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Die Sache mit der Maus

Cartoon: Sebastian Haug

Was war das für ein Sommer! Menschen haben sich getroffen, manchmal einander sogar die Hand gereicht oder sich UMARMT! Modehäuser verschickten Willkommenskarten und Teenies drängten sich vor den Geschäften. In Zügen und Flugzeugen schnauften Urlaubsbegeisterte hinter ihren Masken und in den Lokalen speisten die Gäste. Hauptstraßen wurden zu Fahrradstraßen umgewidmet und Radfahrer rasten wie üblich die Bürgersteige entlang. Das Fernsehen brachte Wiederholungen von Wiederholungen oder Fußball. Warme Sommernächte reihten sich aneinander, wenn es nicht gerade schüttete wie aus Eimern. Das Leben nahm seinen gewohnten Lauf.

Unverhoffte Ereignisse kommen manchmal dazwischen, wir wissen das. So wie die Sache mit meiner Maus. Das muss ich erklären. Ich wohne im fünften Stock. Meine Katze hat Privatfernsehen, denn auf dem benachbarten Dach leben viele Tauben und führen ein geselliges Dasein. Vor Begegnungen der unfreundlichen Art schützt ein Netz, das den Balkon umgibt. So auch in jener Sommernacht, die Balkontür stand offen, die Tauben schliefen schon. Es gab einen Krimi, der meine Katze nicht interessierte, so lag ich allein im dunklen Zimmer auf der Couch. Auf einmal ein tiefes Knurren, das eindeutig nicht aus dem Fernseher kam. Sondern von der Katze, die auf dem Teppich stand, im Maul eine Maus! Eine Situation, mit der man nicht unbedingt rechnen muss, hoch oben unter dem Dach, weshalb ich quietschte. Die Katze ließ die Maus los, langte spielerisch mit der Pfote nach ihr, fing sie ein und ließ sie wieder los. Die Maus verschwand unter dem Buffet und ward nicht mehr gesehen. Was nun folgte, war eine lange Nacht, in der wir beide auf der Lauer lagen. Schließlich ging ich doch ins Bett, die Katze harrte aus. Am Morgen saß sie noch immer vor dem Buffet und rührte sich nicht, nur die Schwanzspitze bewegte sich leicht hin und her. Ihr Frühstück lehnte sie ab.

Danach ließ ich mich auf den Boden nieder und fuhrwerkte – vergeblich – mit einem Zollstock unter dem Buffet hin und her. Am Nachmittag kam ein freundlicher Nachbar zu Hilfe, der gekonnt die verschraubten Schrankelemente auseinander klinkte, damit wir das Möbelstück leicht kippen und dahinter schauen konnten. Keine Maus. »Vielleicht sitzt sie hinter dem Bücherregal«, mutmaßte mein Helfer. »Dann kommt sie entweder von selbst hervor oder Sie riechen das.« – Ich war begeistert: »Na prima! Oder sie ist schwanger und gründet hinter meinen Büchern eine Familie!«. – »Sie kann auch in der Küche sein, hinter den Schränken«, stellte er weitere Überlegungen an. »Dann müßte man die Leisten entfernen und…« . Mir wurde ganz anders. Vorerst gingen wir auf den Balkon und mein Nachbar blickte auf das Ziegeldach. »Könnte sein, dass da oben ein Nest ist«, sagte er nachdenklich. Das wurde ja immer besser. 

Wir bliesen die Aktion ab. Mittlerweile hatte auch meine Katze wieder etwas gefressen, Dosenfutter, keine Maus. Ich besprach mit einer Freundin am Telefon die Sachlage. »Probier’s doch mal mit Nutella«, riet sie, »Mäuse mögen das.« Also auf zum nächsten Supermarkt. Am späten Abend, bevor wir uns wieder zur Ruhe begaben, meine entnervte Katze und ich, verteilte ich Tellerchen mit Nutella vor jeder einzelnen Ritze in meinem Haushalt. Die Katze drehte sich angewidert weg. Umsonst. 

Ich gab mich geschlagen, sollte die Maus doch bleiben, wo sie war. Vielleicht hatte sie ja den Weg ins Freie gefunden. Meine Katze glaubt das bis heute nicht. Mehrmals täglich durchpflügt sie den Blumenkasten und patrouilliert den Weg, den die Maus ihrer Meinung nach genommen hat, bevor sie ins Wohnzimmer verschleppt wurde. – Größere Sorgen hatten wir nicht in diesem Sommer. Wenn’s nur so bliebe. 

Brigitte Lemberger 

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