Der Johannisfriedhof ist für viele Nürnberger der schönste Ort in ihrer Stadt. Manche nennen ihn Rosengarten. Denn viele Gräber werden von hohen Rosenstöcken überschattet. Er ist ein Platz der Kunst. Denn viele Epitaphien, welche die Gräber schmücken, sind höchst künstlerisch gestaltet. Viele plastische Figuren, die an den Steinen trauern, sind von ästhetischem Wert. Außerdem ist der Friedhof in den letzten Jahren zur Galerie temporärer Kunstaktionen geworden. Und zuletzt versammelt er die Gebeine zahlreicher Prominenter, die historische Spuren in der Noris hinterlassen haben – von Albrecht Dürer und Willibald Pirckheimer über Ludwig und seinen Neffen Anselm Feuerbach bis hin zum Musiker und Maler Kevin Coyne. In solcher Umgebung möchte man begraben sein.
Jeder kann dort begraben werden
Und man kann dort begraben werden. Das wissen viele gar nicht. Sie halten den Johannisfriedhof für ein geschütztes Denkmal – was er auch ist. Dennoch können Gräber gemäß geltender Vorschriften auf Zeit erworben werden. Urnenbeisetzungen sind auch auf dem historischen Ostteil des Friedhofs möglich. Die Urne wird seitlich unter die bestehende Grabplatte geführt und kommt in ca. 65 cm Tiefe zum Liegen. Wer heute über den Johannisfriedhof spaziert, entdeckt an vielen Grabstellen kleine Zettel, die dafür werben, dass man sich hier einmieten kann, wenn man nicht mehr in irdischen Gefilden wohnt. Man muss es sich halt gefallen lassen, dass sich eine Touristengruppe um die letzte Ruhestatt versammelt und ein Stadtführer oder eine Stadtführerin von bedeutenden Nachbarn unter anderen Steinplatten erzählt.
Beratung im Steinschreiberhaus
Wer sich über das tatsächliche Angebot an freien Grabstellen auf dem Johannisfriedhof informieren will, muss Elfi Heider im sogenannten Steinschreiberhaus an der Johannisstraße besuchen. Die studierte Sinologin leitet seit 2016 die Evangelisch-lutherische Friedhofsverwaltung St. Johannis und St. Rochus. Nürnbergs zweiter historischer Friedhof südlich der Pegnitz und östlich des Plärrers ist ihr also auch unterstellt. Doch wir konzentrieren uns auf den Kirchhof im Stadtteil St. Johannis, der einst zusammengewachsen ist aus dem außerhalb der Stadtmauern angelegten Siechkobel mit seinen Verstorbenen, den Grablegungen einer dort ansässigen Bauernfamilie und den Auslagerungen der Pesttoten aus der Innenstadt.
Der Friedhof erzählt eine lange Geschichte des Todes. Er erzählt von den Umgangsformen mit den Verstorbenen und von der Ordnung, die man in der Stadt für ihre letzte Ruhe fand. Nur liegende Steine wurden zunächst zugelassen. Ihre Abstände, ihre Ausrichtung von Osten nach Westen, ihre in den Fels gravierte Nummerierung nach Neuzugängen wurden von der Zunft der Steinschreiber überwacht. Deswegen heißt das Verwaltungsgebäude heute noch Steinschreiberhaus.
Hier herrscht strenger Denkmalschutz
Elfi Heider kennt die Bedingungen, unter denen man sich auf dem Johannisfriedhof bestatten lassen darf. Denn an Regeln muss man sich – wie übrigens auf jedem Friedhof – halten. Zumal auch die Stadtverwaltung ein wachsames Auge auf das Territorium hat. Sie sorgt dafür, dass die Regeln des Denkmalschutzes eingehalten werden. Wer also mit seiner Urne hineinschlüpfen will unter einen der Steine, die mit einem historisch wertvollen Epitaph geschmückt sind, darf dieses keinesfalls entfernen und auf sich selbst nur mit einer zusätzlichen Bronzeplatte neben dem überlieferten Schmuck aufmerksam machen. Die wird entfernt, wenn seine Grabmiete abgelaufen und er umgebettet ist.
