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Der Vorteil des Langsamen

vignette Hello All, „man man zou“ sagen freundlich gesinnte Chinesen gerne zum Abschied: „Geh‘ langsam“, selbst zu Jüngeren. In den auf Stakkato getakteten Städten wie Beijing oder Wuhan mutet dies als rührender, an Fußgängerampeln jedoch als hintersinniger Rat, wenn man ihn zu wörtlich nimmt. Soll ja auch eher heißen, sei mit Bedacht unterwegs. Was Älteren i.d.R. nicht schwer fällt. Nur dumm, wenn daraus stigmatisierend abgelesen wird: Die/der kann halt nicht mehr. Langsamkeit kann zudem soziale Schwäche ausdrücken; nicht nur am Buffet oder auf der Autobahn. Marie Jagoda und Paul Lazarsfeld zeigten in ihrer berühmten Studie*, dass Arbeitslose und damit sozial Benachteiligte auf den Gehwegen an der langsameren Gangart zu erkennen waren. Und jetzt noch das glitschige Herbstlaub, das selbst mit modischem Outfit getarnte Alte als unsichere Geher entlarvt…
Höchste Zeit also zur altersunabhängigen Ehrenrettung des Langsamen. Da wären z. B. die Jain, eine Religionsgemeinschaft in Indien. Aus Respekt vor der Schöpfung wollen sie keinerlei Leben zerstören; sie gehen so vorsichtig, um keine Insekten zu zertreten. Ganz konsequente Jain fegen sogar vor jedem Schritt den Boden frei vor allem was da krabbelt. In Japan war es – vor der Zeit des Smartphone-Autismus – eine Frage des Anstandes, selbst im Gewusel jeden Zusammenstoß mit anderen Fußgängern zu vermeiden und deshalb langsam zu gehen. Würdenträger und Autoritätspersonen in aller Welt flitzen nicht umher, sondern schreiten. Der Zen- Buddhismus verlangt Konzentration auf die Bewegungsabläufe und somit Langsamkeit, um sich des Tuns bewusst zu werden. Ähnlich beim Taiqi oder Qigong: hier drückt sich in der Langsamkeit Aufstieg in höhere Sphären des Bewusstsein aus. Slow Food aus der Toskana zeugt von Lebensart. Wahre Genießer und Nostalgiker wandeln statt zu flitzen, selbst in unsere Regionen.
Also, nicht das Alter hält uns zum bedächtigen Gehen an, sondern edle Einsicht und Ergötzen. Das letzte Wort heute weht nochmals aus China herüber: „Fürchte nicht das langsame Vorwärtsgehen; fürchte nur den Stillstand“.
Ihr Global Oldie
„Die Entdeckung der Langsamkeit“ Sten Nadolny, 1983
„Die Arbeitslosen von Marienthal“, Marie Jagoda, Paul Lazarsfeld 1933

Eine Antwort

  1. leider sind unsere ampel auf schnelligkeit ausgerichtet. mir tut jede person leid, welche krankheitsbedingt eine ampel überqueren muss. und dann unsere lieben (jungen) autofahrer. sogleich beginnt ein hupkonzert. habe dies wieder persönlich erlebt. es wurde gehupt wie wild. war dies eine aufforderung den langsam gehenden senior tot zu fahren. in amerika halten die autos an jedem zebra-streifen vor fußgängern. hier könnten wir alle mal etwas positives lernen. z.b. rücksichtnahme, denn jeder ist mal dran-

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