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Kliniken gehen neue Wege bei Diabetes

Der 80-jährige Hermann Krause (Name geändert) hat Diabetis, als er vor wenigen Monaten in die geriatrische Tagesklinik des Klinikums Nürnberg kam. Ralf Cramer-Ebner, Internist und Diabetologe sah, ziemlich schwarz für eine konstruktive Behandlung. Der Diabetes-Patient sei wenig kooperativ hatten ihn seine ärztlichen Kollegen informiert. Cramer-Ebner versuchte es trotzdem. Er ließ Krause an einem neuen Kurs teilnehmen, der strukturierten geriatrischen Schulung (SGS). SGS steht für ein Konzept, das ältere Menschen mit Diabetes besser erreichen soll als bisherige Angebote.

Dr. Ralf Cramer-Ebner und Diabetes-Assistentin Heike Höhme sprechen im Nürnberger Nordklinikum mit Patienten über Ernährung. Foto: Michael Matejka
Dr. Ralf Cramer-Ebner und Diabetes-Assistentin Heike Höhme sprechen im Nürnberger Nordklinikum mit Patienten über Ernährung. Foto: Michael Matejka

Als der 80-jährige Hermann Krause (Name geändert) vor wenigen Monaten in die geriatrische Tagesklinik des Klinikums Nürnberg kam, sah Ralf Cramer-Ebner, Internist und Diabetologe, ziemlich schwarz für eine konstruktive Behandlung. Der Diabetes-Patient sei wenig kooperativ, man könne nicht viel Mitarbeit erwarten, hatten ihn seine ärztlichen Kollegen per Brief über den neuen Fall informiert.
Cramer-Ebner versuchte es trotzdem. Er ließ Krause an einem neuen Kurs teilnehmen, der strukturierten geriatrischen Schulung (SGS). Dabei stellte sich überraschenderweise heraus, dass Herr Krause durchaus bereit war, sein Leben ein klein wenig umzustellen, vor allem seine Ernährung. SGS – das Wortungetüm steht für ein Konzept, das ältere Menschen mit Diabetes besser erreichen soll als bisherige Angebote. Entwickelt hat es die Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Geriatrie der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie.
Schon das Begleitheft zum Kurs zeigt, wie man es den betagten Patienten leichter machen will. Medizinische Details, Fremdwörter – all das ist gestrichen. »Es bringt doch niemandem was, wenn ich über Tumornekrosefaktoren im Blut spreche«, sagt Cramer-Ebner. »Es geht um alltagspraktische Dinge, die Sache soll erfahrbar werden.« Beim Punkt Ernährung, neben Schulung, Bewegung und Medikamenten eine der vier Säulen der Diabetes-Therapie, lässt er seine Teilnehmer aus einem Frühstücksangebot die Dinge heraussuchen, die zu Hause auf den Tisch kommen. »Und dann besprechen wir, was man vielleicht weglassen sollte oder machen Vorschläge. Zum Beispiel, dass man doch mal das weiße Brötchen gegen ein Vollkornbrötchen eintauschen könnte.«
Gerhard Seefried, Leitender Oberarzt der geriatrischen Rehabilitation am Nürnberger Theresienkrankenhaus, hat die SGS bereits vor eineinhalb Jahren zum festen Bestandteil in seiner Abteilung gemacht und bisher mehr als 100 Patienten geschult. Sieben Mal 45 Minuten sind für einen Kurs angesetzt, das Tempo bestimmen aber die Teilnehmer. »Wir können die Dinge hier auch mal etwas langsamer besprechen«, sagt Seefried.
Dass die Geriater die Diabetiker so in den Mittelpunkt stellen, hat seinen Grund. Zum einen nimmt die Zahl der Patienten wegen der steigenden Lebenserwartung ständig zu. »Wir gehen davon aus, dass von den über 80-Jährigen jeder Dritte von Diabetes Typ II, also dem Altersdiabetes, betroffen oder zumindest bedroht ist«, sagt Seefried. Zum anderen ist es die Erkrankung mit den meisten Folgeschäden für den Patienten. Diese Folgeschäden wiederum mindern Lebensqualität und Unabhängigkeit – gerade das, was alten Menschen wichtig ist. Ziel der Schulung ist es somit auch, die Tücken der schmerzlosen Krankheit offen zu legen. »Ein schlecht eingestellter Zucker schädigt unter anderem die Nerven«, nennt Seefried ein Beispiel. Die Patienten spüren Verletzungen und Druckstellen, vor allem an den Füßen, nicht mehr. Durchblutungsstörungen, ebenfalls eine Folge des Diabetes, lassen die Wunden schlechter heilen, die Infektionsgefahr steigt. Dieser berühmte diabetische Fuß wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit für Bewegungsstörungen und Stürze. Ist im schlimmsten Fall eine Amputation notwendig, ist die Mobilität auf Dauer drastisch eingeschränkt. Auch Inkontinenz, Sehstörungen und Gedächtnisstörungen sowie Herzinfarkt und Schlaganfall drohen den Zuckerkranken.