Patrizier und reiche Handwerker
Die wunderbaren Epitaphien, die ganze Stammesgeschichten berichten oder die Jenseitsvorstellungen vergangener Zeiten bezeugen, sind ja die Besonderheit des Johannisfriedhofs. Sie sind viel prachtvoller (und durchaus begehrte Objekte von Kunsträubern) als jene auf dem Rochusfriedhof. Denn der nahm vor allem die Bewohner der Lorenzer Altstadt auf, während Johannis für den Sebalder Teil zuständig war. Nördlich der Pegnitz aber wohnten viele Patrizier und reiche Handwerker, die sich kostbaren Grabschmuck leisten konnten und wollten. Mit originellen Inschriften und modern gestalteten Platten kann man ihnen als Neuzugang durchaus interessante Aspekte entgegengensetzen.
Ein Grabplatz im moderneren südwestlichen Areal des Johannisfriedhofs, wo die Auflagen des Denkmalschutzes nicht so streng sind, kostet laut Frau Heider 70 Euro im Jahr. Man muss sich dann aber eventuell noch mit Steingebühren herumschlagen, die in drei Kategorien anfallen können – je nach den Verwitterungen des Ursprungssteins, der bei einer neuen Belegung des Grabes aufbereitet wird. Diese Gebühren können zwischen 500 und 1250 Euro liegen. Interessenten werden im Steinschreiberhaus aufgeklärt – auch über die Bedingungen und Kosten des gewünschten Bestattungsrituals.
Ein Platz neben dem Lokführer der ersten Eisenbahn
Im Westen des Friedhofs, wo zum Beispiel William Wilson, der Lokführer der ersten Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth, begraben liegt, existieren meist Doppelgräber – in die Tiefe gestaffelt. Dort trifft man auch die Statuen der Musen, Genien, Engel, die über die Gräber gebeugt sind, an ihnen ruhen oder schon ins himmlische Jenseits weisen. Sie stammen meist vom Ende des 19. Jahrhunderts, als solcher Grabschmuck Mode war.
Man nannte diese Epoche Fin de Siècle. Es war eine seltsame Zeit, in der die Kunst versuchte, das Morbide und das Schöne in Einklang zu bringen. Der französische Autor Victor Hugo schrieb: »Tod und Schönheit sind zwei hohe Dinge, die gleich viel Schatten und Licht enthalten, so dass man sie für zwei Schwestern halten könnte, gleich schrecklich und fruchtbar, erfüllt von demselben Rätsel und demselben Geheimnis.«
Engel und ätherischen Wesen
An dieser Jahrhundertwende kamen die figuralen Grabplastiken auf. Man ließ Skulpturen aufstellen – nicht von den Verstorbenen, wie wir das von den Sarkophagen der Antike genau so kennen wie von den Aristokratengräbern aus Mittelalter und Renaissance. Vielmehr von symbolischen Figuren: von Engeln und ätherischen Wesen. Manche sind so traurig, dass sie die leibliche Trauer der Angehörigen bis jetzt – über 100 Jahre lang – weit übertreffen. Und viele sind von diesem erotischen Todesreiz, von dem die Epoche voll war. Zarte Brüste zeichnen sich unter metallenem oder steinernem Faltenwurf ab. Grazile Körper erzählen von der engen Beziehung, die Eros und Thanatos stets eingegangen sind: Liebe und Tod. Schon die alten Griechen haben darüber nachgedacht.
In Nürnberg birgt der Johannisfriedhof den größten Schatz an solchen Trauer-Statuen. Unter ihrem verschatteten Blick kann man Urnengräber erwerben, wenn man mag. Die Geschichte der Stadt in ihren bedeutenden Personen, die Symboldarstellungen des Todes und die Kraft der Natur in den alljährlich aufbrechenden Rosen: der Johannisfriedhof fasst all diese Aspekte von Sein und Nichtsein zusammen. Ein guter Ort, um zu verwehen oder zu zerfallen. Und um zu gedenken.
Text: Herbert Heinzelmann
Fotos: Kat Pfeiffer