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Wer kümmert sich später mal um meine Kunst?

Herwig Lewandowski vererbt seinen künstlerischen Nachlass einer Hospiz-Einrichtung. Foto: Michael Matejka

Herwig Lewandowski hat sich entschieden. Der 1936 in Stettin geborene und seit 1956 mit seiner Frau in Nürnberg lebende Maler, Plastiker und Radierer wird seinen künstlerischen Besitz einer örtlichen Hospiz-Einrichtung vermachen. Damit bekommen seine etwa 250 Bilder und 50 Plastiken eine neue Bestimmung und tragen dazu bei, der wichtigen Arbeit dieser Institution finanziell unter die Arme zu greifen.

Aber vorher hat er noch einen größten Wunsch: Vielleicht findet sich ja eine Nürnberger Galerie, die einen Querschnitt seines Schaffens zu seinem 85. Geburtstag präsentiert. Schließlich sind seine Werke mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem 2013 mit dem Sonderpreis des Verlegers der Nürnberger Nachrichten, Bruno Schnell.

10.000 kleine Meisterwerke

Auch der Sammler Manfred Baumüller macht sich Gedanken. Seit 1990 haben es ihm die Exlibris angetan: Kleine Meisterwerke, in Büchern eingeklebt dienen sie zur Kennzeichnung des Eigentümers. Geschätzt 10.000 Exemplare haben er und seine Frau zusammengetragen. In 45 Leitz-Ordnern findet man die Bilder, entstanden aus den unterschiedlichsten Techniken verschiedenster Künstler, sorgfältig aufgezogen auf Tonpapier, geschützt in Klarsichthüllen. Auch er hat natürlich nachgedacht, was aus seinem Nachlass einmal werden soll. »Das ist nicht einfach«, so Baumüller. Er hofft, dass sein Sohn die Sammlung übernimmt. Ansonsten könne er sich auch eine Schenkung an interessierte Museen oder den Verkauf durch spezielle Aktionshäuser vorstellen.

»Aber noch freue ich mich tagtäglich an meiner Sammlung. Es hängen viele schöne Erinnerungen und Begegnungen daran.« Natürlich würde er sich auch freuen, wenn man seine Sammlung präsentiert. Zum Beispiel jüdische Exlibris im Fürther Jüdischen Museum. 

Mit Lebenswerken muss man sorgfältig umgehen

Andrea Dippel, Leiterin der Kunstvilla mit dem Nachlass von Franz Vornberger. Sie berät viele Angehörige von Kunstschaffenden. Foto: Michael Matejka

Künstler- und Sammlernachlässe – wie geht man damit um, was kann man tun, damit das Lebenswerk erhalten bleibt, die Erben sich nicht von Auktionshändlern über den Tisch gezogen fühlen? Schließlich ist Kunst keine gewöhnliche Ware, sie ist Ausdruck persönlichen Schaffens. Ein Lebenswerk, mit dem man sorgfältig umgehen sollte. ­Andrea Dippel, die Leiterin der Nürnberger Kunstvilla, hat sich daher umfassende Gedanken gemacht. Schließlich stellen Künstlernachlässe ein wichtiges Element ihrer Arbeit dar. Aufgabe der Kunstvilla ist es, die Kunstgeschichte Nürnbergs seit 1900 aufzuschreiben, das Leben und Schaffen von Künstlerinnen und Künstlern zu rekonstruieren und eine Neueinordnung der zumeist in Vergessenheit geratenen Kunstschaffenden vorzunehmen. 

So verwahrt die Kunstvilla zum Beispiel den insgesamt 2.227 Werke umfassenden künstlerischen Nachlass des 2008 verstorbenen Nürnberger Kulturpreisträgers Toni Burghart. Mittlerweile kam man im Haus an der Blumenstraße mit über 100 Nachlässen in Kontakt. Sie müssen gesichtet, gegebenenfalls inventarisiert oder an andere Institutionen, wie zum Beispiel das Stadtarchiv, weitergeleitet werden. 

Dort hat man zwar keine offiziellen Vorgaben hinsichtlich der Archivwürdigkeit eines bildenden Künstlers, aber ein grundsätzliches Interesse an bestimmten Nachlässen, besonders wenn es sich um Schriftgut – also den künstlerischen und schriftlichen Nachlass in seiner Gesamtheit – handelt. 

Fürther Stadtarchiv wählt aus

Für den Leiter des Fürther Stadtarchivs, Martin Schramm, sind es besonders Fürther Motive und/oder Künstler, die archiviert werden. Auch Preisträger der Stadt können gesammelt werden, wobei bei Ankäufen das Budget entscheidenden Einfluss nimmt. »Ich achte darauf, dass wir von einem Künstler, insbesondere, wenn er nicht so anerkannt ist, nicht unendlich viele Werke ankaufen. Schenkungen nehmen wir in der Regel an«, so Schramm. 

Auch in der Nürnberger Kunstvilla hat man sich Gedanken gemacht, welcher Nachlass ins Depot aufgenommen wird. Was im Moment aber gar nicht möglich ist, denn es gibt keine Depotkapazitäten mehr. Und so werden zwar nach wie vor Nachlässe gesichtet und Schlüsselwerke ausgewählt, und eventuell eine Übernahmezusage gemacht, aber tatsächlich landen die künstlerischen Werke erst im Depot, wenn Platz ist. 

Natürlich, so Dippel, ist es von Vorteil, wenn ein Nachlass bereits gesichtet, geordnet, fotografisch dokumentiert und archiviert wurde. Das erhöhe die Chancen auf eine Übernahme immens. Deshalb hat die Kunstvilla in den letzten Jahren auch eine Beratungsfunktion für Angehörige übernommen und dazu auch eine Handreichung entwickelt. Dabei wird die Authentizität und Qualität des künstlerischen Nachlasses beurteilt, die Stellung des Künstlers in der Kunstgeschichte, sein Bekanntheitsgrad überprüft. Es wird auch recherchiert, welche Erlöse seine Werke auf dem Markt erzielten und wie gut der Erhaltungszustand der Kunstwerke aus dem Nachlass ist. 

Bis zu 100 Anfragen im Jahr

Übrigens stammen in der Sammlung der Kunstvilla lediglich zehn Prozent aller Werke von Künstlerinnen. Von den annähernd 100 Nachlass-Anfragen, die die Kunstvilla seit dem Jahr 2011 erreichten, betraf ein verschwindend geringer Anteil das Schaffen von Frauen. Und so ist es ein Herzenswunsch von Andrea Dippel: »Nachlässe von Künstlerinnen dürfen nicht der Nachlässigkeit anheim fallen.«

Das unterstützt auch der 2017 gegründete Bundesverband für Künstlernachlässe (BKN). Dieser Dachverband agiert für regionale Institutionen, Vereine und Stiftungen, die Nachlässe bildender Künstler erfassen, erforschen, vermitteln und/oder sammeln und auf diese Weise zur Bewahrung des kulturellen Erbes beitragen. Es ist Zeit geworden, daraus ein überregionales Thema zu machen. Schließlich wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts in Weimar das erste Literaturarchiv gegründet. Die bildenden Künste sind bisher etwas zu kurz gekommen. Dank solcher Institutionen wie der Kunstvilla darf man hoffen, dass Künstlernachlässe künftig vermehrt in professionelle Hände gelangen. 

Bleibt zu wünschen, dass auch das Problem der vollen Depots bald gelöst wird, Herwig Lewandowski seine Geburtstagsausstellung bekommt und Manfred Baumüller noch lange in seinen Erinnerungen schwelgen kann.

Text: Karin Jungkunz
Fotos: Michael Matejka

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