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Alpakas Carlos und Little Joe bewirken Wunder

»Erster Stock, bitte.« Die Alpakas fahren sogar mit dem Aufzug.

Tänzelnd und ohne zu zögern springen Carlos und Little Joe aus dem Transporter und marschieren – geführt von ihrem Besitzer – auf den Eingang des Awo-Pflegeheims in Cadolzburg zu. In dem Haus laufen die Alpakas durch die Gänge und blicken sich interessiert um. Sie sind auf dem Weg zur Cafeteria, wo sie von Bewohnerinnen und Bewohnern schon erwartet werden. 

Alpakas sind in der Einrichtung regelmäßig zu Besuch. Sie sollen für Abwechslung und Freude sorgen. Markus Enßner vom Aurachtal-Alpakahof aus Neuendettelsau hat einen großen Eimer Kraftfutter dabei, den er an die betagten Frauen und Männer weiterreicht. Carlos und Little Joe fressen den Anwesenden buchstäblich aus der Hand.

»Wie schön, dass ihr wieder da seid, ich habe mich schon auf euch gefreut«, sagt Margarete Conrad, als Little Joe die Futterpellets vorsichtig mit seinen fein behaarten Lippen aus ihrer hohlen Hand aufnimmt. Die fast 90-Jährige lacht und verlangt gleich noch einen Nachschlag für den jungen Alpakahengst. »Ich liebe Tiere und hatte früher einen Rauhaardackel«, erzählt die Seniorin. Die Hundedame habe sie Susi genannt, aber in der Ahnentafel des Züchters war – ganz vornehm – »Baschka von den Wasserrädern« eingetragen.

Senioren blühen bei dem tierischen Besuch auf

»Mit den Alpakas werden schöne Erinnerungen wach«, sagt der Vorsitzende der Bewohnervertretung, Ulrich Jaeger. Viele mögen Tiere oder hatten, wie Margarethe Conrad, selbst einmal welche. »Für die Menschen, die hier leben, sind das echte Glücksmomente«, betont er. Es sei eine wahre Freude zu beobachten, wie die Senioren bei dem tierischen Besuch aufblühen.

Das Awo-Heim hat schon vor Jahren gute Erfahrungen mit Therapiehunden gemacht. Das ließ die Idee entstehen, die aus Südamerika stammenden, aber in den letzten Jahren auch in unseren Breiten gehaltenen Alpakas ins Seniorenheim zu holen.

Sie eignen sich durch ihr gelassenes Wesen sehr gut für therapeutische Besuche. Die Alpakas kommen den Senioren nicht von sich aus zu nahe, lassen den Kontakt aber gerne zu.

»Die Ruhe und Ausgeglichenheit dieser menschenfreundlichen Tiere überträgt sich auf die Leute«, so Jaeger. Das habe einen positiven Einfluss auf die Stimmung der Heimbewohner und wirke Depressionen entgegen. »Die Tiere spenden emotionale Nähe und nehmen die Menschen so an, wie sie sind – egal, ob sie mental noch fit oder dement sind«, betont er. Auch das Gefühl des Zusammenseins während der Alpakatermine wirkt sich laut Jaeger positiv auf die Psyche der Heimbewohner aus.

Schwärmen von Alpaka-Wolle

Der Kontakt mit den sanften Tieren ist für viele Bewohner ein besonderes Vergnügen.

Sichtlich erfreut ist auch Eugen Näser, als die Vierbeiner auf der Terrasse des Heimes eintreffen. Während er Carlos füttert, kommt ihm seine frühere Arbeit in den Sinn. Der fast 92-Jährige war Zentraleinkäufer für Heimtextilien bei Quelle. »Da hatten wir Zudecken und Kopfkissen im Sortiment, die mit Alpakawolle gefüllt waren«, erzählt der Senior, der zwar nicht mehr gut hört, aber geistig rege und fröhlich ist. Das sei ein tolles Material, sinniert er und streichelt Carlos ausgiebig über das Fell.

Markus Enßner muss schmunzeln. Denn tatsächlich lassen auch er und seine Frau Daniela aus der Alpakawolle Bettdecken fertigen. Aktuell halten die Enßners und ihre fünf Kinder auf ihrem Hof 57 Alpakas, bald sollen es 80 sein. Sie bieten unter anderem Wanderungen an, kommen mit ihren Tieren in Kindertagesstätten, Schulen und zu Hochzeiten. Da musste schon so mancher Brautstrauß daran glauben, wenn die vierbeinigen Gäste dem Blumenbouquet nicht widerstehen konnten. Auf Märkten werden Mützen, Handschuhe und Socken aus Alpakawolle verkauft. Und ein Café ist in Planung, damit Gäste des Enßner‘schen Alpaka-Hofs künftig Genuss und Begegnung mit den sanften Tieren gut verbinden können.

Obwohl Alpakas (lateinisch Vicugna pacos) keine Höcker haben, gehören sie zur Familie der Kamele. Die Fellfarben reichen von Reinweiß über Beige, alle Brauntöne bis hin zu Grauabstufungen und Tiefschwarz. Es gibt außerdem gescheckte Tiere in vielen Variationen.

Die Alpakas fahren sogar mit dem Aufzug

Mit ihren Schwielensohlen sind Alpakas erstaunlich trittsicher. Das kommt den Vierbeinern vom Aurachtal-Hof auf dem glatten Boden im Seniorenheim zugute. Allerdings sind nicht alle für diese Ausflüge geeignet. »Das müssen schon besonders ruhige Alpakas sein«, sagt der Besitzer. So wie Carlos und Little Joe. Wenn das freundliche Duo auf Tuchfühlung geht, tauen selbst schwer demente Bewohner auf, so etwa eine Frau, die zuvor vollkommen teilnahmslos am Tisch saß. Als die Vierbeiner zu ihr kommen und nach Futter suchen, huscht erst ein fragender Blick und dann ein Strahlen über ihr Gesicht.

Wegen dieser Momente ist es für Dorothea Mühlbauer immer ein Höhepunkt im Heimalltag, wenn die Alpakas im Haus sind. Sie ist Leiterin der Sozialen Betreuung der Cadolzburger Seniorenresidenz, ihr Team organisiert Beschäftigungsangebote, Liederabende und Feste. »Menschen, die kaum noch sitzen oder alleine essen können, fangen plötzlich wieder an zu sprechen«, berichtet sie. Die Alpakas kommen deshalb auch zu jenen, die ihr Zimmer nicht mehr selbstständig verlassen können, und schauen direkt am Bett vorbei. Weil sich die Zimmer in den oberen Etagen befinden, fahren Carlos und Little Joe sogar Aufzug.

Wenn die Tiere auf Visite bei bettlägerigen Bewohnern sind, kommt es manchmal zu berührenden Begegnungen. So waren die Vierbeiner unlängst bei einem Mann, der kaum noch reagierte und nicht mehr sprach. Als die Tiere sein Zimmer betraten, leuchteten seine Augen und er lachte. Am nächsten Tag ist er verstorben. Jaeger ist sichtlich bewegt, als er erzählt: »Die Alpakas haben ihm buchstäblich die letzte Freude bereitet.«

Text: Alexandra Voigt
Fotos: Michael Matejka

Für Eugen Näser (oben) und Margarete Conrad (unten) ist der Kontakt mit den sanften Tieren ein besonderes Vergnügen.

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