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Vom Verschwindender Seniorenteller

In der »Fischküche Pirckheimer« in der Nürnberger Nordstadt wurde der Begriff vor ungefähr zehn Jahren von der Speisekarte genommen. Jetzt ist er auch aus dem Duden verschwunden. Dort findet sich noch der Kinderteller. Doch zwischen den ganzen Anhängseln an das Wort »Senioren« ist der Seniorenteller nicht mehr zu entdecken.

Ältere Gäste bestellen oft ganze Portionen und lassen was übrigbleibt einpacken. Foto: Mile Cindric
Ältere Gäste bestellen oft ganze Portionen und lassen was übrigbleibt einpacken. Foto: Mile Cindric

In der »Fischküche Pirckheimer« in der Nürnberger Nordstadt wurde der Begriff vor ungefähr zehn Jahren von der Speisekarte genommen. Jetzt ist er auch aus dem Duden verschwunden. Dort findet sich noch der Kinderteller. Doch zwischen den ganzen Anhängseln an das Wort »Senioren« ist der Seniorenteller nicht mehr zu entdecken.
Ob das etwas damit zu tun, dass das Wort »Senioren« selbst in öffentliche Ungnade gefallen ist? Wer veranstaltet nicht alles Eiertänze um die Bezeichnung für Menschen, die älter oder alt sind. Wer nicht Senior heißen will, greift selbstverständlich auch nicht zum Seniorenteller. Wäre denn »Best-Ager-Platte« besser? Es sind aber wohl andere Entwicklungen, die zum Verdunsten des Phänomens Seniorenteller führen.
Was sollte dieses Phänomen denn überhaupt bedeuten und bewirken? Zwei Wurzeln liegen ihm zugrunde. Da ist einmal die Annahme, dass alte Menschen nicht mehr so viel verzehren. Und dazu kam gewiss die Überlegung, dass kleine Portionen mit kleinen Preisen zu entgelten sind. Und dass die Geldbeutel der Rentner nicht gar so groß seien. »Ich bin ja nur ein kleiner Rentner«, war ein gängiger Spruch. Wenn man die Rentenstatistik liest, ist er heute noch in vielen Fällen angemessen. Es gibt Leute, die das nicht akzeptieren mit den kleinen Portionen. Zu ihnen gehört Wolfram Siebeck: Ess-Papst, Kulinar-Autorität, Küchenschreiber für »Stern« und »Zeit«. Er ist gerade achtzig Jahre alt geworden. Vor zwei Jahren hat er einen Artikel über Seniorenteller geschrieben. Es sollte wohl eine Glosse sein, die den Begriff zurückweist. Aber die ist ihm ziemlich misslungen. Er hält die Auffassung, Senioren hätten keinen Hunger mehr, für veraltet und empört sich: »Wir wollen volle Schüsseln und Töpfe! Und wenn es uns zu viel ist, lassen wir das Überflüssige auf dem Teller zurück. Die Wirte sollten dankbar sein.«
Mit Ende siebzig mag man so empfinden. Merkwürdig, dass nicht einmal Intellektuelle in diesem Alter ein paar Jährchen weiter zu denken wagen. Denn mit Ende achtzig ist der Appetit dann meist viel bescheidener geworden. Da ist ein Erlebnis wie neulich in der Nürnberger Gaststätte »Zum Beckschlager« erfreulich. Der alte Mann, Anfang neunzig, bestellt sich Leber. Der Wirt sagt: »Das ist viel. Soll ich Ihnen eine halbe Portion bringen?« Der alte Mann freut sich. Er hat Mühe, diese »Seniorenportion« zu bezwingen.
In diese Richtung haben inzwischen viele Restaurants umgeschaltet. Sie akzeptieren die Anfrage des Gastes nach kleinen oder halben Portionen. Die muss nicht unbedingt von einem älteren Menschen kommen. Man muss sich aber trauen, mit dem Service zu sprechen. Und man sollte keine halbe Portion Haxe oder Schäuferle verlangen. Denn Waden oder Schulterblätter von Schweinen sind nun einmal nicht klein zu kriegen. Bei Schweinebraten sieht das ganz anders aus.
Wir haben in ein paar Nürnberger Innenstadt-Lokalen nachgefragt. Keines hat mehr den Seniorenteller auf der Karte. Aber alle offerieren auf Anfrage eine kleine Portion. Im »Barfüßer« kostet sie den halben Preis plus ein Euro. Im »Andechser« den Normalpreis minus 1.50 Euro. Die Service-Kraft im »Pillhofer« kennt sich mit den Halb-Preisen nicht aus, sagt aber, es gäbe an der Computerkasse eine Extra-Taste, die dann die Ermäßigung ausdruckt. Ein Frage-Versuch in der System-Gastronomie, dem Steakhaus »Maredo«, endet mit Irritation und Unwilligkeit. Offensichtlich passt die Zumutung, über Senioren nachzudenken, nicht ins System.
Bei der (willkürlichen) Umfrage bekennt nur ein einziges Traditions-Gasthaus die Anwesenheit des Seniorentellers auf der Speisekarte. Das ist der »Petzengarten« in der Südstadt. Dort sind sie noch offiziell verzeichnet: der halbe Schweinebraten, das kleine Schnitzel mit Kartoffelsalat oder das Mini-Goldbarschfilet mit demselben. Und der Teller wird nachgefragt, berichtet die Betriebsleitung. Genau wie die Vertreter aller anderen Lokale bestätigen, dass ihre Gäste ganz schamlos auf die kleinen Portionen zurückgreifen. Also bitte keine Senioren-Scheu davor!
Trotzdem dürfte noch ein anderer Umstand zum Verschwinden des Phänomens Seniorenteller beitragen. Viele Ältere waren inzwischen draußen in der Welt. Und wenn sie zum Beispiel in einem gehobenen Restaurant in den USA erlebt haben, wie Gäste ganz selbstverständlich ihr »Doggie Bag« zückten, um nicht verzehrte Speisen einzupacken und mit heim zu nehmen, dann werden sie sich in der fränkischen Wirtschaft erst recht nicht verkrampfen müssen, um die Bedienung aufzufordern: »Frollein, baggen’s mir doch biddschön den Resdd in aane Allufollie!« Wir mutieren zum Volk von Mitnehmern. Nein, Herr Siebeck, wir müssen keine Reste auf den Tellern lassen für den Müll!
»Mit Kaffeefahrten, Seniorenrabatten und -tellern kommen die Reiseveranstalter künftig nicht mehr weit«, hat kürzlich der Vertreter einer Bundesbehörde vor Tourismusveranstaltern gesagt. Er verwies auf die selbstbewusste Rentnergeneration, die künftig den Reise-Markt dominieren wird. Dabei hätte er den Seniorenteller nicht diskriminieren müssen. Auch wenn er aus dem Sprachgebrauch zu schwinden beginnt, existiert er virtuell weiter. Wir sollten uns nicht zu gut dafür sein, ihn bei Bedarf nachzufragen.

Herbert Heinzelmann

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