In der großen Halle wird gerüttelt, gesiebt und geknackt. Das Zusammenspiel der Maschinen verursacht einen ohrenbetäubenden Geräuschpegel. Doch Fritz Stiegler lässt das kalt: Mit Begeisterung zeigt er, wie seine Haselnüsse sortiert und von ihren Schalen befreit werden. Ein Teil kommt sofort in den Verkauf, ein Teil wird weiterverarbeitet. Es ist seinem Pioniergeist zu verdanken, dass die Haselnuss, die sonst aus Italien, Spanien und der Türkei importiert wird, jetzt auch in Franken in großem Stil geerntet werden kann.
5000 Bäume wachsen auf seiner zehn Hektar großen Plantage in Gonnersdorf, einem Ortsteil von Cadolzburg im Landkreis Fürth. Der Ertrag schwankt stark: Zwischen 100 Kilogramm und drei Tonnen pro Hektar und Jahr können hier geerntet werden. 2005 war das Jahr der Entscheidung gewesen: Die EU hatte die Subventionen für Tabak gestrichen, den Fritz Stiegler zuvor angebaut hatte – als Alternative suchte er sich die Haselnuss aus. Der 62-Jährige, seit jeher Nichtraucher, ist heute froh über den Wechsel. Der Tabak habe nicht zum Hof gepasst. »Wenn man die Blätter abgebrochen hat, sind die Finger nach kurzer Zeit schwarz geworden. Da kann man sich vorstellen, wie ungesund das Rauchen für den Körper ist«, sagt er.
Bis zur ersten richtigen Ernte vergingen Jahre
Mit der fränkischen Haselnuss kann er sich deutlich besser identifizieren. Dennoch war der Umstieg ein Wagnis. »Es ist die schwierigste Kultur, die man anbauen kann«, konstatiert der Landwirt. Einige der anderen Bauern glaubten, »des wird nix beim Stiegler«. Und tatsächlich: Manche Neupflanzungen verkümmerten. Er experimentierte mit unterschiedlichen Sorten, um herauszufinden, welche Pflanzen zu den klimatischen und geologischen Bedingungen passen und welche Nuss sich für welchen Verwendungszweck eignet. Heute weiß er, welche Gattungen zuverlässig Erträge bringen und wie sich die Nüsse verarbeiten lassen. »Es hat aber viel Geduld und Durchhaltevermögen gebraucht«, gibt er zu. Bis zur ersten richtigen Ernte vergingen Jahre.
Was mit Schwierigkeiten begann, hat sich längst zur Herzensangelegenheit entwickelt. Um als Bio-Betrieb vollständig auf chemischen Pflanzenschutz und Insektizide verzichten zu können, sind 1600 Hühner im Einsatz. Sie liefern nicht nur Bio-Eier und düngen die Bäume, sie picken auch die Larven des Haselnussbohrers auf. Das Insekt ist der schlimmste Feind des Haselnussbauern: Es frisst junge Triebe und bohrt die Früchte an. Durch das Loch legen die weiblichen Tiere ihre Eier auf die heranreifende Nuss, von der sich dann die Larven ernähren – und so die Ernte schmälern oder gar vernichten.
Von Aufstrich bis Grillbriketts
Auf die Idee mit dem Federvieh kam Sohn Martin, der in den Betrieb mit eingestiegen ist und die Firma FrankenGeNuss gegründet hat. Eine palmölfreie Nutella-Alternative aus den eigenen Früchten und Eierlikör mit einem Schuss Haselnussgeist sind die Verkaufsschlager. Im Hofladen in der alten Schmiede werden natürlich auch die Nüsse selbst vermarktet. Die Schalen werden zu Grillbriketts und einem Ersatz für Rindenmulch verarbeitet. Außerdem beliefert man die Gastronomie, unter anderem den fränkischen Sternekoch Alexander Herrmann.
