Der Fall ist nicht ungewöhnlich: Von einem Tag auf den anderen erkrankt die 80-jährige Mutter schwer und braucht Pflege. Und plötzlich sehen sich die berufstätige Tochter oder der berufstätige Sohn vor zunächst unlösbar scheinende Probleme gestellt. Wie können sie Beruf und Pflege unter einen Hut bringen? Wo bekommen sie Auskunft und Hilfe? Wie sieht die rechtliche Lage aus? Diese Probleme stehen im Mittelpunkt einer Gesprächsrunde auf der Nürnberger Messe »Inviva« am 21. Februar. Wir haben vorab zwei Podiums-Teilnehmerinnen befragt.
von Herbert Fuehr
Manche große Unternehmen in der Region wie Siemens oder Novartis, aber auch die Sparkasse und die Stadt Nürnberg haben von sich aus schon für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spezielle Programme zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ausgearbeitet. Zudem gibt es in vielen Städten der Metropolregion Pflegestützpunkte. Sie stehen allen pflegenden Angehörigen mit Rat und Tat zur Seite. »Wir kümmern uns um jeden Einzelfall«, sagt Walburga Dietl, die Leiterin des Pflegestützpunkts Nürnberg. »Wie ist die familiäre Situation, welche individuellen Möglichkeiten der Entlastung gibt es?« Beispielsweise muss geklärt werden, ob ambulante oder stationäre Tagespflege infrage kommt, ob und wie ein Pflegebedarf geltend gemacht werden muss und vor allem, welche finanziellen und sonstigen Ansprüche ein Angehöriger hat.
Deshalb steht unter anderem die Beratung über die Gesetzeslage ganz oben. Denn seit dem 1. Januar 2015 gilt neben dem Pflegeleistungsgesetz aus dem Jahr 2008 das novellierte Familienpflegeleistungsgesetz. Es sieht für Mitarbeiter, die Angehörige pflegen, unter anderem Auszeiten von zehn Tagen bis zu zwei Jahren vor, bringt aber einen erhöhten bürokratischen Aufwand mit sich (siehe Extrabeitrag).
Damit beginnt, wenn ein Pflegefall eintritt, gerade in einer ohnehin angespannten Situation für viele Angehörige zunächst einmal ein Hürdenlauf. Und es stellen sich Fragen nach Geld, Unterbringung und Arbeitszeit. Für all diese Fragen sind Pflegestützpunkte da. »Wir leisten selbst keine Pflege«, betont Walburga Dietl, »aber wir können unter anderem erfahrene Unterstützung, wichtige Informationen auch über Patientenverfügungen und Vollmachten sowie die Teilnahme an Pflegekursen vermitteln.«
Heikel sei für viele mitunter auch der Umgang mit Chefs und Behörden. »Manchem Beschäftigten ist es lieber, wenn wir die Formalitäten mit ihrem Arbeitgeber erledigen.« Umgekehrt wenden sich aber auch Firmen Rat suchend an sie und ihr Team. Hauptsächlich handelt es sich um kleine Betriebe mit wenigen Mitarbeitern, für die einzelne Bestimmungen des Gesetzes nicht gelten, die aber dennoch Beschäftigten die Pflege von Angehörigen ermöglichen wollen. Zum Beispiel hilft der Stützpunkt, für die Familienpflegezeit gemeinsam individuelle flexible Arbeitszeitmodelle auszuarbeiten, bei denen genug Zeit für häusliche Pflege bleibt, aber auch die finanziellen Einbußen in dieser Zeit und danach zu verkraften sind.
Sonderurlaub oder Teilzeitarbeit
Pflegestützpunkte arbeiten auch mit größeren Unternehmen zusammen, auch mit solchen, die im Rahmen von »Elder Care«-Programmen schon selbst umfassend auf Pflegesituationen vorbereitet sind. Dietl: »Manche sind so gut, dass sie das neue Gesetz gar nicht gebraucht hätten.«
Zum Beispiel die Sparkasse Nürnberg: »Wir helfen unseren Mitarbeitern in solchen Fällen schnell und unbürokratisch«, erläutert Claudia Sigl, die die Personalbetreuung des Geldinstituts leitet und dabei auch für Elder Care verantwortlich ist. Es gebe viele Möglichkeiten. »Wir können ihnen Sonderurlaub geben, ihnen den Umstieg von Vollzeit auf Teilzeit oder auf einen Arbeitsplatz zu Hause anbieten oder beim Arbeitszeitkonto auf minus gehen.« Das alles geschehe in Absprache mit der zuständigen Abteilung und dem jeweiligen Personalbetreuer. Alle nötigen Formulare, die das Pflegezeitgesetz verlange, könnten nachgereicht werden.
