Als Susanne Hofmann-Fraser eine Azubi-Messe besucht, will sie eigentlich nur ihre Tochter auf ihrem weiteren Weg unterstützen. Doch am Ende startet die Radiomoderatorin selbst in eine neue berufliche Zukunft. Gerade hat für die 52-Jährige das dritte Ausbildungsjahr zur Altenpflegerin begonnen.
»Dafür bin ich doch ein bisschen zu alt«, ist ihre erste Reaktion an einem der Messestände, an dem für den Umstieg in den Pflegeberuf geworben wird. Aber der Gedanke an einen Neuanfang lässt sie nicht mehr los. Als sie schließlich erfährt, dass es mit dem Förderprogramm der Bundesagentur für Arbeit sogar noch finanzielle Unterstützung für Menschen ab 45 gibt, legt sie los. Für Hofmann-Fraser gibt es mehr Gemeinsamkeiten zwischen ihrem bisherigen und dem künftigen Berufsleben, als man auf den ersten Blick glauben möchte.
Näher an den Menschen
Auch für den Job beim Radio musste sie oft um vier Uhr morgens aufstehen. »Ich arbeite gerne mit Menschen, unterhalte sie und rede mit ihnen«, sagt sie. In den Heimen der Rummelsberger Diakonie, in denen sie ausgebildet wird, könne sie dies fast ebenso tun wie über den Äther und zuletzt vor allem bei Events. Mit dem Unterschied, jetzt viel näher an den Menschen dran zu sein, ihre Reaktion unmittelbar zu sehen und sich auch einfühlen zu können in das, was ihr Gegenüber gerade brauche: ein Gespräch, ein Lächeln oder einfach nur, dessen Hand zu halten.
Es war keine Midlife-Krise, die bei ihr zu einem radikalen Bruch mit ihrem bisherigen Beruf und zu einem Neustart führte, sondern vielmehr die Rückkehr zu etwas, das schon immer da war. Etwas, das erst jetzt, deutlich hörbar, Raum in ihrem Leben einfordert. Bevor sie zum Radio kam, hatte sie Sozialpädagogik studiert. Die soziale Seite lebte sie danach jahrelang vor allem ehrenamtlich aus, etwa in einer von ihr initiierten Farbenwerkstatt, in der sie mit Senioren künstlerisch arbeitete.
Neustart in der Lebensmitte ist keine Seltenheit
Dass Menschen in der Lebensmitte einen Neustart wagen, passiert immer häufiger. Für Wolfgang Roth ist das kein Zufall: »In diesem Alter tauchen Themen wie Spiritualität und Sinnfragen oft mit einer gewissen Vehemenz auf«, so die Erfahrung des Erlanger Wirtschaftspsychologen und Resilienzforschers. Die großen Aufgaben wie Kindererziehung, Hausbau und Karriere sind bewältigt, von der Autobahn geht es jetzt gewissermaßen auf die Landstraße, die auch Zeit dafür lässt, nach links und rechts zu schauen. Und noch etwas komme hinzu: Viele werden sich jetzt ihrer Endlichkeit bewusst. »Die Menschen sind materiell meist satt. Spirituell hingegen sind sie nicht selten bedürftig und machen sich nun auf die Suche, auch hier Erfüllung zu finden«, so Roths Erfahrung. Er nennt diesen Prozess deshalb lieber »Midlife Chance« als »Midlife Crisis«. In der aufkommenden Ruhe dieser Lebensphase, die vielen Menschen allerdings schwer falle, »kommen alte Themen hoch«. Und noch ein Aspekt trete mit dem neuen Abschnitt oft auf: »Man möchte nicht bereuen, was man nicht getan hat.«
Reif für Veränderung
Dass dieser Weg kein leichter ist, weiß Sabine Votteler nur zu gut. Bei ihr, lange Führungskraft in verschiedenen Unternehmen, drängte die Sinnfrage in Gestalt großer Unzufriedenheit ins Leben. Der Gedanke, noch 20 Jahre so weiterzumachen wie bisher, war für sie kaum auszuhalten. Ein Burn-out tat sein Übriges. Also schmiss sie mit 49 Jahren ihr relativ sicheres Angestellten-Dasein hin und machte sich selbstständig. »Transitphase« nennt sie die Zeit, die geprägt ist von Unsicherheit. Heute begleitet sie als Business-Coach andere Menschen durch eine Phase von Frust, Zweifel, Angst und Unentschlossenheit. »Wenn man sich seiner Sache noch nicht so sicher ist, kann es in diesem Stadium leicht passieren, dass man einem gut klingenden Jobangebot doch lieber nachgibt als seinen eigenen Weg zu gehen. Um dann wieder in der alten Falle zu landen.«
Für sie gibt es diverse Indizien, wann die Zeit reif ist für eine Veränderung. »Etwa, wenn die Wechsel in neue Jobs immer schneller erfolgen, weil man auch in der neuen Firma die ersehnte Erfüllung nicht findet.« Die Identität eines Menschen ändere sich zudem im Laufe der Jahre, und damit oft auch die einstige Identifikation mit dem Beruf, der dann auf einmal ebenso wenig zu passen scheint wie eine zu eng gewordene Hose. Doch im Gegensatz zur Hose lasse sich das alte berufliche Ich nicht so einfach abstreifen. »So ein Prozess kann sich auch über viele Jahre hinziehen«, weiß Votteler. »Manche Menschen denken: ›Die paar Jahre bis zur Rente halte ich noch durch.‹ Sie müssen dann aber feststellen, dass dies nur mit erheblichen Einbußen an Lebensqualität möglich ist.«
In jeder Dekade ein neuer Job
Dass es so wie bisher nicht weitergehen kann, war auch Stefan Leslie Baumann klar. Allerdings eher aus pragmatischen Gründen. Er wusste, sein Körper würde nicht ewig schwere Lasten tragen wollen. Baumann hat schon einige Berufswege hinter sich. Studieren, das stand für den einstigen Waldorf-Schüler fest, wollte er nicht. Er wurde Kfz-Lackierer. Doch den Nitroverdünnern konnte er sich nicht lange aussetzen. Von da an arbeitete er in nahezu jeder Dekade in einer anderen Branche: Gastronomie, Auto-Export, schließlich betrieb er Wohnungsauflösungen und Umzüge.