Die Landwirtschaft ist Fritz Stiegler buchstäblich in die Wiege gelegt worden. Früh hat er Pflichten übernommen, musste Zuckerrüben hacken, Hof kehren, Unkraut entfernen und Kartoffeln lesen. »Da hat’s gar keine Diskussionen gegeben«, sagt er. Für die Eltern, die Milchvieh hielten, war klar: Ihr Sohn würde einmal den Betrieb weiterführen. In der Grundschule hatte er jedoch ein Erlebnis, das ihn mit Herkunft und Bestimmung hadern ließ. Die Lehrerin hatte ihn vor der ganzen Klasse, in der auch viele Kinder aus dem eher städtischen Milieu saßen, aufgefordert, er solle sich einmal richtig waschen. »Du riechst ja nach Kuhstall.« Ihre Aussage hat ihn zum Außenseiter gemacht. Plötzlich wurde er von den anderen Buben und Mädchen »Bauer« gerufen. Es kam ihm wie ein Schimpfwort vor, er fühlte sich bloßgestellt und ausgegrenzt. Seine Gefühle habe er lange »in sich reingefressen«, sagt er. Erst Jahrzehnte später konnte er über die Demütigung sprechen.
Gefühl der Erniedrigung
In Gonnersdorf hat er zum Glück eine andere Welt erlebt: Hier hat er mit seinen Freunden auf dem Hof gespielt, war in der Landjugend verwurzelt. Sein Selbstbewusstsein stieg. Dennoch blieb bei ihm nach der Erniedrigung in der Schule das Gefühl lebendig, sich behaupten zu müssen. Er kraxelte auf steile Felsen und seilte sich aus großen Höhen ab. Er bestieg den Wilden Kaiser und den Mont Blanc, wo ihn einmal fast eine Lawine mitgerissen hätte. Seine größte Herausforderung aber ist und bleibt der Hof, den er 1987 mit seiner Frau Sieglinde von seinen Eltern übernommen hat. Sie gaben die Milchviehhaltung auf, weil sie nicht immer größere Ställe für immer mehr Tiere bauen wollten, damit sich die Arbeit rentiert. Seitdem versorgen Fritz und seine Frau – neben dem Anbau von erst Tabak und später Haselnüssen – Pensionspferde. Erst waren es neun, inzwischen sind es 30. Worauf Stiegler stolz ist: Die Tiere sind nicht in enge Boxen gepfercht, sondern stehen in einem Laufstall.
Neben der Familie und den Beschäftigten galt den vierbeinigen Schützlingen auch seine größte Sorge, als 2014 ein verheerender Brand ausbrach, den ein technischer Defekt an einem Traktor ausgelöst hatte. Die Flammen zerstörten große Teile des seit dem 17. Jahrhundert bestehenden Stiegler-Hofes. Doch es gelang ihm, die Tiere ins Freie zu bringen und vor dem Feuertod zu retten. Außer der alten Schmiede lag alles in Schutt und Asche, aber Aufgeben kam nicht in Frage. Stattdessen begann umgehend der Wiederaufbau. Seither gibt es bei den Stieglers eine neue Zeitrechnung: das Leben vor und nach dem Brand. »So ein Einschnitt ist immer auch eine Möglichkeit für einen Neuanfang«, sagt er heute mit der Abgeklärtheit eines reifen Menschen, für den Höhen und Tiefen zum Leben gehören.
Mundartdichter und Autor
Zum Glück packen neben seiner Frau auch Sohn und Schwiegertochter mit an. Er selbst ist unter anderem für den Schnitt der Haselnussbäume zuständig. »Dabei kann ich meine Gedanken schweifen lassen. Das ist wichtig für meine kreative Arbeit«, sagt der 62-Jährige. Denn der Landwirt schreibt die Musical-Libretti für die Cadolzburger Burgfestspiele, betätigt sich erfolgreich als Mundartdichter und Autor. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht – zuletzt den Roman »Heiner«, die Lebensgeschichte eines Knechts, der auf seine Liebe verzichtet, um Bauer zu werden. Das nächste Projekt ist seine eigene Biografie. Und aus seinem Leben zu erzählen hat Fritz Stiegler jede Menge. Die besten Ideen kommen ihm zwischen den sanften Hügeln, grünen Wiesen und seinen Haselnussbäumen in Gonnersdorf.
Text: Alexandra Voigt
Fotos: Michael Matejka