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Rente mit 65, 67, 69, 75… oder darf’s a bisserl mehr sein?

Wenn die neoliberale "Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft" ein Gutachten in Auftrag gibt, weiß man eines mit Sicherheit: Die Arbeitgeber können sich freuen. Ob dies auch auf die neue Studie "Demografie und Rente - Effekte einer höheren Erwerbstätigkeit Älterer auf die Beitragssätze zur Rentenversicherung" zutrifft, ist aber eher unsicher. Fordert die Iinitiative doch von den Arbeitgebern mehr Arbeitsplätez für Ältere. Dass solche Studien Politiker inspiriert zeigen die gleich nach Erscheinen der Studie erhobenen Forderungen nach Erhöhung des Renteneintritts-Alter: Wolfgang Clement bietet 69, der JungLiberale, Lasse Becker, gar 75. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Studie.weiterlesen
"Schöne", neue Welt der Lobbyorganission Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: Jobben mit 69. Foto:epd
“Schöne”, neue Welt der Lobbyorganission Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft: Jobben mit 69. Foto:epd

Presseerklärung der Initiative Neue “Soziale” Marktwirtschaft zur Studie Studie “Demografie und Rente – Effekte einer höheren Erwerbstätigkeit Älterer auf die Beitragssätze zur Rentenversicherung” des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) in Zusammenarbeit mit Prof. Reinhold Schnabel von der Universität Duisburg-Essen sowie dem Institut für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM).

Die Erwerbsbeteiligung älterer Personen hat einen bedeutenden Einfluss auf die zukünftige Entwicklung des Rentenniveaus und der Rentenbeiträge. Das ist eines der zentralen Ergebnisse der Studie “Demografie und Rente – Effekte einer höheren Erwerbstätigkeit Älterer auf die Beitragssätze zur Rentenversicherung” .

Entwickeln sich Erwerbsbeteiligung, Arbeitslosigkeit und die Arbeitszeit Älterer (54+) in günstiger Weise (“Best Case Szenario”), dann wird sich der Rentenbeitragssatz bei einer Anpassung des Rentenniveaus gemäß der Nachhaltigkeitsformel bis zum Jahre 2030 auf lediglich 20,9 Prozent (2050: 23,3 Prozent) erhöhen, so ein Ergebnis der Studie.

„An der wachsenden Zahl der Älteren hängt der Wohlstand Deutschlands”, so der INSM-Kuratoriumsvorsitzende Wolfgang Clement, “denn nur wenn es uns gelingt, vor allem die Altersgruppe 54plus noch wesentlich besser als derzeit in den Arbeitsmarkt zu integrieren, können wir negative Wohlstandsfolgen durch geringe Geburtenraten und gleichzeitig steigende Lebenserwartung kompensieren.“

Besonders deutlich wird die Auswirkung unterschiedlicher Erwerbsbeteiligungen Älterer, wenn man das Rentenniveau von heute konstant hält (46 Prozent des durchschnittlichen Bruttolohns). Hierbei ergibt sich für das Jahr 2030 im Best Case Szenario ein Rentenbeitragssatz von 22,6 Prozent (2050: 27,2 Prozent), dem stehen 29,1 Prozent (2050: 33,5 Prozent) im Stillstandsszenario gegenüber.

Des Weiteren zeigen die Modellrechnungen der Ökonomen, dass die „Rente mit 69“ einen deutlichen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung des Rentensystems leisten könnte. Hierfür wurde in der Modellberechnung das Renteneintrittsalter ab dem Jahre 2030 von 67 auf 69 Jahre angehoben. Mit dieser Maßnahme könnte der Rentenbeitragssatz bei Anwendung der Nachhaltigkeitsformel ab 2030 bei knapp unter 23 Prozent stabil gehalten werden. Gleichzeitig könnte das Bruttorentenniveau bei knapp unter 40 Prozent stabilisiert werden (heute 46 Prozent).

Die Wissenschaftler empfehlen aufgrund der Studienergebnisse die wirtschaftspolitischen Anstrengungen zu erhöhen, um insbesondere die Erwerbsquote älterer Personen zu steigern.
Als Gegengift empfiehlt die Redaktion das Buch “Armut im Alter.  Christoph Butterwegge. Probleme und Perspektiven der sozialen Sicherung”. Ch Butterwegge, G. Bosbach, M. Birkwald (Hg.) und hier besonders “Rentenpolitik unter Druck. Einflussnahne der Finanzbranche am Beispiel der Riester-Rente” von Diana Wehlau und Altersarmut und Methusalem-Lüge. Wie die Senkung des Rentenniveaus mit demografischen Mythen begründet wird” von Ernst Kistler und Falko Trischler.

Außerdem emfpehlen wir nochmals unser Interview mit Herrn Butterwegge:

Christoph Butterwegge. Foto: privat
Christoph Butterwegge. Foto: privat

In den 50er Jahren waren viele BürgerInnen arm, auch die älteren. Danach gab es mehr als 50 Jahre keine Altersarmut. Warum taucht dieses Problem in den letzten zehn Jahren in der Öffentlichkeit (wieder) auf?