Beim Arbeitsamt erhielt Baumann überraschend das Angebot, ein weiteres Mal neu zu beginnen. »Ich erbat mir 48 Stunden Bedenkzeit und sagte ja.« So startete der damals 50-Jährige eine mehrmonatige Ausbildung bei der ÖPNV-Akademie zum Busfahrer, die er schließlich nach all den pandemie-bedingten Unterbrechungen mit Bravour bestand. Seit Anfang dieses Jahres fährt er regelmäßig seine Touren. »Es war ein bisschen zehrend, so viele Dinge neu zu lernen. Ich habe erstmals seit fast 35 Jahren wieder die Schulbank gedrückt«, sagt Baumann. Damit ist er nicht allein. Das Nürnberger Institut für den Personennahverkehr, das für Tätigkeiten bei Verkehrsbetrieben in ganz Deutschland aus- und weiterbildet, schult immer häufiger Menschen jenseits der 50.
Beruflich zuhause angekommen
Für Baumann fügte sich alles bestens. Bei der Akademie erhielt er jedwede Unterstützung. Und er kam anschließend bei seinem Wunsch-Arbeitgeber unter, der VAG in Nürnberg. Hier ging es erst einmal weiter mit Lernen: Einweisung in das Netz von 70 Buslinien, in das Tarifsystem, in alle Bustypen vom Elektrobus über den Diesel bis hin zum Erdgas-betriebenen Fahrzeug. »Es macht alles Spaß«, sagt Baumann. Auch, weil er hier seine Berufserfahrung einbringen kann – die Freude am Fahren wie beim Auto-Transfer nach Spanien und die am Umgang mit Menschen wie in der Gastronomie. Am Mut, etwas Neues anzufangen, hat es ihm noch nie gemangelt. Wenn er müsste, könnte und würde er es auch jederzeit wieder tun. »Aber jetzt bin ich beruflich vielleicht, hoffentlich sogar, zu Hause angekommen«, sagt der heute 53-Jährige. »Es passt alles.«
Auch die angehende Altenpflegerin Susanne Hofmann-Fraser kann ihre Lebenserfahrung beim Umgang mit an Demenz erkrankten Pflegebedürftigen bestens einbringen. »Ich kann mit ihnen über Dinge reden, die sie kennen, an die sie sich erinnern.« Beruflich kann sie sich noch viel Neues vorstellen. »Das Thema Pflege ist ein so breit gefächertes Feld mit vielen Möglichkeiten. Vor allem aber ist es ein gesellschaftlich relevantes Thema.« Diesem mit ihrer Eloquenz und ihrer Radio-Stimme mehr Gehör zu verschaffen, könnte nur eines ihrer Anliegen werden. Auch nach drei Ausbildungsjahren würde sie sich nicht scheuen, etwa noch eine gerontopsychiatrische Weiterbildung anzuschließen. Die 52-Jährige hat der berufliche Ehrgeiz noch einmal gepackt.
Info:
Die Agenturen für Arbeit unterstützen berufliche Veränderungen – auch finanziell. Es gibt zahlreiche Angebote, etwa für Menschen, die sich beruflich neu orientieren oder weiterentwickeln möchten, aber auch bei der Karriereplanung. Weitere Informationen gibt es unter Telefon 0800 / 4 5555 20 sowie unter
www.arbeitsagentur.de/vor-ort/rd-by/berufsberatung-im-erwerbsleben und www.arbeitsagentur.de/vor-ort/rd-by/Weiterbildung-Qualifizierungsoffensive
Text: Anja Kummerow
Fotos: Kat Pfeiffer
Unser Titelbild zeigt Susanne Hofmann-Fraser vor dem Heim SentaLavida in Nürnberg. Die Rummelsberger Diakonie ermöglichte ihr einen Neustart.
Eine Antwort
Respekt vor so einer Entscheidung und das man so was auf sich nimmt, angeht und durchzieht.
Da gehört eine große Portion Selbstbewusstsein dazu.