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Im Überseekoffer reiste die Bibel mit

Reinhard Arnast hat die geschichtsträchtige Bibel inzwischen an seinen Enkel David weitergegeben.

Ein Buch ist ein gutes Geschenk: Es sagt einiges über den Geschmack des Schenkenden aus und sorgt oft für unterhaltsame Lesestunden – ein ideales Mitbringsel also. Das Buch, das Reinhard Arnast vor über 70 Jahren überreicht wurde, ist für ihn aber viel, viel mehr.

Der Rentner hatte im Jahr 1951 als Kind eine Bibel von einem evangelischen Pfarrer zum Abschied erhalten, als seine Familie vom fränkischen Dorf Altheim nach Nürnberg umgezogen ist. Die religiöse Schrift gilt mit bis zu fünf Milliarden verkauften Exemplaren als das Buch mit der größten Auflage weltweit. Und Reinhard Arnasts Exemplar ist keine x-beliebige Bibel: Sie stammt aus dem Jahr 1896, Pfarrer Gottfried Schmutterer hatte sie in seiner Jugend zur eigenen Konfirmation bekommen.

Schmutterer hatte nach der Volksschule zunächst das Schusterhandwerk gelernt. Doch die Missionsarbeit der evangelisch-lutherischen Kirche begeisterte den jungen Mann derart, dass er sich 1909 in Neuendettelsau zur Aussendung gemeldet hat. Die Kirche schickte ihn nach Neuguinea – im Überseekoffer reiste seine Bibel mit.

Spannender Unterricht

Über ein Vierteljahrhundert waren er und seine Frau auf der Insel im südwestlichen Pazifik tätig – der Pfarrer nicht nur missionarisch, sondern auch ganz praktisch handwerklich: Er war am Aufbau der Malahang-Station Lae am dortigen Markham-Tal beteiligt. »Es war ein gerüttelt Maß an Arbeit, das den Schmutterers auferlegt worden war. Über 25 Jahre hielten sie es aus, dann war ihre Kraft zu Ende und sie kehrten heim«, heißt es in einem kurzen Steckbrief der evangelischen Kirche zu Gottfried Schmutterer (1886-1975). Als er und seine Frau 1935 wieder in Franken ankamen, befand sich die Konfirmationsbibel wieder in seinem Gepäck.

»Wenn das Buch reden könnte, hätte es sicher viel Interessantes zu berichten«, meint Reinhard Arnast, der Schmutterer als Schulanfänger in Altheim kennenlernte, »wir hatten damals bei ihm Religionsunterricht und hingen förmlich an seinen Lippen. Es war spannend, was er von der Mission erzählte, vom Bau der Hütten, vom Leben dort – das war eine ganz andere Welt. An Details kann ich mich leider nicht mehr erinnern, aber ich weiß noch, dass wir Schüler es damals kaum erwarten konnten, bis wir endlich wieder Religionsunterricht hatten.«

Zähe Burschen

Über den Beginn der Missionsarbeit in Neuguinea im 19. Jahrhundert schreibt Wilhelm Fugmann von der Neuendettelsauer Missionshilfe: »Diese Gründerväter und Gründermütter haben die Last und Hitze der Anfangsjahre getragen mit ihren Gefahren zu Wasser und zu Land … Die Männer waren oft wochenlang unterwegs, während die Frauen in einer unsicheren Umgebung den Stationsbetrieb mit all seinen Pflichten aufrecht erhalten mussten. Ihre Reisen führten sie über hohe Berge, oft bis zu 3000 bis 4000 Meter. Sie mussten Flüsse durchschwimmen, Sümpfe durchwaten, um dann ihre Nächte in rauchigen Hütten zu verbringen, geplagt von Flöhen und ihren ständigen Begleitern, den Stechmücken. Ohne Frage, es waren nüchterne und zähe Burschen, diese frühen Missionare …« – zu denen auch Gottfried Schmutterer gehörte.

Der evangelische Geistliche hat Familie Arnast 1951 seine Konfirmationsbibel übergeben, in der in feiner Sütterlin-Schrift die Widmung notiert ist: »zum fleißigen Gebrauch«. Der Pfarrer hatte eifrig darin gelesen, wie die Gebrauchsspuren zeigen. Auch Reinhard Arnasts Vater war ein eifriger Bibelleser und außerdem ehrenamtlicher Kirchenvorstand.

Neues Leben in Franken

Er war mit seiner Familie nach dem Zweiten Weltkrieg aus Schlesien vertrieben worden und musste im Westen bei Null wieder anfangen. Nur mit einem Kinderwagen, Bettzeug und einem Koffer waren sie 1945 in Franken eingetroffen, ihren schlesischen Besitz mussten sie zurücklassen und sie hatten sich nun auf einem Bauernhof mit weiteren Flüchtlingen zu arrangieren. Ein schwieriger Neuanfang.

Wahrscheinlich wusste Arnasts Vater das Geschenk Schmutterers deshalb wenige Jahre später besonders zu schätzen. Es war ja nicht irgendein Druckwerk, sondern das Buch, das den Pfarrer ein Leben lang begleitet hatte – als Inspiration, Trost, Ratgeber und Anleitung zur Meditation für seinen Alltag.

 »Als Kind habe ich natürlich nicht erkannt, was für ein besonderes Geschenk das ist«, erzählt der 82-jährige Reinhard Arnast, »aber jetzt sehe ich, welche außerordentliche Wertschätzung darin liegt. Welcher Pfarrer verschenkt schließlich seine eigene Konfirmationsbibel?« Diese Geste hat ihn und seine Frau sehr gerührt. Gemeinsam haben sie sich auf Schmutterers Spuren begeben – sie fanden aber nur noch sein Grab in Neuendettelsau vor. »Wir haben lange auf dem Friedhof gesucht und dort dann Zwiesprache mit ihm gehalten. Wir haben uns noch einmal ausdrücklich bedankt und waren wirklich sehr bewegt von seiner großherzigen Gabe«, berichtet Arnasts Ehefrau Martina.

Jetzt hat sich das Ehepaar entschlossen, das Buch weiterzugeben: »Uns ist bewusst, dass es mit unserer Generation allmählich zu Ende geht. Man hat die eigene Endlichkeit vor Augen«, meint die 81-jährige Martina Arnast wehmütig und fügt an: »Aber neue Generationen wachsen ja nach.« Daher haben sie Schmutterers Bibel nun ihrem einzigen Enkel David zur Konfirmation geschenkt.

Zuvor haben sie das Buch aber neu binden lassen. »Es hat schon ziemlich vergammelt ausgeschaut«, merkt die Großmutter an. Der Band ist seit über sieben Jahrzehnten in der Familie, und Reinhard Arnast hofft, »dass David eines Tages die Bibel dann an die nächste Generation weiterreicht.«

Text: Hartmut Voigt
Fotos: Michael Matejka

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