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Jeder dritte Infarkt bleibt unbemerkt

Rund 240.000 Menschen erleiden in Deutschland jedes Jahr einen Herzinfarkt. Experten gehen davon aus, dass etwa jeder dritte Herzinfarkt ein so genannter stummer Infarkt ist und unbemerkt bleibt. Das Magazin sechs+sechzig sprach mit Prof. Dr. Heinrich Worth darüber.

Heinrich Worth

Aussetzer beim Atmen können zum Infarkt führen, weiß Herzspezialist Heinrich Worth. Foto: Cindric

Interview mit dem Herzspezialist Heinrich Worth, ehemaliger Ärztlicher Direktor des Fürther Klinikums und Chefarzt für Herz- und Lungenkrankheiten.

sechs + sechzig: Was passiert bei einem »stummen Infarkt«?
Worth: Wie eben das Wort verrät, ereignet er sich unbemerkt. Beim typisch verlaufenden Herzinfarkt verspürt der Mensch stechende Brustschmerzen, bei einem »stummen« werden sie nicht wahrgenommen. Nun kommt es darauf an: Wird die betroffene Person bei Verdacht auf einen Herzinfarkt umgehend ins Krankenhaus eingeliefert, kann durch den Einsatz eines Herzkatheters mit Ballondilatation und Stent schnell reagiert und die Muskulatur des infarzierten Herzmuskels erhalten werden. Dauert es länger, bis der Infarkt entdeckt wird, kann es passieren, dass die Vorder- oder Hinterwand der linken Herzkammer in der Funktion bleibend geschädigt wird.
Warum dauert es bei manchen länger, bis der Infarkt entdeckt wird?
Vor allem Diabetiker, deren Nervenzellen schneller absterben als die anderer Menschen, sind aufgrund ihrer Gene anfällig für einen stummen Infarkt. Sie verspüren keine Schmerzen in der Brust. Dass etwas mit ihnen nicht stimmt, äußert sich durch Schwächegefühl, Schwindel, Luftnot oder Ohnmacht. Ein Beispiel: Jemand hat im Januar einen stummen Infarkt, merkt es nicht und lebt mit den Rhythmusstörungen vorerst weiter. Schließlich geht dieser Mensch im März zum Kardiologen – der Grund könnte sein, dass er beim Treppensteigen immer weniger Luft bekommt. Zu seiner Überraschung stellt der Arzt am Bildschirm fest, dass ein Teil des Herzens wegen des stummen Infarkts bereits vernarbt ist. Der Betreffende wird ins Krankenhaus eingewiesen, wo darüber entschieden wird, ihm einen Katheter oder Herzschrittmacher einzusetzen.
Kann auch Schlafapnoe zum »stummen« Herzinfarkt führen?
Die Schlafapnoe ist eine Erkrankung, bei der Menschen Atemaussetzer im Schlaf erleiden. Man schätzt, dass rund zwei bis vier Prozent der Bevölkerung zwischen 30 und 60 Jahren davon betroffen sind, vor allem Übergewichtige. Durch die ausbleibende Atmung sinkt der Sauerstoffgehalt im Blut, es kommt zu einer Mangelversorgung des Gewebes. Folglich startet der Körper eine Weckreaktion. Er aktiviert abrupt die Atemmuskeln von Zwerchfell und Brustkorb, auch das Herz erhöht seine Leistung, der Blutdruck steigt. Aufgrund des steigenden Blutdrucks und verminderter Sauerstoffsättigung kann bei Patienten mit Schlafapnoe
leichter ein Herzinfarkt auftreten. Die Atemstillstände können zehn Sekunden bis zwei Minuten dauern und bis zu 100 Mal pro Nacht auftreten. Der Betroffene kann sich am nächsten Morgen meist nicht mehr erinnern, dass er nachts wegen Sauerstoffmangels aufgewacht ist. Um die Erkrankung zu bekämpfen, ist eine Reduzierung des Gewichts hilfreich. Aber wer kriegt das schon hin, mehr als zehn Kilo abzunehmen?
Was ist zu empfehlen, wenn Atemstillstände auftreten?
Der Gang zum Hals-Nasen-Ohren-Arzt ist ratsam. Es gibt nicht »den einen« Schlafapnoe-Test, sondern es werden verschiedene Verfahren zur Diagnose eingesetzt. Manchmal ist ein Gang ins Schlaflabor unumgänglich: Mediziner analysieren dort das Schlafverhalten, die Atmung und weitere Faktoren. In der Regel dauert der Aufenthalt im Schlaflabor ein bis zwei Nächte. Oftmals wird das Tragen einer Schlafmaske empfohlen. Über sie kann man durch Beatmung mit positivem Druck die Schlund-Enge beseitigen und den Organismus mit Sauerstoff versorgen.
Bewegung kann sicher nicht schaden …?
Sport ist selbstverständlich wichtig. Ich rate, sich mindestens drei- bis fünfmal pro Woche eine Stunde zu bewegen. Ob das Schwimmen, Spazierengehen, Joggen oder Radfahren ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Jedenfalls sollte man in der U-Bahn nicht die Rollbahnen benutzen, sondern die Treppen hochsteigen.

Kommt es auch vor, dass sich nach einem Infarkt im Herzen wieder neue Adern bilden?
Insbesondere bei einer über längere Zeit verlaufenden Einengung des zum Infarkt führenden Herzkranzgefäßes bilden sich häufig Gefäßverbindungen, die, wie im Straßenverkehr bei einer Umleitung, das Blut an der Engstelle vorbei zum Herzmuskel leiten.
Sie sind Ende 2014  in den Ruhestand gegangen. Treiben Sie selbst Sport?
Ich versuche, viel in Bewegung zu bleiben. Ins Fitnesscenter gehe ich nicht, ich muss nicht aussehen wie Tarzan (lacht). Ich kümmere mich um meine große Familie, bin aber auch weiterhin ärztlich tätig.
Horst Mayer ; Foto: Mile Cindric

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