Butterwegge: Dafür gibt es meines Erachtens. zwei Hauptursachen: die Deformation des Sozialstaates im Allgemeinen sowie die Demontage der Gesetzlichen Rentenversicherung und die Deregulierung des Arbeitsmarktes im Besonderen. Genannt seien in diesem Zusammenhang nur die Lockerung des Kündigungsschutzes, die Einführung von Mini- bzw. Midijobs, die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe sowie die Liberalisierung der Leiharbeit. Nicht bloß die Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse, sondern auch die Teilprivatisierung der Altersvorsorge machen sich negativ bemerkbar. Durch die mit den Namen von Walter Riester und Bert Rürup verbundenen Rentenreformen wird das Alterssicherungsniveau vor Steuern von 53 Prozent um die Jahrtausendwende schrittweise auf 43 Prozent im Jahr 2030 abgesenkt. Gerade die Geringverdienerinnen und Geringverdiener können sich keine Zusatzvorsorge für das Alter leisten, die zudem den Risiken der Kapitalmärkte unterliegt und in erster Linie die Renten von Versicherungsvertretern und Finanzdienstleistern sichert.

 In vielen Veröffentlichungen wird die Alterungen der Gesellschaft für die demnächst wachsende Altersarmut mit verantwortlich gemacht. Warum wird die Senkung des Rentenniveaus – und damit auch mögliche Altersarmut – als Mythos bezeichnet?

 Butterwegge: Alle seriösen Berechnungen zeigen, dass sich die Folgen des demografischen Wandels für die Gesetzliche Rentenversicherung in Grenzen halten. Die Höhe der Rente ist schließlich keine Frage der Biologie – „Wie alt ist die Bevölkerung?“ –, sondern eine Frage der Ökonomie – „Wie groß ist der erwirtschaftete Reichtum?“ und eine Frage der Politik: „Wie und auf wen wird der gesellschaftliche Reichtum verteilt?“

Die Versuche, die geringeren Alterseinkünfte in der Zukunft auszugleichen reichen von der Riester- über die Zuschuss- und die Lebensleistungs- bis zur Solidarrente. Warum reichen diese Ansätze nicht aus, Altersarmut zu verringern?

Butterwegge: Bei der Riester-Rente sind die Risiken der Kapitalmärkte und die Tatsache zu bedenken, dass gerade Geringverdienerinnen und Geringverdiener solche Verträge selten abschließen, weil sie mit ihrem Lohn kaum über die Runden kommen. Zuschuss-, Lebensleistungs- und Solidarrente helfen den Bestandsrentnern nicht. Aber auch künftige Rentner – vor allem Rentnerinnen – dürften an den viel zu hohen Zugangshürden scheitern. Wer hat angesichts von Erwerbsunterbrechungen sowie von sich häufender Mehrfach- und Dauerarbeitslosigkeit schon 30, 35 oder 40 Jahre lang Beiträge gezahlt? Selbst wenn man in den Genuss der in Aussicht gestellten Rentenzuschüsse gelangt, reichen 850 Euro zumindest in einer Großstadt wie Hamburg oder München kaum aus, um der Altersarmut zu entgehen.

Welche Rolle spielt die Finanz- und Versicherungsindustrie bei der Debatte um die Renten?

Butterwegge: Auf den Entstehungsprozess der Riester-Rente haben Privatversicherer, Banken und Finanzdienstleister massiv Einfluss genommen. Es ging der rot-grünen Koalition bei dieser Reform nicht darum, Armut im Alter zu bekämpfen, sie wollte dem genannten Wirtschaftszweig vielmehr ein neues Geschäftsfeld zu eröffnen. Zu verdienen gab es fette Profite und Provisionen, die der Staat mit Steuergeldern in Höhe von 12 Milliarden Euro subventioniert hat. Der AWD-Gründer Carsten Maschmeyer vergleicht die Riester-Rente denn auch gern mit einer „sprudelnden Ölquelle“, die seine Branche nur anzuzapfen brauchte.

Bisher war die staatlich subventionierte Privatvorsorge à la Riester freiwillig. Da eine der Voraussetzungen für den Bezug der Zuschuss- wie der Lebensleistungsrente das Jahre-, später sogar das jahrzehntelange „Riestern“ ist, lässt sich diese als weiteres Förderprogramm für die Versicherungswirtschaft bezeichnen. Denn zumindest für Geringverdiener/innen würde die private Vorsorge nahezu obligatorisch.

Welche Wege schlagen Sie und Ihre AutorInnen vor, Alterarmut zu bekämpfen?

 Butterwegge: Die sog. Dämpfungsfaktoren (Riester-Treppe, Nachhaltigkeits- und Nachholfaktor) müssen wieder aus der Rentenanpassungsformel entfernt werden, um das Alterssicherungsniveau zu stabilisieren. Da die Anhebung der Regelaltersgrenze von 65 auf 67 Jahre auch nur eine verkappte Rentenkürzung darstellt, die Menschen mit gesundheitlichen oder beruflichen Problemen zwingt, vorzeitig mit Abschlägen in den Ruhestand zu gehen, muss auch die „Rente mit 67“ rückgängig gemacht werden.

Nur wenn der Lebensstandard aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im Ruhestand halbwegs gewahrt bleibt, kann Altersarmut für Niedrigeinkommensbezieher verhindert werden. Dies wäre am ehesten durch Weiterentwicklung der Renten- zu einer solidarischen Bürgerversicherung zu verhindern, in die alle einzahlen – auch Freiberufler, Selbstständige, Beamte, Abgeordnete und Minister –, in der auf alle Einkommen – auch Miet-, Pacht- und Kapitalerlöse – Beiträge entrichtet werden müssen und in der es keine oder eine sehr hohe Beitragsbemessungsgrenze gibt.

Interview: Rainer Büschel (veröffentlicht auf www.magazin66.de, am 19.12.2012)

 

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