: Angela Giese
Foto: Martin Rehm

Foto Titelseite: Wilfried Böhnke/Pixabay.

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