Auf radikale Änderungen im Lebenswandel pochen die Ärzte dennoch nicht, sie kennen ihr Klientel. »Wer sich 70 Jahre nach einem bestimmten Schema ernährt hat, der stellt das nicht mehr komplett um«, weiß Mediziner Seefried. Zu strenge Richtlinien oder gar Verbote hält er gerade beim Thema Essen, das für viele ältere Menschen von enormer Bedeutung ist, für unsinnig. »Wenn wir den Menschen Optionen offen halten, sind sie eher bereit, mal eine Veränderung zu probieren. Wenn ich sage: ›Essen Sie doch einmal die Woche ein Stück Torte, aber vielleicht nicht mehr jeden Tag‹, dann funktioniert das besser, als wenn ich sage: ›Torte müssen Sie aber streichen.‹«
Auch die körperlichen und mentalen Einschränkungen der älteren Diabetiker sind ein Thema im Kurs, schließlich richtet sich danach auch die Therapie. Wer mit schlechten Augen, zittrigen Hände oder gar Verwirrtheit zu kämpfen hat, für den ist die regelmäßige Blutzuckermessung oder gar das Setzen einer richtig dosierten Insulinspritze nicht zu schaffen. In solchen Fällen versuche man eben, den Blutzucker zunächst mit Tabletten unter Kontrolle zu halten, sagt Seefried. Auch wenn dies unter Umständen nicht die medizinisch beste Therapie ist: Für Arzt und Patient ist sie in der Gesamtschau der Umstände aber häufig die alltagstauglichste Variante.
Wenn Internist Cramer-Ebner in seinem Kurs Zweifel hat, ob ein Patient den Umgang mit Insulin noch zuverlässig beherrschen kann, lässt er ihn Geld aus einer Geldbörse nehmen und zählen – eine überraschende, aber gängige Arbeitstechnik der Geriater. »Wer 9,80 Euro nicht mehr sicher herausnehmen und abzählen kann, der kommt auch mit dem Insulin-Pen nicht mehr zurecht«, erklärt der 45-Jährige. Die Atmosphäre in den Schulungen ist entspannt, im Dialog kommen viele Dinge zur Sprache, für die beim normalen Arztbesuch keine Zeit bleibt oder die Scheu zu groß ist. So auch im Fall des 80-jährigen Hermann Krause.
Der war keineswegs so unkooperativ, wie man Mediziner Cramer-Ebner am Nürnberger Klinikum zuvor gewarnt hatte. Was zunächst nach Verweigerung in Sachen gesunder Lebensführung ausgesehen hatte, war schlicht biographisch bedingt. »In seiner Ehe durfte der Mann so gut wie nicht in die Küche und hat deshalb auch nie kochen und den Umgang mit Lebensmitteln gelernt«, erfuhr Cramer-Ebner im Kurs. »Nach dem Tod seiner Frau war er deshalb hilflos.« Cramer-Ebner beriet ihn, welche Produkte seine Ernährungssituation trotzdem verbessern können, und Hermann Krause nahm die Tipps dankbar an. Für den Arzt ein Riesenerfolg. »Wir wollen die Ressourcen der alten Menschen mit diesen Schulungen nutzen«, sagt Cramer-Ebner. »Das macht doch auch viel mehr Spaß, als immer nur aufs Negative zu schauen.«
Christine Thurner
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Weitere Information
An den Schulungen können Patienten teilnehmen, die stationär in der geriatrischen Reha des Nürnberger Theresienkrankenhauses (Tel. 0911/56 99-252), in der Tagesklinik des Klinikums Nürnberg (Tel. 0911/398-3420) oder stationär in einer anderen Abteilung der beiden Krankenhäuser aufgenommen sind. Jüngere und mobile Patienten finden Schulungsangebote außerdem bei qualifizierten Hausärzten und niedergelassenen Diabetologen.

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