Es gibt eine Vielzahl von Problemen, weswegen Menschen die Psychologische Tagesklinik für Ältere am Nürnberger Klinikum aufsuchen, und häufig kommen auch Patienten, die gleich mehrere seelische Leiden aufweisen. Die therapeutische Leiterin der Klinik, Corinne Reichhart, wird zudem sehr oft bei ihren Patienten jenseits der 50 mit dem Thema Trennung und Scheidung konfrontiert. In einem Interview mit dem Magazin sechs+sechzig spricht die Diplompsychologin über die Sehnsucht, auch im Rentenalter eine erfüllte Partnerschaft zu leben.
sechs+sechzig: Sind Scheidungen im Alter ein Tabuthema?
Reichhart: Nein. Wir haben es mit einer modernen Generation zu tun. Ich habe Patienten, deren Eltern sich in den 1960er Jahren scheiden ließen. Das war viel schwieriger, weil es damals noch die Frage gab: Wer hat Schuld? Auf dem Land ist eine Trennung auch heute schwieriger als in der Stadt, da der soziale Druck bei allen Dingen, die man tut, größer ist.
Früher hieß es: »Eine Frau jenseits der 50 schaut kein Mann mehr an. Die bleibt allein.« Zögern deshalb Frauen, den ersten Schritt zur Trennung zu tun?
Es reichen mehr Frauen als Männer die Scheidung ein. In meiner Praxis sind überhaupt nur 20 Prozent männliche Patienten. Männer suchen sich häufiger ein Verhältnis nebenbei. Das ist ihr Weg aus der Ehe. Deswegen nehmen eher Frauen eine Beratung in Anspruch. Verlassen zu werden, ist eine massive persönliche Kränkung, die zu einer Krise führen kann. Gerade ältere Frauen benötigen Hilfe, um damit zurecht zu kommen.
Haben Sie ein konkretes Beispiel für eine typische Patientin im Rentenalter?
Ich habe eine Patientin, die gesagt hat, sie habe eigentlich nie eine gute Ehe geführt. Man habe sich arrangiert. Außerdem besit-zen sie ein Haus. Überhaupt spielt ein eigenes Haus oft eine große Rolle. Man hat gemeinsam gespart und nun soll man es bei einer Trennung verlassen oder verkaufen. Dann hatte der Mann einen Schlaganfall und die Frau merkte, dass sie Zweifel hatte, ob sie ihn pflegen solle. Diesen Mann, der nie für sie da war, der sich auch nicht für die Kinder interessiert hat. Er war zwar fleißig und brachte das Geld nach Hause. Aber es gab keine emotionale Ebene.
Hat sie ihren Mann in dieser Lage verlassen?
Nein, das hat sie nicht. Aber ich konnte sie überzeugen, einen Teil der Pflege abzugeben, unter anderem an einen ambulanten Dienst.
Spielt die Angst vor der Einsamkeit eine große Rolle bei der Frage, sich zu trennen oder zu arrangieren?
Eine Trennung schüttelt auf jeden Fall das ganze Familiengefüge durcheinander. Das betrifft das Verhältnis zu den meist erwachsenen Kindern und zu den Enkeln. Es gibt aber auch Frauen, die kommen aus schlimmen Ehen und wollen da heraus; andere haben noch einen ausgeprägten Partnerwunsch, suchen nach einer neuen Verbindung. Aber die Menschen finden in diesem Alter nicht mehr unbedingt zueinander. Zudem haben manche Angst vor neuen Verletzungen.
Sind das absolute Optimisten, die jenseits der 70 noch auf ihren Traummann oder ihre Traumfrau hoffen?
Man könnte einen solchen Wunsch jenseits der 70 auch kritisch sehen. Ich ermuntere meine Patienten, ihre sozialen Kontakte und Netzwerke zu stärken und auszubauen. Das ist ganz wichtig. Auch zu Freundinnen und Gleichgesinnten. Aber es gibt tatsächlich Paare, die sich erst im Altenheim kennengelernt haben.
An welche Beratungsstellen können sich Senioren mit Trennungsgedanken wenden?
Ich empfehle Älteren in den allermeisten Fällen die niedergelassenen Therapeuten. Das gilt auch, wenn Paare an ihrer Beziehung arbeiten wollen. Dort gibt es zwar leider lange Wartezeiten, aber bei Älteren, die nicht mehr als fünf Gesprächstermine benötigen, sollte es schneller gehen. Allerdings müssen die meisten diese Beratung selber zahlen.
Muss man befürchten, von Therapeuten wegen seines Alters abgewiesen zu werden?
Da hat sich in den letzten Jahren viel getan. Das Alter spielt kaum noch eine Rolle.
Interview: Petra Nossek-Bock
Foto: Michael Matejka