Ein Indiz dafür, dass man alt wird, sind über die Jahre angesammelte Bild- und Tondokumente, die man nicht mehr abspielen kann. Was neulich noch Standard war und jeder ganz selbstverständlich bei sich zu Hause hatte, ist heute ganz anders und morgen längst vergessen. Beispiel Musik: Die Lieder von Elvis Presley und den Beatles sind dieselben geblieben, doch früher kamen sie von Schallplatte oder Tonband, später von CD, Audiokassette oder MiniDisc. Heute hören wir diese Musik digital und haben sie unsichtbar gespeichert: als mp3-Datei auf der Festplatte oder gleich als Stream, drahtlos aus der Daten-Wolke direkt aufs Handy.
Was Elvis und die Beatles angeht, ist das kein Problem: Ihre Songs sind auch in der neuen Welt auf Knopfdruck problemlos verfügbar. Doch manch ein privater Schatz hat den Sprung ins Digitale nie geschafft: Der Mitschnitt aus dem Proberaum mit der ersten eigenen Rockband, ein auf Kassette gesprochener Geburtstagsgruß, der Radiomitschnitt, als Urgroßvater mit seiner Kapelle im Bierzelt aufspielte, die Aufnahme der Kinder unterm Weihnachtsbaum. Oder Filme: die Hochzeit der Großeltern, festgehalten seinerzeit auf Super8, und die Konfirmation in den 90er Jahren auf VHS. Momente in der Zeit, die man gerne einmal wieder sehen oder hören würde. Die Bänder und Kassetten gibt es noch, doch die dazugehörigen Abspielgeräte sind schon lange verschwunden.
Analoges wird digital
An dieser Stelle kommt Jan Dittmer ins Spiel. Der Fürther hat sich darauf spezialisiert, Erinnerungsstücke ins Hier und Jetzt zu kopieren: Wort und Klang, Sprache und Musik, bewegte und starre Bilder. Analoges wird digital, der Film von der Hochzeit kann plötzlich auf dem Smartphone angeguckt werden. »Wir machen alles, was es jemals analog gab in der Fotografie, in der Filmtechnik und in der Musik wieder sicht- und hörbar«, verspricht Dittmer.
Die Umwandlung passiert in Zirndorf: in der Bilderfürst Manufaktur. Vor zehn Jahren hat Dittmer unweit vom Stadtkern ein kleines Haus, von dem keiner weiß, wie alt es ist, als Ruine übernommen, restauriert und darin sein Umkopier-Studio eingerichtet. Heute digitalisieren dort sieben Mitarbeiter rund um die Uhr Fotos und Filme, Bänder und Schallplatten und übertragen sie in die Formate der Gegenwart.
»Wir sind eine relativ kleine Firma und daher sehr flexibel«, sagt Dittmer und unterscheidet zwischen dem Amateur- und Heimkunden auf der einen und dem Profi auf der anderen Seite. Letzterer kommt eher selten zu ihm, und doch war Dittmer auch schon für Fernsehsender tätig, hat für große Sendeanstalten Archivmaterial im großen Rahmen digitalisiert – unter mächtigem Zeitdruck. »Zehn Tage, hieß es damals. Doch den Auftrag hatte ich massiv unterschätzt«, erinnert er sich. »Als dann der Laster mit dem Rohmaterial vorm Haus hielt, musste ich schon schlucken. Aber das liegt an mir: Weil ich nie nein sagen kann …«
Jedes Filmbild wird abgenommen
Wo es beim Amateurkunden eine einfache Digitalisierung tut, muss bei einer Profi-Digitalisierung jedes Frame – sprich: jedes einzelne Filmbild für sich – in bestmöglicher Auflösung abgenommen werden. Nur so können hinterher am Computer, etwa im Rahmen einer aufwändigen Filmrestaurierung, Staub und Kratzer entfernt und Farben angepasst werden. In der Regel sind es aber Amateur- und Heimkunden, die Dittmers Dienste in Anspruch nehmen. Wobei er die kaum kennenlernt. Der Kontakt läuft über den Fotohändler an der Ecke: Dort gibt der Kunde seine Originale ab. Über die Fachhändler-Vereinigung Ringfoto kommen sie aus ganz Deutschland ins Kopierstudio nach Zirndorf und werden dort bearbeitet. Mit Werbung, Abrechnung, Reklamationen und Inkasso hat Dittmer unmittelbar nichts zu tun.
Beim Rundgang durchs Kopierstudio entpuppt sich die Produktionsstraße genau so, wie man sie sich vorgestellt hat: ein langer, enger Gang, links und rechts Regale mit Bildschirmen und Monitoren bis unter die Decke. Auf denen wackeln kleine Kinder durchs Bild, sitzen Erwachsene gemütlich zusammen, man sieht Menschen in fernen Ländern und Familien beim Strandurlaub am Meer. Verrauschte Bilder, bleiche Farben, aber wärmende Erinnerungen für ihre Besitzer.
Video 2000, Betamax, NTSC oder Kodak Disc sind kein Problem
Immer wieder finden sich Zeit und Datum im Bild eingeblendet, wie das damals eben so üblich war bei den frühen VHS-Videokameras, als diese für jedermann erschwinglich wurden. Doch auch die anderen längst vergessenen Formate aus jener Zeit, wie Video 2000 oder Betamax, kann man bei Bilderfürst noch abspielen, ebenso ausländische Standards wie die US-Fernsehnorm NTSC. Und die diversen Exoten und Sonderformate wie das 1982 eingeführte Kassettenfilm-System Kodak Disc.