Außerdem bietet die Sparkasse Pflegesprechstunden und in ihrem Intranet den Mitarbeitern umfassende Informationen (ähnlich den Pflegestützpunkten) und sogar eine Notfallmappe an. Für psychische Krisensituationen gibt es eine anonyme Hotline. Sie arbeitet zusätzlich mit dem Servicezentrum »Medizin und Pflege« der Diakonie Mögeldorf zusammen.
inviva-Tipp
Die Gesprächsrunde auf der »Inviva« trägt den Titel »Mitten im Leben oder zwischen allen Stühlen?« Am Samstag, 21. Februar,
um 13.30 Uhr diskutieren im Raum Madrid (NCC West) Walburga Dietl und Claudia Sigl mit Ulrike Mascher, Präsidentin des Sozialverbands VdK, Sabine Schöner vom Hochschulservice für Familien an der Technischen Hochschule Nürnberg, und mit den Zuhörern.
Moderiert wird das Gespräch von Doris Reinecke vom Bündnis für Familie der Stadt Nürnberg.
Hintergrund: Das neue Familienpflegeleistungsgesetz
Am 1. Januar 2015 ist ein novelliertes Familienpflegeleistungsgesetz in Kraft getreten. Pflegende Angehörige haben danach einen Rechtsanspruch auf eine zehntägige Freistellung von der Arbeitspflicht, unabhängig von der Größe des Betriebs, in dem sie arbeiten. In diesen zehn Tagen erhalten sie auf Antrag von der Pflegekasse des Betreuten ein Pflegeunterstützungsgeld als Lohnersatzleistung.
Wer einen nahen Angehörigen in häuslicher Umgebung pflegt und in einem Betrieb mit mehr als 15 Beschäftigten arbeitet, hat zudem einen Rechtsanspruch darauf, bis zu sechs Monate aus dem Beruf auszusteigen und zur Sicherung des Lebensunterhalts ein zinsloses Darlehen zu erhalten. Dieses muss direkt beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) beantragt und nach dem Ende der Pflegezeit in Raten wieder zurückgezahlt werden. Ein solches Darlehen gibt es auch, wenn jemand von seinem Recht Gebrauch macht, einen nahen Angehörigen drei Monate lang in der letzten Lebensphase zu begleiten.
Sind nahe Angehörige länger pflegebedürftig, ist es künftig auch möglich, für die häusliche Pflege bis zu zwei Jahre lang die Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden pro Woche zu reduzieren. Diese Möglichkeit besteht allerdings nur nach Zustimmung des Arbeitgebers und in Betrieben mit mehr als 25 Beschäftigten. Auch in diesen Fällen stellt das BAFzA auf Antrag ein zinsloses Darlehen bereit. Für dessen Rückzahlung in Raten gibt es zusätzlich Härtefallregelungen: Das Bundesamt kann beispielsweise auf Antrag die Rückzahlung des Darlehens stunden, ein Darlehen teilweise erlassen oder die Darlehensschuld ganz löschen.
Bei Sozialverbänden ist die Neuregelung auf ein geteiltes Echo gestoßen. Unter anderem kritisieren sie, dass Pflege zunehmend im privaten Bereich angesiedelt werde und zur Entlastung der Pflegeversicherung weiter vor allem die Bereitschaft der Angehörigen zur unentgeltlichen Fürsorgearbeit herangezogen werde. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht in dem Gesetz einerseits einen großen Fortschritt und lobt, dass es gegen den harten Widerstand der Arbeitgeber durchgesetzt werden konnte. Auf der anderen Seite gebe es keinen Rechtsanspruch auf die zweijährige Pflegezeit, sondern nur eine Selbstverpflichtung der Arbeitgeber, der Auszeit zuzustimmen. Das sei eine Brüskierung der Pflegenden.
Die Arbeitgeber kritisieren den hohen bürokratischen Aufwand für ein ihrer Ansicht nach überflüssiges Gesetz. Zudem würden neue Arbeitszeitmodelle durch die Hintertür eingeführt. Allerdings sehen sie auch Nachteile für Beschäftigte: Unter dem Strich werde ein Angestellter bei 24-monatiger Pflegezeit dank Darlehen und Rückzahlung vier Jahre lang nur 70 Prozent seines vormaligen Gehalts bekommen und unter Umständen während der ganzen Zeit einen Pflegedienst in Anspruch nehmen. Das müsse man sich leisten können.
Weitere Informationen:
www.wege-zur-pflege.de/neu-seit-112015.html
www.lohn-info.de/pflegezeitgesetz.html
www.roedl.de/themen/altersvorsorge/familienpflegezeit-in-der-kritik
www.der-paritaetische.de