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Antifolter-Kommissare in die Altersheime?

Nach Feststellung des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen werden 14.000 Pflegebedürftige ohne richterlichen Beschluss jährlich fixiert. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass dies nicht der Normalfall ist, aber muss man deshalb gleich ExpertInnen der „Nationalen Stelle von Folter“zur Überprüfung in die Pflegeeinrichtungen schicken? Interview mit Peter Meusch, Leiter des St. Martins Stifts der Caritas in Nürnberg.

Fixiert werden dürfen PatientInnen nur mit einer richterlichen Genehmigung. Wer diese nicht einholt, macht sich strafbar. Foto: epd
Fixiert werden dürfen PatientInnen nur mit einer richterlichen Genehmigung. Wer diese nicht einholt, macht sich strafbar. Foto: epd

Die Konferenz der Ministerpräsidenten (MPK) ist ein Gremium, das die Politik der 16 deutschen Bundesländerberät . Dort werden länderspezifische Themen beraten und gemeinsame Positionen der Länder untereinander abgestimmt oder gegenüber dem Bund. Dieses Mal  stand bei Stizung im saarländischen Perl auf der Agenda der Ministerpräsidenten das Thema Folter. Sie meinen, das hätte nichts mit dem Magzin sechs+sechzig zu tun? Welch‘ ein Irrtum. Wenn es nach dem Willen der Justizminister der Länder geht, sollen nämlich bald ExpertInnen der Antifolterstelle in Wiesbaden die 12.000 Heime in der Bundesrepublik besuchen.  Die Einrichtung der „Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter“  beruht auf einem Abkommen mit den Vereinten Nationen, das Deutschland in einem Zusatzprotokoll 2006 unterzeichnet und 2010 in nationales Recht umgesetzt hat. Ihre Aufgabe ist es, Mechanismen zur Verhütung von Folter zu erarbeiten. Sie ist keine Beratungs- oder Beschwerdestelle.
Aber wie sehen das Betroffene. Sehen Sie sich in eine Ecke gestellt, in die sie vielleicht nicht gehören? Das Magzin sechs+sechzig befragte Peter Meusch, Leiter des St. Martins Stifts der Caritas in Nürnberg.
Interview mit Peter Meusch, Leiter des St. Martins Stift in Nürnberg
Magazin66: Geht es nach dem Willen der Konferenz der Ministerpräsidenten dann könnte dem Stift St. Martins in Nürnberg, dem Sie vorstehen, bald der Besuch eines Inspekteurs der Antifolterstelle aus Wiesbaden bevorstehen. Bereitet Ihnen das Unbehagen?
Meusch: Ich bin empört über dieses Ansinnen.
Magazin66: Stört es Sie, dass mit diesem Vorhaben Altenpflegeinrichtungen möglicherweise in die die Nähe von Missständen Folter gerückt werden?
Meusch: Das kann man wohl sagen.  Die Altenpflege wird  in einen Topf geworfen mit Menschenrechts-verletzungen der übelsten Art.
Mgazin66: Nun wurde kürzlich in einem Bericht des Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) festgestellt, dass 14.000 HeimbewohnerInnen ohne richterlichen Beschluss fixiert werden. Auch wenn dies in Ihrer Einrichtung nicht passiert, kommt dies dem Begriff von Folter nicht sehr nahe?
Meusch: Bei der Folter ist das Handlungsprinzip nicht der Schutz der Person.  Der Gefolterte wird gequält, weil man von ihm etwas erfahren will oder ihn demütigen möchte.  Es gibt schwarze Schafe in der Altenpflege, bei denen das Prinzip Ruhigstellung im Vordergrund steht,  aber das Leitprinzip in der Altenpflege ist das Wohlergehen der Bewohner. Jede Fixierung, die nicht genehmigt ist, ist eine zuviel und auch genehmigte Fixierungen sind kritisch anzuschauen. Der so genannte Werdenfelser Weg zeigt hier die richtige Richtung an. Geschulte Verfahrenspfleger werden in das Genehmigungsverfahren für freiheitsentziehende Maßnahmen einbezogen. Sie kommunizieren mit den Einrichtungen und suchen mit diesen mögliche Alternativen um Fixierungen zu verhindern.
Magazin66: Wo sehen Sie (summarisch) Gründe, wenn es in Pflegeheimen für Ältere zu gewaltsamen Übergriffen kommt und was tun Sie in Ihrem Heim dazu, dass es nicht soweit kommt?
Meusch: Viel zu knappe Pflegeschlüssel, die die Einstellung und Finanzierung von Pflegemitarbeitern nur unzureichend ermöglicht, überforderte und schlecht ausgebildete Mitarbeiter und zu wenig Interesse durch die Verantwortlichen in den Einrichtungen. Eine gute Zusammenarbeit aller Mitarbeiter und Förderung der Fachkenntnis durch Fortbildungen  sind das Eine. Wohnbereichsleitungen und eine Pflegedienstleitung die sich um Bewohner und Mitarbeiter sorgt, sind das andere. Allerdings bleibt der enge Personalschlüssel  eine ständige Misere. Um freiheitsentziehende Maßnahmen auf ein Minimum zu reduzieren, haben wir  Betten, die auf 35 cm Höhe heruntergefahren werden können und legen Matratzen vor die Betten damit Stürze aus den Betten verhindert werden.  Sensormatten melden an die Rufanlage wenn sturzgefährdete Bewohner aufstehen.  An vierTagen in der Woche findet ein Kraft und Balance Training statt.  Alle sechs Wochen werden alle freiheitsentziehenden Maßnahmen auf ihre Notwendigkeit hin überprüft.
Magazin66: Bislang wurden die Einrichtungen der Altenpflege von der Heimaufsicht und dem MDK kontrolliert. Was bringt eine Institution mehr, was die anderen nicht schon rausgefunden haben?
Meusch: Das frage ich mich auch. Das einzige was mir dazu einfällt ist, dass Politiker sagen können: Eir haben doch alles gemacht, um Missstände abzuschaffen.  Was notwendig ist, ist dass mehr Geld für eine ordentliche Pflege zur Verfügung gestellt wird. Ansonsten sind wir durch die jährliche Kontrollen von MDK und Heimaufsicht bestens kontrolliert  – wie sonst kaum Einrichtungen.
Interview: Rainer Büschel
 

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