Die meisten Abtast-Geräte in der Zentrale in Zirndorf sind selbst gebaut – weil es entweder nichts in dieser Art fertig zu kaufen gibt oder wenn, dann zumindest nichts Brauchbares. Deshalb sind Dittmer und sein Team auch ständig auf der Jagd nach alter Original-Hardware. Klar: Das meiste der Technik von einst wird heute nicht mehr hergestellt, Ersatzteile sind – wenn überhaupt – schwer zu kriegen. Doch Nachschub ist dringend vonnöten, da die Produktionskette nicht unterbrochen werden darf. Fällt auf der langen Produktionsstraße ein Gerät aus, steht einsatzfähiger Ersatz gleicher Bauart in Griffweite, oft fünf, manchmal bis zu zehn Apparate in Reserve. Der ganze Laden ist so gesehen eine einzige große Bastelwerkstatt.
Überspielt wird in Echtzeit – geht ja auch nicht anders. Gleich am Anfang der Kopierstraße findet sich ein Stecksystem mit über hundert Kanälen, das an eine antike Telefonvermittlung erinnert, wie man sie von alten Fotos und aus alten Filmen kennt: Da sitzt eine Dame, nimmt den Anruf entgegen und leitet ihn weiter, indem sie irgendwelche Kabel an der Wand vor ihr steckt. Tatsächlich war es ein alter Hollywoodfilm, der ihn zu dieser ebenfalls selbstgebauten Stecklösung für sein Kopierwerk inspirierte, erzählt Dittmer beim Rundgang.
Staub und Schmutz wegpusten ist aller Anfang
Auf die Videorecorder folgen die Dias, ebenfalls Maschine an Maschine. Kassettenweise werden die gerahmten Bilder eingelegt, ruckeln vorwärts und werden vollautomatisch gescannt, Foto für Foto. Das aufmerksame Personal hat ein Auge auf das Ausgangsmaterial – und greift gegebenenfalls zur Druckluftpistole, die in Griffweite hängt, um störenden Staub und Schmutz wegzupusten. Jeder Auftrag ist genau gekennzeichnet und markiert, so dass nichts durcheinander kommen kann. Jan Dittmer hat auch schon komplette Archive von professionellen Fotografen digitalisiert: mit tausenden und abertausenden von Fotos. Eine Arbeit, die sich über viele Monate hinzog.
Beim Scannen von Dias können auf Wunsch Kratzer und Staub vom Computer automatisch ausgebessert werden, was den Vorgang ein wenig länger dauern lässt. Ansonsten bildet Bilderfürst die Vorlagen so original wie möglich ab. Jede Fotogeneration hat ihren Look und ihren Style, was sie zu einem unverwechselbaren Zeitdokument macht. Und an dem mag Jan Dittmer schon aus Prinzip nicht rütteln.
Ein original Filmabtaster vom ZDF tut hier Dienst
Um die Ecke stehen Plattenspieler und Kassettendecks, noch einen Raum weiter rattern die Super8-Projektoren. Aus den analogen 18 Bildern pro Sekunde rechnet der Computer hier 50 pro Sekunde, damit sie am Computer abgespielt werden können. Auch die nächstgrößeren Filmformate – 16 und 35 Millimeter – kann Bilderfürst digitalisieren, doch letzteres passiert selten. Das Gerät, das dann im Einsatz ist, ist dennoch ein Hingucker: Ein alter, original Filmabtaster vom ZDF, auf dem in den 70er und 80er Jahren Kinofilme im TV gezeigt wurden. »Auf dem wurden in meiner Kindheit die Winnetou-Filmrollen live ins Fernsehen eingespielt«, schwärmt Jan Dittmer. Wie kommt man an so ein Unikat? Der Chef lächelt und schweigt.
Der Rundgang endet in der Versandabteilung. Von hier gehen das originale Trägermedium (Fotos, Dias, Filmspule Videokassette oder was auch immer) und der USB-Stick (auf Wunsch auch eine DVD), auf dem sich die frisch erstellte digitale Kopie gespeichert findet, auf Reise zurück zum Absender. Bei Bilderfürst wird nur überspielt – nicht archiviert. Vom Auftrag bleibt nichts in der Zentrale in Zirndorf zurück.
Ein Herz für alte Technik
Zwar verdient Jan Dittmer Geld damit, Analoges in Digitales zu verwandeln, doch sein Herz schlägt immer noch für die alte Technik. Seit 2020 betreibt der gelernte Fotograf in Fürth wieder ein Labor, in dem Filme entwickelt werden – weil er mit der Qualität der letzten verbliebenen Großlabors zuletzt nicht mehr zufrieden war. Und ja: Es gibt immer noch Menschen, die mit analogen Fotoapparaten fotografieren, so, wie es auch in jeder Drogerie immer noch Filmdosen zu kaufen gibt. »Bei einem Analogfilm habe ich nur 36 Bilder zu Verfügung, da muss ich mir viel mehr Gedanken machen – und mich beschränken«, nickt der Fachmann, der als Fotograf in beiden Welten unterwegs ist. »Außerdem ist es hinterher immer noch spannend, auf das Ergebnis zu warten.«
Text: Stefan Gnad
Fotos: Kat Pfeiffer