Unser Gehirn kann nicht anders, als immerzu zu lernen. Es ist stets begierig auf neues Futter – und das ein ganzes Leben lang. Genau das ist die gute Botschaft: In zahllosen Experimenten haben Wissenschaftler belegt, dass das menschliche Gehirn veränderbar ist bis ins hohe Alter. Es passt sich den Anforderungen an, egal, ob sein Besitzer beginnt zu jonglieren, zu musizieren oder Fremdsprachen zu lernen. In den entsprechenden Hirnarealen verstärkt sich die Aktivität, die Verbindungen (Synapsen) zwischen den Nervenzellen werden dichter.
Was also tun, um fit im Kopf zu bleiben? Gehirnjogging wurde viele Jahre lang propagiert. Professor Siegfried Lehrl hatte dieses Modell in den 1990er Jahren in Nürnberg entwickelt und damit einen regelrechten Boom ausgelöst. Eine der populärsten Autorinnen in der Ratgeberliteratur war damals Vera Birkenbihl. Doch seitdem ist die Wissenschaft vorangeschritten.
Gehirn und Körper wollen gefordert werden
Den heutigen Stand bringt Professor Dr. Frieder Lang so auf den Punkt: »In der Kognitionsforschung gehen wir davon aus, dass das Gehirn gefordert sein will bei gleichzeitiger körperlicher Bewegung.« Der Psychogerontologe von der Universität Erlangen-Nürnberg entwirft beispielhaft dieses Szenario: »Sie spazieren mit Ihrer Freundin durch den Wald und unterhalten sich dabei angeregt-anspruchsvoll. Entspannte Bewegung plus Denkleistung tut dem gesamten Organismus gut.«
Wer die Abwechslung sucht und sich öfter mal – mit Bedacht und Achtsamkeit – auf neue Aktivitäten und Erfahrungen einlässt, bleibt auch geistig länger beweglich. »Die Regel dazu lautet: Jede Woche etwas Neues und alles Neue so lange, bis es ganz vertraut ist.« Das fällt ganz leicht, solange eine grundlegende Neugier der Treiber ist.
»Ändern Sie die Richtung Ihrer Gedanken!«
Die Frage, wie man seinen Geist möglichst lange frisch hält, beschäftigt Forscher verschiedenster Fachrichtungen. Der prominente Psychiater Manfred Spitzer etwa ist davon überzeugt, dass Gemeinschaft und Dialog jung halten. Der Philosoph Harald Seubert sagt: »Jung werden Sie bleiben, wenn Sie immer wieder die Richtung Ihrer Gedanken ändern.« Mediziner wissen schon lange, dass Bewegung das Herz-Kreislauf- sowie Immunsystem stärkt und Entzündungen vorbeugt. Neurowissenschaftler setzen da noch eins drauf: Der Biologin und Neurowissenschaftlerin Eva-Maria Albers zufolge finden außerhalb der Nervenzellen Signalprozesse statt. Bläschen entfalten in der Blutbahn eine schützende Wirkung, sobald körperliche Belastung beginnt.
Vor diesem Hintergrund ist die Projektreihe des Lehrstuhls für Psychogerontologie in Nürnberg mit dem Hauptthema »Gesundes Altern« hochaktuell. Sie findet mit Unterstützung der Schöller-Stiftung statt. Jetzt steht unter dem Titel »Soziale Teilhabe« ein neues Vorhaben an. Für eine grundlegende Umfrage schreiben Prof. Lang und sein Team 10.000 über 75-jährige Männer und Frauen aus Nürnberg an. Aus diesem Kreis wird gezielt ein Teil für vertiefte Interviews ausgesucht. Die zentrale Frage formuliert Lang so: »Was brauchen Sie in Ihrem Alltag für ein gutes Leben?« Und er ergänzt: »Wir wollen jene erreichen, die sich durch die üblichen Angebote für Senioren nicht angesprochen oder abgehängt fühlen.«
Die Stärken der Einzelnen sind der Ansatzpunkt
Im Unterschied zur medizinisch-gerontologischen Forschung dockt die Studie an den Stärken der Einzelnen an, nicht an ihren Defiziten und Krankheiten. Berücksichtigt wird, dass auch psychische Belastungen wie Einsamkeit und belastende Konflikte mit nahestehenden Personen (»Ältere sind oft empfindsamer«) krank machen können. Lang: »Einsamkeit grassiert als schleichende Krankheit. Sie belastet, führt zu Depressionen, Resignation und ja, bis hin zu sinkender Gedächtnisleistung.« Für die Betroffenen gelte es wegzukommen von der Haltung: Es ist ja eh bald alles vorbei, Veränderung rentiert sich nicht mehr. Manchmal könne etwa bei der Analyse herauskommen, dass ein Umzug in eine barrierefreie Wohnung belastende Faktoren ausschaltet. Doch jeder weiß selbst am besten, was zu ihm passt. Langs Credo: »Es gibt nicht eine Lösung für jeden, sondern für jeden eine Lösung – jeder darf, aber keiner muss.«
Text: Angela Giese
Foto: Kat Pfeiffer
Information: Wer sich vertiefend mit dem Thema beschäftigen möchte, findet in diesem Buch viele Anregungen: »Was hält uns jung? Neuronale Perspektiven für den Umgang mit Neuem«, Helmut Fink, Rainer Rosenzweig (Hrsg.), Kortizes Verlag Nürnberg 2020. Der Band enthält eine Sammlung von Fachvorträgen.